Tichys Einblick
Rect außer Kraft

Als Muster taugt die Aktion einer Einzelnen gegen eine Abschiebung nicht

Ziviler Ungehorsam gegen Abschiebung? Der Fall der Schwedin Elin Ersson zeigt die Spaltung der europäischen Gesellschaft: Während manche nicht genug und bedingungslose gewährte Einwanderung fordern und zunehmend erzwingen, wehren sich andere dagegen. Solch ziviler Ungehorsam sprengt die Gesellschaft.

Symbolbild

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Auf viel Fragen im Leben gibt es keine einfachen Antworten. Als ich beispielsweise von dieser Schwedin las, die sich in einem Flugzeug weigerte, sich hinzusetzen um zu verhindern, das dass Flugzeug Richtung Istanbul starten kann, in welchem ebenfalls ein abgelehnter afghanischer Asylbewerber ausgeflogen werden sollte, wäre ausreichend Raum gewesen, sich abzuwenden und zu fragen: Was treibt solche Leute an? Was rechtfertigt einen solchen Aktionismus, wenn aktuell ein ganzer Katalog von Aufgaben zur Bewältigung der Massenzuwanderung seit 2015, weiter anhaltende illegale Einwanderungsbewegungen und Handlungsunfähigkeit bei rechtsgültigen Abschiebungen auf der Tagesordnung stehen.

Selbstverständlich mögen diese und weitere Abschiebungen der Rechtslage entsprechen. Und sicherlich müssen solche Abschiebungen noch konsequenter durchgeführt werden, wenn wir unsere eigene Sicherheitslage verbessern und wenn wir verhindern wollen, dass unser Rechtssystem kollabiert. Dass ist in Schweden nicht wesentlich anders, als in Deutschland.

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Aber man muss sich doch fragen, wie es sein kann, dass solche Abschiebungen wie in diesem Fall per Linienflug Göteborg-Istanbul durchgesetzt werden, dass dieser Abgeschobene, dessen weiteres Schicksal sich uns entzieht, nebst polizeilicher Sicherheitsbegleitung ausgerechnet in einem Urlaubsflieger neben eine Fußballmannschaft gesetzt wird, die vielleicht gerade ein paar schöne Tage All-Inclusive gebucht hat. Hier geht es um Menschlichkeit und Mitgefühl. Direkt erlebbar und direkt vollzogen durch diese junge Schwedin. Elin Ersson jedenfalls hat „Nein“ gesagt. Auch hier darf man bemängeln, dass es sich um eine Aktivistin handelt, die nicht etwa spontan, sondern geplant agiert hat. Aber macht das wirklich einen Unterschied? Darf die individuelle Norm über das Gesetz gestellt werden?

Ersson wird für ihre Behinderung des Abschiebungsvollzuges und des Flugverkehrs oder was immer man ihr zur Last legen kann, belangt werden. Das erfordert der Rechtsstaat, will er nicht zum Spielball werden für jeden, der kurz mal anderer Meinung ist. Damit wird sie leben müssen. Damit werden wir leben können. Diese Entscheidung hat sie für sich gefällt.

Aber sie hat niemanden verletzt, keine Gewalt gegen  angewandt, sie hat gemacht, was  unter dem Label „ziviler Ungehorsam“ läuft.  Durch einen symbolischen, aus Gewissensgründen vollzogenen, und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen zielt der handelnde Staatsbürger mit einem Akt zivilen Ungehorsams auf die Beseitigung einer Unrechtssituationund betont damit sein moralisches Recht auf Partizipation, so Wikipedia. Ghandi wird als Kronzeuge angeführt, und Rosa Parks, die sich 1955 als Schwarze in einem Stadtbus auf einen nur für Weiße reservierten Platz setzte. Beides waren ohne Zweifel mutige Entscheidungen mit drohenden Konsequenzen – der schwedische Staat neigt nicht dazu. Längst trägt in solchen Fällen der europäische Rechtsstaat Samthandschuhe. Viel wird sie nicht zu befürchten haben; für die Geldbuße wird ein Spendenkonto eröffnet werden. Ihr persönliche Risiko also ist gering.

Kein Wunder, dass solche Aktionen politisch instrumentalisiert werden. Wenn es darum geht, solche Aktivitäten zukünftig zu verhindern, muss der Rechtsstaat Stärke zeigen. Unabhängig davon, wie der einzelne diese Aktion beurteilen mag. Diese Stärke aber hat diese Gesellschaft nicht mehr. Das macht es leicht für solche, die dafür als „Aktivisten“ gefeiert werden.

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Dieser schon beim Aufschreiben dieses Falles offensichtliche Widerspruch ist auszuhalten. Denn ursächlich dafür ist nicht etwa der schwedische Rechtsstaat, sondern der Zustand der Welt an sich. Nein, es geht nicht allen Menschen gleich gut. Nicht nur materiell, sondern auch, was ihre Sicherheit angeht. Die wenigsten Westeuropäer könnten sich vorstellen, in der Türkei in einem Flüchtlingslager zu leben, sowie sich die wenigsten Syrer in diesen Auffanglagern aktuell vorstellen konnten, wieder in irgendeiner umkämpften Region in Syrien zu leben.

Und so mag sich hierzulande niemand vorstellen, in jenen Verhältnissen zu leben, in die der Afghane, dessen Abschiebung durch die Aktion von Elin Ersson einstweilen verhindert wurde, zurückgeführt werden sollte. Ja, diese Widersprüche scheinen unauflösbar. Ja, die einen leben gut in dieser Welt, andere weniger. Und Elin Ersson hat für sich eine Entscheidung getroffen, für die sie nun mögliche Konsequenzen tragen muss und globale Berühmtheit erlangt hat. In einer menschlichen Gesellschaft, die geprägt ist von gegenseitigem Mitgefühl, von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe lassen sich solche Widersprüche nicht auflösen, müssen also ausgehalten werden.

Anders sieht es aus, wenn sich beispielsweise die taz aufschwingt, aus dem Fall Elin Ersson eine „Anleitung zum Ungehorsam“ zu stricken. Basis solch eines Ungehorsams soll hier die Auslegung des Rechtes durch die Zeitung selbst sein, wenn sie schreibt: „Das Asylrecht wird beschnitten, die Polizei darf immer mehr und die Gesellschaft reagiert rassistisch. Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen!“

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Und die taz geht noch weiter, gibt ihren Lesern Anleitungen, wie sich diese zu verhalten haben, wenn es zu „Fall 4: Rassistische Polizeigewalt“ kommt. Da heißt es dann – wohlgemerkt, hier handelt es sich um eine Antwort auf den Fall Elin Ersson – : „Wenn Sie selbst Opfer rassistischer Polizeikontrollen oder von Polizeigewalt werden: Lassen Sie sich nicht einschüchtern – und verweigern Sie vor allem die Aussage. Sie sind nicht verpflichtet, etwas zu sagen. Sie haben das Recht dazu, Ihren Anwalt zu kontaktieren. Sprechen Sie mögliche Zeugen an und bitten Sie sie um ihre Kontaktdaten.“ Ein Wunder, dass der Artikel nicht mit einem markigen ACAB („All Cops are Bastards“) unterschrieben wurde.

Nun ist sind es gerade Zeitungen wie die taz, die sich konsequent weigern, auch die Kehrseite der Medaille zu berichten. Die kaum einen Blick werfen mögen auf beispielsweise die No-Go-Areas arabischer Clans unweit ihrer Redaktionsgebäude, die vor einer zunehmenden Kriminalität von Zuwanderern in bestimmten Bereichen kapitulieren, indem sie wegschauen, die nicht im selben Maße jener Courage applaudieren, die ebenfalls allen Mut zusammen nehmen muss, den Mitbürger auch vor solchen Angriffen zu verteidigten. Hier werden normale Bürger zum Kollateralschaden, ihr Leid billigend in Kauf genommen.

Vergessen scheint, dass die Bundeskanzlerin noch 2010 eben diese Zivilcourage und Wachsamkeit von ihren Bürgern forderte, als sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft sagte: „Wir brauchen wachsame Bürgerinnen und Bürger, und wir brauchen die richtigen Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität.“ Und weiter: „Wir brauchen Polizistinnen und Polizisten, aber wir brauchen genauso Bürgerinnen und Bürger mit Zivilcourage. Lassen Sie uns alles dafür tun, damit unser Land noch sicherer wird.“

Es geht also darum, diese Widersprüche in einer Balance zu halten. Merkmal unseres Wertesystems ist es gerade nicht, nur blind zu gehorchen. Widerspruch ist Teil der Haltung. Die Idee dahinter ist einfach: Regelmäßig hinterfragen, ob die Regeln, die wir uns gesetzt haben, noch sinnvoll sind. Oder ob wir sie gegebenenfalls auf demokratischem Wege ändern müssen, wenn sie nicht mehr kompatibel sind mit der Art und Weise, wie wir zusammenleben wollen.

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Wie gefährdet diese Balance allerdings ist, hat die Journalistin Bettina Röhl gerade in ihrem Buch „Die RAF hat Euch lieb“ aufgeschrieben; ein Buch, wie ein Missing Link der RAF-Rezeption, wenn Röhl davon erzählt, wie der Staat kapitulierte, als es darum ging, diese Balance ebenso, wie das Wertssystem selbst, vor einem Kollaps zu bewahren. Röhl schreibt, dass damals die hunderte oder tausende „linken Eskalationen“ – und sie meint hier explizit Gewalt gegen Dinge und Personen – für „gut und richtig und notwendig“ gehalten wurden. Das sei „1969 bereits beherrschender Zeitgeist geworden.“ Ein Zeitgeist, „der längst auch über die öffentlich-rechtlichen Medien und bald über fast alle Medien verbreitet wurde.“ Die Protagonisten dieses gewalttätigen Protestes so Röhl, befanden sich damals in einem „Dauer-Revolutionsmodus“.

Wenn aber der kritische Blick auf die realen Verhältnisse einen Zeitgeist heraufbeschwört, der nicht nur korrigieren, sondern immer öfter nur zerstören will, dann befindet sich eine Gesellschaft am Rande des Abgrundes.

Ziviler Ungehorsam wird zur Waffe, wenn gesellschaftliche Normen nicht mehr gleichermaßen geteilt werden. Im Fall der Abschiebung gibt es eine große Gruppe in der Gesellschaft, der sich dagegen und die eigene Norm über die gesellschaftliche stellt. Das klingt schick, das klingt modern. Aber wie wäre es, wenn Konservative begännen, ihre Steuern nicht mehr zu bezahlen – aus Protest gegen die aus  ihrer Sicht falsche Einwanderungspolitik? Klar ist, da gäbe es kein Pardon. Ziviler Ungehorsam braucht die Überhöhung durch Moralisierung. Und da hat sich der Rechtsstaat in Deutschland längst positioniert: Ungehorsam von links ist erlaubt. Ziviler Ungehorsam auf beiden Seiten aber sprengt die Gesellschaft. Er funktioniert nur, weil eine Seite dieses hinnimmt – oder hinnehmen muss, weil ihr die moralische Kompetenz bestritten wird. So wird Moral zum Kampfmittel.