Tichys Einblick
Die finanzielle Decke ist zu kurz

Deutschland braucht andere Lösungen als Geldausgeben

Die bisherigen Bundesregierungen haben noch jedes Problem mit Geld gelöst. Doch diese Zeiten sind zu Ende: Die Ampelkoalition wird die erste Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg sein, die einen Wandel vollziehen muss.

IMAGO / Steinach

Corona, Einwanderung oder außenpolitische Bedrohungen – kein Problem, das sich nicht mit Geld lösen ließe. Das galt als oberste Maxime im Deutschland des Wirtschaftswunders. Doch ein Blick auf die öffentlichen Kassen zeigt: Die Decke ist zu kurz. Egal wie wir sie ziehen, irgendwo wird was fehlen. Für die Ampel-Koalition bedeutet das: Sie wird die erste Bundesregierung sein, die einen grundsätzlichen Wechsel vollziehen muss.

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Von den Geiseln in der Landshut 1977 über die Verhandlungen zur Deutschen Einheit 1990 bis hin zu den Pflichten der Bundesrepublik im Irakkrieg 1991 – wann immer sich deutschen Bundeskanzlern Aufgaben stellten, konnten sie sich auf eine prall gefüllte Kasse verlassen, mit deren Inhalt sie diese Aufgaben lösen konnten. Angela Merkel hat diese Politik auf den Höhepunkt gebracht: Ihre Einwanderungspolitik setzte sie gegen die Partner in der EU durch – auf Kosten der verschiedenen staatlichen Kassen.

Auch als die Pandemie ausbrach, galten diese Kassen noch als Lösung aller Probleme: Mit „Wumms“ und der „Bazooka“ würden sich die wirtschaftlichen Folgen der staatlichen Gesundheitspolitik spielend auffangen lassen, wie zumindest die infantilen PR-Begriffe suggerierten. Der Staat – so Merkels frohe Botschaft – könne alle Probleme lösen. Keine zwei Jahre später zeigt sich: Das kann er nicht. Gleichzeitig sind die unterschiedlichen Kosten gestiegen und die Leistungsfähigkeit hat abgenommen.

Im Jahr 2020 haben die staatlichen Kassen laut Statistischem Bundesamt ein Defizit von rund 190 Milliarden Euro erwirtschaftet. 2019 waren es noch rund 45 Milliarden Euro Überschuss gewesen. In die Rechnung einbezogen sind neben den Haushalten des Bundes, der Länder und der Kommunen auch die Bilanzen der Sozialversicherung. Es war das höchste Gesamtdefizit seit der Wiedervereinigung. Das Defizit lässt sich neben den Corona-Ausgaben auch dadurch erklären, dass die staatlichen Einnahmen im Jahr 2020 um 3,5 Prozent zurückgegangen sind.

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Für dieses Jahr hat das Statistische Bundesamt noch keine Gesamtrechnung vorgelegt. Doch die Zwischenbilanzen lassen nur auf eine bedingte Umkehr der Tendenz schließen: Demnach hat die öffentliche Gesamtverschuldung bis zum Oktober um 111,3 Milliarden Euro zugenommen. Alle öffentlichen Kassen zusammen kamen demnach auf eine Verschuldung von 2284,2 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anstieg der Schulden von 7,2 Prozent innerhalb eines Jahres. Unter den Ländern ist es ausgerechnet der einstige Musterknabe Bayern, der mit 12,4 Prozent den höchsten Zuwachs an Schulden verantwortet.

In der Pandemie hat der Staat noch die Sozialversicherungen gestützt. Auch weil SPD und Union nicht mit explodierenden Rentenbeiträgen ins Wahljahr gehen wollten. Oder mit steigenden Kassenbeiträgen. Doch genau die drohen, wenn der Staat finanziell nicht nachlegt. Die Welt hat Berechnungen veröffentlicht, die der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) in Auftrag gegeben hat. Demnach steigt in den nächsten Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen von jetzt 4,5 auf 6 Millionen Menschen. 17 Milliarden Euro würden so im Jahr an zusätzlichen Kosten entstehen – die Ausgaben von derzeit 43 auf 60 Milliarden Euro steigen.

Auch von den Krankenkassen drohen dem Staat höhere Ausgaben. Schon jetzt beträgt der Steuerzuschuss 28,5 Milliarden Euro – fast doppelt so viel wie vor der Pandemie. Er müsse auf 41,3 Milliarden Euro steigen, mahnt der Kassendachverband GKV. Sonst drohe ein Anstieg des Beitrags von 15,9 auf 17,5 Prozent. Für einen Durchschnittsverdiener wären das 24 Euro zusätzliche Kosten im Monat. Für seinen Chef ebenfalls.

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Die „Welt“ wirft der Ampel vor, nichts gegen diese Tendenzen zu tun. Doch zum einen ist das unfair, da die Regierung noch keine 100 Tage im Amt ist. Und zum anderen stimmt es einfach nicht. Die Ampel hat bereits einen anderen Kurs eingeschlagen, auch wenn das in der Monotonie der Forderungen nach härteren Maßnahmen gegen die Pandemie medial untergegangen ist. Union und SPD hatten politisch noch als Ziel ausgegeben, dass die Quote der Sozialabgaben unter 40 bleiben muss. Die Große Koalition hat ihr Ziel knapp erreicht: Bei 39,95 liegt die Quote. Auf bis zu 45 werde sie in den nächsten Jahren steigen, prognostiziert die PKV. Anders als die Große Koalition hat sich die Ampel nicht vorgenommen, diesen Anstieg zu verhindern.

Auch hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits angekündigt, Hand an die Rentenhöhe anzulegen: Die Ampel wolle den „Nachholfaktor“ einführen, sagte er der Bild am Sonntag. Was bedeutet das? Die Renten sind an die Realllöhne gekoppelt. Steigen die Löhne, steigen die Renten im gleichen Tempo. Allerdings, so sieht es der Bund derzeit vor: Fallen die Löhne, sinken die Renten nicht. So war es 2020. Eigentlich hätten die Renten im vergangenen Jahr sinken müssen. Doch wegen der gesetzlichen Regelung blieb das aus. Aufgrund der Anpassung zwischen Ost und West sind die Renten im Osten 2020 sogar gestiegen.

Kommt der Nachholfaktor, kann der Staat diese Senkung nachholen: Steigen die Löhne wieder, steigen die Renten nicht mehr im gleichen Tempo. Die ausgebliebene Senkung holt der Staat so nachträglich nach. Laut Handelsblatt war für 2022 ein Anstieg der Renten um 5,2 Prozent vorgesehen. Kommt der Nachholfaktor, steigen sie nur noch um 4,4 Prozent. Der Gewerkschaftsbund DGB kritisiert diesen Plan: „Auch ohne Nachholfaktor steigen die Renten von 2020 bis 2025 schon langsamer als die Löhne“, sagt Vorstandsmitglied Anja Piel.

In seinen ersten Tagen geht das Kabinett Scholz das Thema nur langsam und leise an. Nachholfaktor und höhere Sozialabgabenquote sind halt nicht so sexy wie „Wumms“ und „Bazooka“. Noch viel mehr Geld vom Staat wird es für die Sozialversicherungen nicht geben. Die Decke ist zu kurz. Egal wie sie verschoben wird, irgendwo gibt es immer kalte Füße. Zumal der produktive Kern des Landes bedenklich schmilzt. Das Land befindet sich in einer gewaltigen Verrentungswelle. Die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Boomer, wechseln in den Ruhestand. Das bedeutet nicht nur entsprechend höhere Kosten – das bedeutet auch, dass viele Fachkräfte an ihrem Arbeitsplatz fehlen werden: vom Einzahler zum Kostenfaktor.

Studie zur schmelzenden Mittelschicht
OECD empfiehlt Deutschland: Die Einkommenssteuer muss sinken
Die Einwanderung löst das Problem nicht, wie 2015 noch manche gehofft haben. Stattdessen verursacht sie zusätzliche Kosten: 380.000 Menschen haben laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2019 Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. 2015 waren es noch 975.000 Menschen. Ist der Asyl- oder Flüchtlingsstatus anerkannt, fallen sie aus dieser Statistik hinaus. Ihr wirtschaftlicher Aufstieg beginnt damit nicht: Einwanderer tun sich schwer, in die deutsche Mittelschicht aufzusteigen, wie eine Studie der OECD ergeben hat. In der Beschäftigungsstatistik erreichten Ausländer 2020 schlechtere Werte als der Schnitt: Von 81,8 Millionen Einwohnern beziehen laut Statistischem Bundesamt 2,3 Millionen Menschen Hartz IV. In der Kategorie „Ausländer mit eigenem Migrationshintergrund“ sind es demnach 883.000 von 8,7 Millionen Betroffenen. Von allen in Deutschland Lebenden sind demnach 2,8 Prozent in Hartz IV, bei Einwanderern sind es 10,1 Prozent. Rente und Pensionen beziehen 10 Prozent von ihnen, in der Gesamtbevölkerung sind es über 20 Prozent.

Die Zahl der Menschen, die im Verarbeitenden Gewerbe (ohne Bau) ihr Geld verdienen, ist indes zurückgegangen: 1991 waren es noch rund 11 Millionen Menschen, übrig geblieben sind 2020 noch 8,2 Millionen Menschen – ein Rückgang von einem Viertel in weniger als 30 Jahren.

Der Öffentliche Dienst ist indes gewachsen: Von 4,6 Millionen Beschäftigten im Jahr 2005 auf 5 Millionen Beschäftigte im Jahr 2020. Zwar lag die Zahl der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst 1991 noch bei über 6 Millionen. Doch zählten damals Bahn und Post noch als Öffentlicher Dienst. Nicht eingerechnet sind die Menschen, die indirekt vom Öffentlichen Dienst leben. Etwa Agenturen, die Wohlfühlbroschüren für Ministerien und Kommunen erstellen. Doch auch ohne ausgelagerte Aufgaben wachsen die Ausgaben der Kommunen: Im Vergleich zu 2010 beschäftigen sie mittlerweile 240.000 Menschen mehr – nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

METZGERS ORDNUNGSRUF 42-2021
Der Bundesrechnungshof mahnt: Keine Zukunft auf Pump
Verbrauchssteuern haben die Bundesregierung und ihre Vorgänger bereits erhöht. Ob die CO2-Steuern die Welt retten, bleibt noch abzuwarten – die Bilanz der öffentlichen Hand schönen sie bereits. Weitere Verbrauchssteuern sind zu erwarten. Sie passen auch unter das Deckmäntelchen des Klimaschutzes oder des Tierwohls. Doch weitere Steuern auf Arbeit sieht hingegen unter anderem die OECD als problematisch an. Hier müsste Deutschland eigentlich den produktiven Kern entlasten. In Sicht ist das allerdings nicht. Eher realistisch ist, dass der produktive Kern noch weiter belastet wird. Einen Vorgeschmack darauf gab die Pandemie: Wer als Unternehmer Hilfen benötigte, musste sich durch einen Papierkrieg quälen. Der bürokratische Aufwand sei unverzichtbar, sagte die Verwaltung. Der bürokratische Aufwand sei unzumutbar, sagte die Verwaltung ebenfalls – als es um sie selbst ging. Deshalb haben Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes ihren Corona-Zuschlag von 600 Euro 2020 auch pauschal erhalten – und steuerfrei.

Höhere Ausgaben, weniger Leistungsträger. Und eine schon jetzt steigende Belastung der Leistungsträger. Die Ampelkoalition wird weder damit durchkommen, Aufgaben auszusitzen, noch damit, sie durch Geldverteilen lösen zu wollen. Sie muss echte Reformen einleiten: staatliche Aufgaben auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls abschaffen, Unternehmertum fördern statt behindern. Brechen noch mehr Unternehmen weg, gibt es noch mehr Menschen, die von staatlichen Transfers leben oder von staatlichen Gehältern oder von staatlichen Aufträgen. Irgendwann wird es einer zu viel sein.

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