Tichys Einblick
Landtagswahl Herbst 2023

Die Wandlungsfähigkeit des Markus Söder

Ministerpräsident Söder hat zurzeit keinen parteiinternen Konkurrenten. Das könnte sich aber schnell ändern, wenn sich die Talfahrt der CSU bei Wahlen weiter fortsetzt. Söders Witterung besagt: In 20 Monaten wird in Bayern gewählt.

IMAGO / Sven Simon
Bei Markus Söder, CSU-Vorsitzender, Bayerns Ministerpräsident sowie Ex-Möchtegern-Kanzlerkandidat 2021, hat man sich das Kopfschütteln abgewöhnt. Mit immer neuen Volten, die er wohl „Einsichten“ nennt, wartet er auf: mal gegen offene Grenzen, mal dafür. Mal gegen Merkel, mal inklusive Kutschfahrt Seit’ an Seit’ mit Merkel. Mal gegen die rot-grüne Energiewende, mal Anbiederung an die Klima-„Kids“. Mal gegen den Kohleaussteig, dann für einen noch schnelleren Ausstieg 2030, als die Ampel (2018) will. Mal für einen Kanzler Laschet, dann hinterrücks dagegen.

Aber lassen wir das. Söder schimpft zwar ständig gegen „Populisten“, aber der gnadenloseste und prominenteste Populist ist er selbst.

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Nun hat Söder dem Münchner Merkur ein „exklusives“ Interview gegeben und seine Wendigkeit – besser: ein inszeniertes Reflektieren – zum Besten gegeben. Das lange Interview mit drei Redakteuren, darunter der Chefredakteur, ist ziemlich kuschelig verlaufen, sodass es eher einer Audienz ähnelte. Schmerzhafte Nachfragen wurden nicht gestellt. Das kann aber – so viel zur Ehrenrettung der Interviewer – damit zu tun haben, dass Söder bestimmte Fragen ausschloss.
Greifen wir ein paar Passagen auf und fassen unsererseits nach:

Söder über Omikron: „Omikron ist nicht Delta … Wir wollen ‚Team Vorsicht‘ und ‚Team Augenmaß‘ zusammenbringen.“
Wir stellen fest: Von Augenmaß konnte bei Söder bis zuletzt keine Rede sein. Demonstranten wurden beschimpft, die bayerische Polizei griff hart gegen sie durch. Den Chef des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, ließ man im November 2020 versetzen, weil er Kritik an der Inzidenz-Orientierung der Corona-Politik geäußert hatte. Das Mitglied des Ethikrates, Prof. Christoph Lütge, Wirtschaftsethiker der TU München, ließ Söder im Februar 2021 aus dem Ethikrat feuern, weil Lütge sich ebenfalls kritisch über die bayerische Corona-Politik geäußert hatte.

Söder: „Ich habe über den Jahreswechsel lange nachgedacht, viele Gespräche geführt – privat und politisch – und aus diesen zwei Corona-Jahren auch tiefe Lehren gezogen … Es wird nicht mehr ausreichen, die Lage nur medizinisch und virologisch zu betrachten. Wir müssen auch auf die gesellschaftliche und soziale Komponente stärker achten. Unsere Gesellschaft ist nicht in zwei gleiche Teile gespalten, aber sie ist geteilt.“
Wir stellen fest: Das ist eine typische Reaktion nach der Methode „Haltet den Dieb“. Es ist Söder, der den Keil mit seiner Corona-Hardliner-Politik weiter in die Gesellschaft hineingetrieben hat. Es sind Krokodilstränen, wenn er jetzt sagt: „Nicht jeder, der skeptisch ist, ist ein Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker oder Rechtsradikaler.“ Und wenn er wenige Tage, nachdem die bayerische Polizei in München hart gegen Demonstranten vorging, schier pastoral meint: „Wir müssen versuchen darüber nachzudenken, wie wir die Gesellschaft wieder heilen und versöhnen können.“

 

Söder über Bayern: „In manchen Fragen sind wir konsequenter als jedes andere Land … Aber die Wahrheit ist: Keiner kann politisches Kapital aus Corona ziehen … Wir müssen erkennen, dass die Gesellschaft mehr von uns erwartet, als jeden Tag nur neue Verordnungen zu erlassen. Wir müssen künftig genauer und verständlicher begründen, was wir tun.“
Wir stellen fest: Der Lack von wegen „Bayern ist spitze“ in Sachen Corona ist ohnehin ab. Denn einen Haken haben die bayerischen Zahlen in mindestens zweifacher Hinsicht. Erstens nimmt Bayern bei zwei wichtigen Faktoren einen mittleren Rangplatz unter den 16 Bundesländern ein. Bei der 7-Tage-Inzidenz hat Bayern einen mittleren Wert (bei 550). Einen mittleren Rang nimmt Bayern auch bei der Impfquote ein: bei Erst-, Zweit- und Drittimpfung. Zweitens: Im November 2021 gab es in Bayern ein Zahlenchaos. Geraume Zeit wurden Personen mit unbekanntem Impfstatus zunächst zur Gruppe der Ungeimpften gezählt, was zu einer überhöhten Darstellung der Inzidenz bei Ungeimpften und einer zu niedrigen bei Geimpften führte. Söder selbst hatte am 18. November 2021 eine Grafik bei Twitter geteilt, wonach die Inzidenz der Geimpften in der Vorwoche bei 110 und die der Ungeimpften bei 1.469 gelegen habe. Dazu schrieb er: „Leider nehmen die Corona-Infektionen gerade bei Ungeimpften dramatisch zu. Es gibt einen direkten Zusammenhang von niedrigen Impfquoten und hohen Infektionsraten.“ Wenig später kam heraus, dass der Impfstatus in einer bestimmten November-Woche in 70 Prozent der Fälle unbekannt war – und diese Fälle den Ungeimpften zugeordnet worden waren.

 

Söder am 16. Januar (!) zur Frage, ob mehr Spielraum für Kultur sei: „Mittelfristig auf jeden Fall. Da sind 50 Prozent denkbar, also eine Bestuhlung im Schachbrettmuster.“
Wir stellen fest: Am 17. Januar (!) beschloss Söders Kabinett, dass es bei Kulturveranstaltungen in Bayern weiter nur 25 Prozent Auslastung geben darf – anders als von der Staatsregierung zuletzt in Aussicht gestellt. Staatskanzleichef Herrmann verweist auf eine „etwas unklare Lage“ bei der Corona-Hospitalisierung.

Söder zur Frage, wann das Zuschauer-Verbot im Stadion fällt: „Das werden wir gemeinsam mit der Bundesliga diskutieren. In der Zwischenzeit wäre es übrigens gut, wenn die Liga ihre Regeln überprüft – insbesondere bei Corona-Fällen. Wir haben beim FC Bayern erlebt, dass das zu wettbewerbsverzerrenden Situationen führen kann.“
Wir halten fest: Das ist Futter für die Fans des FC Bayern München (FCB). Denn der FCB musste ja bis zu zehn Spieler aus dem Kader nehmen, weil sie positiv getestet waren. Folge: Der FCB verlor zu Hause gegen Mönchengladbach 1:2.

Söder zur Impfpflicht: „Die Impfpflicht hängt nicht nur mit Omikron zusammen. Wir wollen auch alle künftigen Mutationen überwinden können – raus aus dieser Corona-Endlosschleife, und endlich wieder mehr Freiheit.“
Wir fassen nach: Noch bis Ende Dezember 2021 hatte Söder gesagt, die Impfpflicht sei die einzige Chance, Corona zu besiegen. Und: Eine Impfpflicht werde die Spaltung der Gesellschaft überwinden. Wörtlich: „Eine einheitliche Pflicht, die für alle gilt, schweißt zusammen. Das Wichtigste ist nur, dass das Thema jetzt nicht zerredet wird.“ Am 6. Januar 2022 war aus demselben Mund zu vernehmen: Söder sei bei der Impfpflicht „etwas verunsichert.“

 

Söder zu den letzten Wahlergebnissen der CSU: „Die CSU kann maximal acht bis zehn Punkte über dem Schnitt der Union bundesweit liegen. Deswegen haben wir ein elementares Interesse daran, dass auch die CDU wieder stärker wird.“ Dazu Söder über die vergeigte Bundestagswahl 2021: „Das Ganze war in der Tat keine glückliche Situation, und auch wir haben Fehler gemacht. Aber daraus lernen wir und machen es besser.“
Wir stellen fest: Söder hat Laschet 2021 desavouiert. Und die Union hat nicht erst 2021 Fehler gemacht. Das Desaster der Union begann spätestens 2015 mit der willkürlichen Grenzöffnung durch Merkel. Zu behaupten, die miserablen Wahlergebnisse von CDU und CSU seither hätten mit neuen Milieu-Bildungen zu tun, ist eine Lebenslüge. Nein, die zurückliegenden Wahldebakel sind selbstgemacht – von Leuten wie Merkel, von Leuten wie Söder.

2023 könnte es eng werden für Söder

Nun brennt Söder der Kittel. Er hat eine Witterung aufgenommen. Sie lautet: Im Herbst 2023, also in rund 20 Monaten, wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Zwar hat Söder im Moment keinen parteiinternen Konkurrenten und damit auch keine Palastrevolution zu fürchten. Das könnte sich aber schnell ändern, wenn sich die Talfahrt der CSU bei Wahlen weiter fortsetzt. Söder hat jedenfalls weder als Ministerpräsident (seit März 2018) noch als CSU-Parteivorsitzender (seit Januar 2019) eine Wahl gewonnen, sondern stets deutliche Verluste für die CSU eingefahren: 2018 fiel die CSU bei den Landtagswahlen gegenüber 2013 von 47,7 auf 37,2 Prozent (also um 10,5 Prozent) zurück. Bei der Bundestagswahl 2021 stürzte die CSU gegenüber 2017 um 7,1 Prozent von 38,8, auf 31,7 Prozent ab.

Wenn sich das 2023 nicht gewaltig ändert, kann Söder auch seinen klammheimlichen Kanzlerehrgeiz an den Nagel an der Wand der CSU-Zentrale hängen. Denn dort erscheinen selbst nach jüngsten Umfragen bereits flammende Zeichen.