Tichys Einblick
Haldenwangs Verletzung der Neutralität

Der Verfassungsschutzpräsident als Parteipolitiker

Ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der „die Bevölkerung wachrütteln“, „Politiker wachrütteln“ und die Umfragewerte einer Partei senken will, stellt seine Objektivität und Neutralität in Frage. Eine Vorverurteilung eines Verdachtsfalls darf es nicht geben. Doch genau das hat Haldenwang mit seinen Aussagen getan.

IMAGO / Christian Spicker
Der tadellose Beamte Hans-Georg Maaßen wurde im November 2018 in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil er sich weder durch die Merkel-Administration einschüchtern noch davon abbringen ließ, die Wahrheit zu vertreten, nämlich, dass es keine Menschenjagden in Chemnitz gegeben hat. Das hatte allerdings die damalige Bundeskanzlerin vollkommen faktenfrei der Behauptung einer dubiosen Antifagruppe folgend allen Ernstes verkündet, weil der Mord an einem Chemnitzer durch Migranten vertuscht werden sollte.

Jedenfalls wurde an einem Behördenleiter ein Exempel statuiert, der sich an die weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates hielt. Möglich, dass die eher grün agierende Merkel nicht noch einmal einen Präsidenten des Verfassungsschutzes haben wollte, der sich penibel an das Neutralitätsgebot hält. Demokratie, also dem Wettstreit der Argumente, von ihr als „Diskussionsorgien“ abgekanzelt, und von freien Wahlen, die sie „rückgängig“ machte, schätzte sie augenscheinlich ohnehin nicht allzu sehr.

Unter Thomas Haldenwang jedenfalls wurde der Verfassungsschutz zu einer Behörde, die im Kampf gegen „Rechts“, womit anscheinend immer stärker alles rechts von den Grünen gemeint zu sein scheint, den Linksextremismus allzu nachsichtig behandelt.

Denkwürdig war Haldenwangs Bemerkung zu den Klimaextremisten der „Letzten Generation“, die über eine Kaderstruktur verfügen und teils aus dem Ausland bezahlt werden, denen er einen Persilschein ausstellte. Mehr noch, Haldenwang verstieg sich zu der Aussage, dass die Letzte Generation sage: „He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun“, und: „Also, anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“

Die Vorstellung vom allein vom Menschen gemachten Klimawandel ist eine Weltanschauung. Haldenwang, der diese Weltanschauung zu teilen scheint, agiert hier nicht weltanschaulich neutral, im Gegenteil, er verharmlost, dass Menschen in Geiselhaft genommen, Arbeitnehmer nicht zu ihrer Arbeit, dass Eltern ihre Kinder nicht aus der Kita oder der Schule abholen können, dass Rettungswagen daran gehindert werden, rechtzeitig dort anzukommen, wo sie Leben retten sollen. Allein das wäre schon ein Entlassungsgrund, wenn die Innenministerin dem Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität etwas abgewinnen könnte. Kein Dienstaufsichtsverfahren wurde gegen verbeamtete Lehrer eingeleitet, die eindeutig die Neutralitätspflicht des Staates verletzten, als sie mit ihren Schülern während der regulären Schulzeit zu Veranstaltungen von Fridays for Future gegangen sind.

Doch nun hat der Präsident des Bundeamtes für Verfassungsschutz sich dahingehend geäußert, dass er die Aufgabe des Verfassungsschutzes auch darin sieht, die Umfragewerte einer politischen Partei zu senken. Haldenwang wörtlich: „Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.“ Aber eben doch wohl auch, wie er meint.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf laut Urteil die AfD als Verdachtsfall einstufen und beobachten, der Verfassungsschutz hat das Recht, Parteimitglieder zu observieren und V-Leute einzusetzen. Der Verfassungsschutz darf also ermitteln. Doch ermitteln bedeutet, vorurteilsfrei, objektiv mit offenem Ausgang. Eine Vorverurteilung darf es nicht geben. Doch genau das hat Thomas Haldenwang getan. Laut seiner Aussage will er „die Bevölkerung wachrütteln“, will er „Politiker wachrütteln“. Das kann nur heißen, dass mit den Ermittlungsergebnissen Politik gemacht werden soll, und stellt im Umkehrschluss die Frage, ob der Zweck der Beobachtung darin besteht, Resultate zu generieren, mit denen man Politik machen kann?

Thomas Haldenwang insinuiert mit seinen Worten, dass das Ergebnis der Untersuchung bereits feststehen könnte. Die Beobachtung der AfD – und nicht weniger hat der Präsident des Bundeamtes für Verfassungsschutz zu Protokoll gegeben – soll eben nicht zum Zwecke der Aufklärung, die hat er ja nicht erwähnt, sondern zum Zwecke des „Wachrüttelns“, des „Senkens“ von Umfragewerten, also des Eingreifens in den Wahlkampf und mittelbar wohl in demokratische Wahlen geführt werden. Damit stellt Haldenwang bereits jetzt schon das Resultat der Ermittlung in Frage, weil er der Untersuchung die Richtung weist, nämlich Material zu produzieren, um die Umfragewerte, schließlich die Wahlergebnisse einer Partei, die zu Wahlen zugelassen ist, zu reduzieren.

Will Haldenwang Material für den Wahlkampf schaffen? Selbst wenn die Ergebnisse nahelegen sollten, dass die AfD verboten werden muss, wer wollte nach diesen Einlassungen Haldenwangs ihm Glauben schenken. Er hat den Ermittlungen jedenfalls einen Bärendienst erwiesen, weil er ihre Objektivität in Frage stellt. Es geht hier nicht um die AfD, sondern grundsätzlich um die Fragen der Gewaltenteilung und der Funktionstüchtigkeit unserer Demokratie.

Damit würde der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zweierlei verletzen: erstens die weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates und seiner Organe und zweitens das Gebot der Gewaltenteilung, indem sich die Exekutive in die Legislative einmischt. Wir alle kennen aus der Geschichte Vorfälle, bei den sich die Exekutive eine Legislative schuf. Hier gilt es, höchste Vorsicht und allerhöchste Zurückhaltung zu üben.

Rechtsphilosophisch, wie es auch im berühmten Böckenförde-Diktum zum Ausdruck kommt, ist das Grundgesetz oder die Verfassung nichts anderes als das Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat. Ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz schützt deshalb nicht das Grundgesetz, wenn er Regierungsschutz betreibt.

Nun hat Thomas Haldenwang überdies den Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingerichtet. Als so neu, wie ihn der Verfassungsschutz benennt, ist er jedoch nicht. Ungute Erinnerungen an den Paragraphen 220 des StGB der DDR werden wach, in dem es heißt:

§ 220. Staatsverleumdung. (1) Wer in der Öffentlichkeit
1. die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen;
2. einen Bürger wegen seiner staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit, wegen seiner Zugehörigkeit zu einem staatlichen oder gesellschaftlichen Organ oder einer gesellschaftlichen Organisation
verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.

Haldenwang rechtfertigte seinen Phänomenbereich mit einer Gummi-Formulierung, die eigentlich auf alle, die die Regierung kritisieren, anwendbar ist: „Es ist der gesetzliche Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz genau dort hinzusehen, wo (…) aus Skepsis gegenüber dem Verfassungsstaat seine Bekämpfung wird.“

Wäre es nicht die Aufgabe des Bundesamtes gewesen, das Grundgesetz zu schützen, als es in der Pandemie durch das Infektionsschutzgesetz gebeugt wurde? Müsste nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz die Aufarbeitung der Pandemiepolitik vorantreiben? Warum kein Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Verletzung der Bürgerrechte in der Pandemie“?

Eines jedoch steht fest, dass niemand den Staat delegitimieren kann, mit Ausnahme des Staates selbst, seiner Funktionsträger, wenn sie sich nicht an die Verfassung halten. Ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der zu Protokoll gibt, „die Bevölkerung wachrütteln“, „Politiker wachrütteln“ und die Umfragewerte einer Partei senken zu wollen, stellt die Objektivität und Neutralität seiner eigenen Behörde in Frage.