Tichys Einblick
Antworten auf Leser

Noch einmal zu Alice Schwarzer

Autorin Firuze B. antwortet den vielen Lesern, die ihren Beitrag kommentiert haben.

Timur Emek / Getty Images

Mit großem Interesse habe ich die vielen Kommentare gelesen, darunter sehr analytische Gedanken. Ich versuche, möglichst chronologisch zu antworten:

1. Alice Schwarzer galt einst als Feministin als Links-Radikale und wird heute von Links-Radikalen als „Rassistin“ beschimpft, als „Rechte, weil sie das Kopftuch kritisiert, das nicht angesprochen werden darf. Insofern liegt für mich eine Art „Verrat aus den eigenen Reihen“ vor. Was mir persönlich sehr zu denken gibt, wenn bereits eine Alice Schwarzer ohne Weiteres als Rechte und Rassistin bezichtigt wird, nur um sie schnellstmöglich mundtot zu machen. Eine kleine Meinungsverschiedenheit reicht aus, um in die rechte Ecke abgeschoben zu werden, selbst dann, wenn jemand sein ganzes Leben seinen linken Idealen gewidmet hat. Ich frage: Wie ist das möglich?

2. Alice Schwarzer ist eine klassische Feministin, daher war es für mich nur konsequent und folgerichtig, dass sie die Rolle der Frau im Islam kritisiert und das symbolträchtige Kopftuch. Das hat sie getan – nur eben zu spät. Dennoch hat sie damit als Feministin ihre Integrität unter Beweis gestellt.

3. Die Sache mit der Ironie: Viele Leser konnten meinen leicht ironischen Unterton gut vernehmen und haben meinen Beitrag auch dementsprechend verstanden. Für andere, die es anders empfunden haben, möchte ich hinzufügen:

Die Revolution frisst ihre Mütter
Zu den aktuellen Ereignissen um Alice Schwarzer
Die Ironie liegt für mich schon darin „verborgen“, wenn Frauen heute mit Kopftuch für das Kopftuch schreiend und aggressiv demonstrieren – übrigens entgegen ihrer eigenen Traditionen und Sitten, gegen eine mittlerweile ältere Dame von 76 Jahren! Die Ironie liegt auch darin „verborgen“, Alice Schwarzer so respektlos zu begegnen und zu verlangen, dass eine klassische Feministin, die für linke Ideale der Frauen- und Geschlechterrollen in der deutschen Gesellschaft gekämpft hat, die religiös konservativen, ja fundamentalistischen Werte ihrer neuen Kritiker mit vertreten soll: im Deckmantel von Freiheit, Emanzipation, Selbstbestimmung oder meinetwegen auch Feminismus. Hier ist ein massiver dialektischer Widerspruch vorhanden, den Schwarzer auf den Punkt bringt, dafür nun aber geächtet wird – von den Linken.

4. Ich setze den Feminismus, den Alice Schwarzer vertritt, nicht gleich mit dem „Feminismus“, den diese Frauen in dem Video propagieren. Im Gegenteil, meine persönliche Meinung dazu ist weitaus umstrittener, als dass ich sie hier äußern möchte und ein neues Fass aufmachen würde. Eines möchte ich nur sagen: Ja es gibt die freiwilligen Frauen, aber es gibt auch diejenigen, die es eben nicht freiwillig tun.

In der islamischen Kultur existieren Hierarchien, in denen die Frau vor allem in der Öffentlichkeit dem Mann untergeordnet ist. Diese Zwänge werden von den Frauen im Video entweder bewusst ignoriert oder unreflektiert zu ihren Gunsten in Kauf genommen werden. Sie können sich sicher sein, dass mit diesem Auftritt die junge Muslimin einen heldenhaften Status in der islamischen Gesellschaft erreicht hat, dass sie von nun an unangefochten als eine „gute, ehrenvolle und stolze Muslimin“ gilt und nur noch mehr angefeuert wird.

Geste klein, kulturelle Kluft groß
Alice Schwarzer zu Muslima: „Oh, ich dachte, nur ein Mann darf Sie nicht anfassen!“
Den Preis dafür müssen die Frauen zahlen, die eigentlich das Kopftuch ablehnen, aber tragen müssen. So ist es ja von nun an „ein Zeichen der Selbstbestimmung“ – ein Argument mehr für die islamischen Fundamentalisten, den Willen der Frauen auch ohne physische Gewalt zu brechen. Wenn sich jemand dafür einsetzen möchte, das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung zu kritisieren, sollten sich nicht jene angesprochen fühlen, die dies freiwillig tragen. Jedoch sind es genau diese Frauen, die dazu beitragen, dass gezwungene Frauen einen nun noch schwereren und aussichtsloseren Standpunkt in ihren Gemeinschaften einnehmen müssen:  „Glückwunsch”.

5. Wenn ich schreibe, „Nun sind es islamisch konservative Werte, die den leergefegten Platz der christlich konservativen Werte einnehmen.“, setze ich diese Werte nicht gleich. Ich bringe zum Ausdruck, dass da, wo früher christlich-konservative Werte ihren Platz hatten, sie von den 68ern teilweise „reformiert“ und teilweise ganz zerstört worden sind und eine Lücke hinterlassen haben, in der sich nun Vertreter der islamisch–konservativen Werte breit machen, unterstützt von Linken und Grünen im Namen von Multi-Kulti.

6. Im Satz, „Es sind islamisch-konservative Werte – die nun den leergefegten Platz der christlich-konservativen Werte einnehmen. Auch hier steckt eine tiefe Ironie – so ähneln sich diese Werte in ihren Grundpfeilern – nur ohne Kopftuch.“, setze ich ebenfalls die Werte nicht gleich. Es ist nichts Neues, dass die Weltreligionen wie das Christentum, der Islam und das Judentum viele Gemeinsamkeiten haben, auf denen ihre Tradition und Lebenskultur beruhen.

7. Ich lehne nicht alle „Errungenschaften“ der 68er per se ab. Die 68er haben jedoch auch einen tiefen und großen Schaden in der Kultur der deutschen Gesellschaft hinterlassen.

8. Ich bin kein Opfer. Aber als junges Mädchen war ich für die genannten Muslime „kein guter Umgang“, wurde als Abtrünnige oder sogar als Hure bezeichnet, weil wir lebten „wie die Deutschen“. Dieser Satz war und ist in diesen Kreisen eine Beleidigung, so weh es auch tut, für jene, die es nicht wahr haben wollen, dass ihr Lebensstil – eben auch wegen der damals von dern 68er durchgesetzten Werte verachtet werden. Denn sie stehen für das Gegenteil dieser Werte.

Insofern bin ich kein Opfer „mehr“, denn ich habe mich allein und auch Dank meiner Eltern, die ebenfalls in Verruf bei den Muslimen gerieten und trotzdem zu ihren Kindern standen IN DIE deutsche Gesellschaft gekämpft. Das war nicht einfach, denn die eigene Sozialisation legt man nicht so einfach ab, auch wenn man es möchte.

Adieu?
Sage etwas, lieber Westen, denn ich beginne, dich aufzugeben
Aber meine Geschichte ist nur eine ganz harmlose im Gegensatz zu anderen Frauen, die auch gekämpft haben und heute nicht mehr leben. Deswegen wäre Hilfe schön gewesen. Gab es aber nicht. Geklappt hat es bei mir trotzdem. Meine Kritik gilt den Feministinnen, die den Islam zu spät als eine Gefahr für den „westlichen Feminismus“ erkannt oder ignoriert haben, erst recht jenen, die ihn verherrlichen, obwohl es immer offensichtlich war und stattdessen heute bereits in einem Kompliment eines Mannes einer Frau gegenüber frauenverachtenden Sexismus wittern, Gentlemen zu perversen Machos machten und Männer langsam aber sicher entmannten.

Diese Lücke wird ebenfalls neu besetzt mit Machos und Männern, denen Gendersterne ebenso herzlich egal sind wie Gleichberechtigung im Sinne Schwarzers. Offensichtlich hat es vielen Linken und Grünen, die MultiKulti rufen, doch ziemlich gefehlt, dass ein Mann sie wie eine Frau behandelt und andersherum. Aber damit diese Männer die Frauen später nicht aus Versehen doch unterdrücken, bräuchte es tatsächlich bald wieder eine Alice Schwarzer. Aber die ist ja nun leider eine „rassistische Rechte“. Wer wird ihren Platz einnehmen ?

Mein letzter Punkt: Die Ereignisse um Alice Schwarzer haben mich persönlich sehr erschrocken und geben mir viel zu denken und zu befürchten.

Man muss kein Fan von Alice Schwarzer sein, um trotzdem aufzuschrecken, wenn sogar vor ihr, einem Vorbild vieler Frauen, einer Ikone des Feminismus , einer Verfechterin der Rechte von Frauen und Menschenrechten der Rassismus-Vorwurf nicht halt macht, obwohl sie eigentlich nur tat, was sie immer tat – kritisch denken und sich kritisch zu aktuellen politischen und sozialen Entwicklungen äußern. Und das Kopftuch gehört offenbar zu diesen gesellschaftlich relevanten Themen.

Interview
Warum flunkern Journalisten so viel?
Wir befinden uns in Zeiten, in denen nun sogar eine Linksintellektuelle, die deutschlandweit als solche bekannt ist, eine Wegbereiterin linker Vorstellungen bezüglich der Geschlechter in der Gesellschaft, ohne mit der Wimper zu zucken als rassistisch und rechts abgestempelt werden kann, wenn sie nicht handelt und spricht wie Linke es nun gern hätten. Hier frisst die Revolution ihre Kinder – vor allem dann, wenn sie erwachsen geworden sind und selbstständig denken und leben wollen. Insofern finde ich, ist es wohl tatsächlich die Ironie des Schicksals, dass es die Früchte linker Ideologie und Politik, die Schwarzer einst radikal mit säte, sind, deren Genießer sie heute beschimpfen.

Obwohl es im Islam immer sehr oft um Respekt und Ehrfurcht vor den Älteren geht, sah man in diesem Video ganz deutlich, wem gegenüber dieser zu gelten hat. Das Verhalten der jungen Frauen, die angeblich in einen Dialog treten wollten, zeigte nichts als Verachtung für Alice Schwarzer. Diese versuchte noch, die Situation aufzulockern mit einem banalen Satz, einer banalen Berührung. All das wurde ihr ebenfalls zum Verhängnis dem Medien Echo zufolge. Hier frisst die Revolution ihre Mütter.

Frau Schwarzer hat in dieser Situation ihren Denkfehler offenbart: Sie dachte womöglich, dass die junge Frau eigentlich mit ihr auf der selben Seite steht, weil sie eben beide Frauen sind. Aber das Geschlecht steht hier, beim Feminismus wohlgemerkt, gar nicht mehr im Vordergrund, sondern die religiöse Zugehörigkeit.

Diese Frauen kennen Alice Schwarzer nicht und das, was sie vertritt, vertreten sie nicht. Hier steht eine ganz neue Generation, die im Namen des Feminismus den Islam vertritt, religiöse Konflikte schürt und austrägt, dem die deutsche Gesellschaft nichts mehr entgegenzusetzen hat.