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Aufstellung

Die Liste der gebrochenen FDP-Versprechen wird täglich länger

Die FDP hat mit dem Koalitionsvertrag zentrale Wahlkampfversprechen gebrochen – und geht nachträglich noch darüber hinaus. Mittlerweile fallen inhaltliche Kernpunkte fast täglich. Zeit für eine Übersicht.

IMAGO / epd

Am Freitag endeten die ersten hundert Tage der Ampel-Koalition. Die FDP hatte viele Wahlkampfversprechen mit dem Koalitionsvertrag gebrochen – und machte danach nahtlos weiter. Allein in der letzten Woche fielen das Versprechen des „Freedom Day“ und die Aktienrente. Zeit für eine Aufstellung.

Eine Finanzpolitik, die nicht rechnen kann

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Hatte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner während des Wahlkampfs noch die Notwendigkeit einer Finanzpolitik betont, die ihren Schwerpunkt auf eine für kommende Generationen nachhaltige Aufnahme von Schulden legen sollte, so hat sich das Credo des heutigen Bundesfinanzministers vollkommen geändert. Mit der Aufnahme des Nachtragshaushalts von 60 Milliarden Euro hat Lindner die Schuldenobergrenze entgegen jedweder Wahlversprechen und Antrittsversprechen der Koalition gelockert und den finanzpolitischen Schulden-Voodoo der Vorgängerregierung fortgesetzt.

Hinzu kommen das üppige Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das Bundeskanzler Olaf Scholz im Rahmen seiner Bundeswehrreformen verabschieden ließ, sowie die 200 Milliarden Euro zum Erreichen der Energie-Transformationspläne des Wirtschaftsministers Robert Habeck (B’90/Die Grünen). Offenkundig ist Lindner in seinem neuen Amt genauso überfordert wie seine Vorgänger, die mit ähnlichen finanzpolitischen Mechanismen über viele Jahre hinweg gearbeitet haben.

Steuern steigen stärker als Einkommen

Im Wahlkampf übte die FDP noch starke Kritik an der ungerechten Steuer- und Einkommenspolitik der Bundesregierung. Diesem Fehlmanagement wollte sie mit innovativen Konzepten, wie beispielsweise der Aktienrente oder klaren Steuerentlastungen entgegenwirken. Die Aktienrente steht nun allerdings kurz vor dem endgültigen Aus, genauso wie die Chance auf jedwede Steuerentlastungen, die der Finanzminister auch im Rahmen der steigenden Benzinpreise und der andauernden Inflation nicht in Betracht zieht. Das zentrale Wahlkampfversprechen, keine Steuererhöhungen zu beschließen, hatte es ohnehin nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.

Klima- und Umweltschutz durch Innovation

Die Freien Demokraten wollten den Klima- und Umweltschutz ursprünglich noch durch den Erhalt der einheimischen Artenvielfalt schützen. Da stellt sich nur die Frage, inwiefern dieses Vorhaben mit Habecks Ankündigung, man würde den Natur- und Artenschutz zugunsten des Ausbaus von erneuerbaren Energien lockern, in Einklang gebracht werden soll. Gleichermaßen irreführend war die Aussage des Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP), man würde sich nun entgegen aller Versprechen und des rot-grün-gelben Koalitionsvertrages auf die alleinige Subventionierung von E-Autos fokussieren und synthetische E-Fuels oder Wasserstoff nicht länger fördern. Noch irreführender (und vor allem unseriöser) war die prompte Distanzierung Wissings von seiner unerwarteten Stellungnahme, die nur wenige Tage später erfolgt war. Anscheinend weiß nicht einmal das Spitzenpersonal der Partei, was es im Wahlkampf überhaupt versprochen hat.

„Linksverschiebung in Deutschland wird es mit uns nicht geben“

Christian Lindner warnte vor der Bundestagswahl vor einem weiteren Linksrutsch in der deutschen Bundespolitik. Daher dürfe es auch keine Regierung geben, die diese ideologische Verschiebung in der Gesellschaft weiter manifestieren würde. Es wurde mit Sozialdemokraten und Grünen gestritten, doch bereits in der Wahlnacht sprach das Spitzenpersonal wesentlich gemäßigter gegenüber den potenziellen Koalitionspartnern. Mit einer Antifa-freundlichen Innenministerin Nancy Faeser (SPD), einer ideologischen Kulturstaatsministerin Claudia Roth (B’90/Die Grünen) und einer völlig fehlplatzierten Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ist der Linksrutsch nicht verhindert, sondern aktiv befeuert worden. Die FDP ist mithin schon selbst eine linke Partei. Offensichtlich wurde dies bei der Sitzung im Bundestag, in der die Sitzordnung geändert wurde – nun sitzt die FDP links der CDU.

Presse- und Meinungsfreiheit schützen?

Eigentlich dürfte den Liberalen wenig wichtiger sein als der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit. Deshalb forderte die FDP im vergangenen Jahr die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das Meinungsfreiheit aufgrund seiner einseitigen Natur stark einschränke. Seit Marco Buschmann, Lindner-Vertrauter von früher aus der Arbeit im FDP-Landesverband in Nordrhein-Westfalen, im Amt des Bundesjustizministers angekommen war, änderte sich dessen Einstellung zur staatlichen Zensur massiv. Vor kurzer Zeit forderte er massive finanzielle Sanktionen gegen den Messengerdienst Telegram. Dabei ist dieser wichtiges Mittel der Opposition, dies zeigt sich immer wieder in autoritären Regimen, aktuell in Russland.

Ende der Corona-Maßnahmen?

Marco Buschmann versprach ein „Ende aller Maßnahmen“ am 20. März. Morgen ist also „Freedom-Day“. Eigentlich. Doch die FDP in der Ampel-Regierung scheint an freiheitlicher Politik nicht mehr interessiert zu sein. Bis auf Ulrich Lechte, einem eher unbekannten Hinterbänkler, stimmten alle FDP-Abgeordneten für die einrichtungsbezogene Impfpflicht – oder erschienen gar nicht erst zur Abstimmung. Selbst die „richtige“ Impfpflicht wird von einem Teil der FDP-Abgeordneten befürwortet – allen voran von „MASZ“, Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

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Der „Freedom-Day“ ist also auf unbestimmte Zeit verschoben. Statt einem Ende aller Maßnahmen wurde mit dem neuen Infektionsschutzgesetz die Fortsetzung der Maskenpflicht im „Luft- und Personenverkehr“ und in medizinischen Einrichtungen beschlossen. Und keiner weiß, welche Regelungen der – von der FDP mitgetragene – Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Herbst anordnen wird.

Was stattdessen bei Lindner scheinbar Priorität genießt, zeigt ein Blick auf sein LinkedIn-Profil. Wenige Stunden nach seiner Vereidigung als Bundesminister der Finanzen aktualisierte er seinen LinkedIn-Status. Eventuell ist das bereits Vorsorge für eine außerpolitische Tätigkeit, falls die FDP bei der nächsten Wahl an der 5-Prozent-Hürde scheitert. Vielleicht wäre es ohne die FDP im Bundestag sogar besser um die Freiheit bestellt.

Heute ist der sechste Todestag von Guido Westerwelle. In einer wegweisenden Grundsatzrede sagte er, dass die „Freiheit immer zentimeterweise sterbe“. Bei Lindner muss man andere Maßstäbe anwenden.


Von Jonas Kürsch (20 Jahre) und Simon Rabold (21 Jahre). An diesem Samstag wird die TE-Seite von jungen Autoren betrieben. 

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