Tichys Einblick
Abgelehnte Asylbewerber

Die meisten Klagen gegen Abschiebungen nach Afghanistan sind erfolgreich

Diejenigen, von denen der CSU-Politiker Alexander Dobrindt 2018 als „Anti-Abschiebe-Industrie“ sprach, sind offenbar höchst erfolgreich, wie eine Antwort der Bundesregierung offenbart.

imago images / Panthermedia

Dass es während der laufenden Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie zu weiteren Verzögerungen und Aussetzung von Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber kommen würde, konnte man sich ausrechnen. Warum es überhaupt noch zu vollstreckbaren Abschiebungen kommt in Deutschland, liest sich hingegen wie eine Nachricht aus dem Dino-Park. Warum? Weil es bei weit über fünfzig Aufenthaltstiteln unterschiedlicher Art und Voraussetzung schon erstaunlich ist, dass es überhaupt noch Antragsteller gibt, die keine dieser Lücken ins deutsche Sozialsystem für sich finden können.

Die für ihre zahlreichen Kleinen Anfragen an die Bundesregierung bekannte Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) wollte nun trotzdem mal den aktuellen Stand wissen über die Klagen gegen Abschiebungen nach Afghanistan.

Der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren, Stephan Mayer (CSU) antwortete an „Liebe Ulla“, und verabschiedete sich mit „Dein Stephan Mayer“. Nun kann der Außenstehende hier nicht sagen, ob diese überfraktionelle Vertraulichkeit einfach der Tatsache geschuldet ist, dass der arme Mann täglich Post von Jelpke beantworten muss, oder ob hier möglicherweise ein hohes Maß an Sympathie und Wertschätzung im Spiel ist, oder ob die beiden einfach mal einen neuen flotten Umgangston versuchen wollten. Jedenfalls hat Jelpke bei der Veröffentlichung dieses Schreibens auf die Schwärzung dieser vertraulichen Grußformeln verzichtet.

Jelpke wollte von Mayer wissen:

„Wie hat das BAMF von Juli bis Oktober 2020 über die Asylanträge afghanischer Asylsuchender entschieden (bitte zwischen Asylberechtigung, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärem Schutz, Abschiebungsverbot, Ablehnung, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Ablehnung als unzulässig, sonstige Erledigungen differenzieren) und wie haben die Verwaltungsgerichte im bisherigen Jahr 2020 über Klagen afghanischer Asylsuchender gegen ablehnende Bescheide des BAMF entschieden (bitte wie in der ersten Teilfrage differenzieren)?“

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Und Mayer listete auf, was Jelpke wissen wollte. Die nannte das Ergebnis wenig später eine „schallende Ohrfeige für das BAMF“. Demnach gelang es in 59 Prozent der ablehnenden Asylbescheide von Afghanen durch erneute Prüfung vor Gericht, den ablehnenden Bescheid zu kippen. Tatsächlich gewährten die Verwaltungsgerichte von Januar bis September 2020 in 5.644 Fällen Schutz, also einen der Aufenthaltstitel, bei denen zuvor die Abschiebung bzw. freiwillige Ausreise angeordnet wurde.

Nun ist es müßig, sich zu fragen, ob bei erfolgreicher Klage die Ursprungsentscheidung automatisch als rechtswidrig gelten muss. Allerdings fehlt auch bei Jelpkes Interpretation der Zahlen der Fokus auf über 40 Prozent jener Klagen, die gegenüber den erfolgreichen 59 Prozent als unbegründet abgelehnt wurden. In Zahlen sind das alleine für den angegebenen Zeitraum in 2020 fast 4000 Afghanen. Ein weiterer Hinweis dürfte die niedrige Quote jener Kläger sein, die eine Prozesskostenhilfe im Vorfeld bewilligt bekommen. So wie es im Einzelfall, um mehr Klarheit zu bekommen, einer Studie bedürfte, die sich eingehender mit den Begründungen der Gerichte befasst. Wie vielen Klagen wurde da beispielsweise stattgegeben alleine wegen Formfehlern oder terminlicher Verschleppungen oder gar wegen Überlastung der Gerichte?

Schon 2017 stellte TE fest, dass „NGOs, ihre Finanziers und ihre Anwaltindustrie“ die Anwendung des Rechts torpedieren. 2017 recherchierte und schrieb TE:

„Aktuell passiert nun, dass immer mehr abgelehnte Asylbewerber erfolgreich gegen diese Ablehnungen klagen. Nach Informationen von „NDR Info“ gab es alleine in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 220.000 solcher Klagen. Und niemand bei klarem Verstand wird ernsthaft annehmen wollen, dass da kein System dahinterstecken würde. So unterstützen etliche deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aktiv diese Klagewelle. Es stellt, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen, der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. ein Muster für solche Klagen ins Netz. Der Verein bittet abgelehnte Asylbewerber, sich mit dieser Musterklage an eine Beratungsstelle und/oder einen Anwalt zu wenden. Eine Adressliste ist selbstverständlich beigefügt.“

Dem System nach erinnert das an die Kriegsdienstverweigerungswellen und -stellen der 1970er und 1980er Jahre mit zehntausenden von Prozessen mitunter über mehrere Instanzen hinweg und einer Art Verweigerungsindustrie aus linken Anwälten, Kirchen und weiteren auf diesem Feld engagierten Institutionen.

2017 schrieb TE über den Münchner Anwalt Hubert Heinhold: „Er hat einen vielbeachteten Leitfaden verfasst: „Recht für Flüchtlinge. Ein Leitfaden durch das Asyl- und Ausländerrecht für die Praxis“. Heinhold ist auch im Auftrag der Caritas unterwegs. Und er arbeitet dem UNHCR zu, dem Büro des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Wiederholt wurde Heinhold als Sachverständiger in den Deutschen Bundestag und in Landesparlamente bestellt. Er ist auch stellvertretender Vorsitzender der NGO Pro Asyl und des bayrischen Flüchtlingsrates e.V.“

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Das mag einer jener Protagonisten in diesem Spiel mit den Gerichten und dem deutschen Asylrecht gewesen sein, die Alexander Dobrindt im Sinn hatte, als er Mitte 2018 von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ sprach und davon, dass ein Rechtsstaat auch „zu großzügig“ sein könnte. Der damalige Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer fragte, ob es an der Zeit sei, über ein „Ende der Gratisgerichtsbarkeit“ nachzudenken. Und während der Journalist darüber nachdachte, waren bereits 370.000 Verfahren bei Gerichten anhängig, wo Asylbewerber gegen ihre Ablehung oder ihren Status klagten.

Nun gibt es viele Heinholds in Deutschland. Und zunächst einmal kann natürlich in einem Rechtsstaat gegen eine Rechtsberatung nichts einzuwenden sein. Interessant wird es erst da, wo schon das Initial zu so einer Rechtsberatung einer politischen Agenda folgt. Wo nicht der Klient im Mittelpunkt steht, sondern die politische Agenda des Anwalts. Wo das geltende Recht als Unrecht betrachtet und entsprechend ausdauernd torpediert wird. Einerseits drängt die Politik auf eine schnelle Bearbeitung offener Asylanträge, andererseits wird von Seiten der NGOs „für grenzenlose Solidarität“ kein Versuch ausgelassen, eben diese beschleunigten Verfahren zu verlangsamen, um so rechtskräftige Abschiebungen bzw. Ausreisepflichten unmöglich zu machen.

Der Frankfurter Rechtsanwalt Reinhard Marx wusste 2017 schon, wo das Geld für die Anwälte herkommt: „Wer keine Verwandten hat, werde möglicherweise von Pro Asyl, der Diakonie oder der Caritas unterstützt, die in Fällen, an denen sie ein Interesse haben, einen Zuschuss von 250 Euro zahlen. „Manchmal auch ein bisschen mehr“, meint Reinhard Marx gegenüber der Allgemeinen Zeitung. Möglich sei schließlich auch, „dass die Kosten für den Anwalt in den Kosten für die Flucht eingepreist sind: 10.000 Dollar für die Schleusung eines Afghanen nach Deutschland, dazu der Besuch beim Anwalt, wenn der Flüchtling noch ausreichend Geld hat – also bevor der Asylantrag gestellt ist.“

Ende November 2020 rechnete die Frankfurter Allgemeine Zeitung nach und kam beispielsweise für Hessen auf „weniger als halb so viele Abschiebungen wie vor einem Jahr“. Alles eine Folge der Corona-Pandemie? Hessen schob 2020 bis September 554 Personen ab. Afghanen waren keine dabei, betroffen waren Menschen aus Pakistan, Serbien, Marokko, Albanien oder auch Rumänien.

Wichtig zu wissen: Es existiert bis heute kein „pauschaler Abschiebestopp“ der in einem Zusammenhang mit der Corona-Lage stände. Nicht in einem der Zielländer und auch nicht in einem Dublin-Staat, wenn es um Rücküberstellungen wegen eines Erstantrags dort geht.

Aber mit diesem 59-prozentigen Erfolg bei Klagen gegen ihre Abschiebungen oder ihren aktuellen Status ist das Ende der Fahnenstange noch gar nicht erreicht. Denn die nächste Frage ist, wie viele von den 41 Prozent vor Gericht Gescheiterten dennoch im Land verbleiben. Jene aber, bei denen eine Abschiebung wieder Erwarten doch gelingt, die kommen dann einfach ein zweites oder sogar drittes Mal.

Vom Rettungsboot ins Bordell
Von der sogenannten Seenotrettung direkt in die Zwangsprostitution
Ende 2019 vermeldete TE: „Es ist so grotesk wie wahr: Die Zahl der Abschiebungen sank sogar noch in den letzten Monaten, während die Zahl der vollziehbar (!)  Ausreisepflichtigen überproportional anstieg auf eine Zahl von mittlerweile gigantischen 246.737 Personen zum Stichtag 30. Juni 2019. Also eine knappe Viertelmillion Migranten, die weiter in Deutschland rundumversorgt werden.“

Kaum noch extra erwähnenswert, dass die von Ursula von der Leyen vorgestellte EU-Asylrechtsreform Abschiebungen faktisch noch einmal erschwert, aber selbstverständlich das Gegenteil behauptet. Interessant an diesem Reformvorschlag ist, dass von einer Aufnahme von Asylbewerbern gar nicht mehr die Rede ist, sondern von Migranten mit Aussicht auf einen Schutzstatus. Das macht – jedenfalls aus Sicht der Kommission – natürlich Sinn: Denn die Aufenthaltstitel sind inflationär geworden. In Deutschland können Mitarbeiter der Agentur für Arbeit wie schon eingangs erwähnt bei der Zuordnung ihrer Klienten mittlerweile aus weit über fünfzig Aufenthaltstiteln eine Zuordnung vornehmen.

Abschiebungen auch hier Fehlanzeige: Der schweizerische Sender SRF hat die EU-Aslyrechtsreform ebenfalls genauer angeschaut und kommt zu folgender Erkenntnis: „Entweder werden Migranten – auch solche ohne Aussicht auf einen Schutzstatus – aufgenommen oder die Abschiebung einer bestimmten Anzahl abgelehnter Asylbewerber wird übernommen. Diese Abschiebung muss innerhalb von acht Monaten erfolgen. Gelingt das nicht, muss das Land sie aufnehmen.“

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