Tichys Einblick
Mehr Geld für Altenpfleger

Die bange Frage: Kann ich das Heim für meine Eltern noch bezahlen?

Pfleger in Altenheimen werden künftig besser bezahlt. Eine gute Nachricht, eigentlich. Doch viele Menschen stellen sich nun die Frage: Kann ich mir das Heim für meinen Angehörigen noch leisten? Das hängt von Karl Lauterbach (SPD) ab.

Altenpfleger schiebt einen Rollstuhl im Pflegeheim Heidelberg

IMAGO / photothek

Der Fachkräftemangel in der Pflege bedroht die Versorgung. Vor allem in der Altenpflege. Deswegen versucht die Politik, Gründe für den Fachkräftemangel zu beseitigen. Einer davon ist die schlechte Bezahlung. In der Altenpflege haben die Fachkräfte bisher deutlich weniger verdient als in der Krankenpflege.

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Bereits die letzte große Koalition hat politische Schritte eingeleitet, um dies zu ändern – auch die Ampel hat sich die Angleichung der Gehälter zum Ziel gesetzt. Zwischen 2017 und 2021 sind die Löhne in der Altenpflege um 20,8 Prozent gestiegen, teilt das Gesundheitsministerium mit. Damit habe die Altenpflege aufgeholt, in der Krankenpflege seien die Löhne in der gleichen Zeit nur um 13,6 Prozent gestiegen – aber immer noch höher. Vor dem Jahr 2020 verdiente eine Fachkraft in der Altenpflege allerdings weniger als der durchschnittliche Arbeitnehmer in Deutschland – nun liegt er über dem Schnitt.

Jetzt wird es einen weiteren Sprung geben: Die Altenheime sind seit diesem Monat verpflichtet, nach Tarif zu zahlen. Das Gesundheitsministerium rechnet damit, dass die Gehälter nochmal zwischen 10 und 30 Prozent steigen werden. Diese Verpflichtung hatte noch Karl Lauterbachs (SPD) Vorgänger als Gesundheitsminister auf den Weg gebracht: Jens Spahn (CDU). „Die Löhne der Pflegekräfte in den Heimen steigen erheblich und das ist gewollt. Das ist ein später Dank für alle aktiven Pflegekräfte und ein gutes Zeichen an alle, die diesen wichtigen und erfüllenden Beruf ergreifen wollen“, sagt nun Lauterbach.

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Doch mit dem Geld im Gesundheitswesen ist es wie mit einer Bettdecke: Sichert sich der eine mehr davon, hat der andere weniger. Lauterbach sieht die Pflegekasse in der Pflicht. Sie solle den Heimen das zusätzliche Geld bereitstellen, damit diese die höheren Gehälter zahlen können. Nur: Die Pflegekasse ist selbst finanziell am Limit. TE berichtete darüber vor drei Wochen. Im ersten Halbjahr hat die Pflegeversicherung nach Angaben des Gesundheitsministeriums ein Defizit von 1,95 Milliarden Euro erwirtschaftet. Allein im Juli waren es dann nochmal 600 Millionen Euro.

Die steigenden Gehälter sind nur ein Faktor. Im vergangenen Jahr hat die Pandemie die Ausgaben nach oben getrieben: Die Kosten für Tests und andere Maßnahmen muss am Schluss jemand bezahlen. Jetzt kommen noch die steigenden Energiepreise dazu. Im Sommer hat Lauterbach die Pflegekasse notdürftig mit einem Darlehen zahlungsfähig gehalten. Doch kommt keine Reform, droht diese Zahlungsunfähigkeit erneut. Entsprechende Vorschläge will Lauterbach vorlegen. Bald.

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Von der Pflegeversicherung können sich Betroffene und Angehörige also nur bedingt Hilfe erhoffen. Folglich droht es an ihren Geldbeutel zu gehen. Schon zum Jahresbeginn lag der durchschnittliche Eigenanteil bei 2.179 Euro im Monat, wie der Verband der Ersatzkassen mitteilte, zu dem unter anderem die Barmer gehört. Der geringere Teil dieser Summe geht bisher an die eigentliche Pflege: nämlich 873 Euro im Monat. Wobei diese Summe regional stark variiert. In Thüringen waren es zum Jahresbeginn 615 Euro und in Baden-Württemberg 1167 Euro.

Den größeren Teil des Eigenanteils zahlen die Betroffenen und Angehörigen für Kost, Logis und andere anfallende Kosten. So unterscheiden sich auch hier die Summen von 1.539 Euro Eigenanteil in Sachsen-Anhalt bis zu 2.496 Euro in Nordrhein-Westfalen. Erstaunlich ist, dass der Eigenanteil mit 2.455 Euro im Saarland überdurchschnittlich hoch ist – nicht gerade ein Bundesland, das für hohe Mieten, Immobilienpreise oder Lebenshaltungskosten bekannt ist. Aber für eine Caritas-Affäre, in deren Folge saarländische Minister zurücktreten mussten.

Auf die Betroffenen und ihre Angehörigen kommen nun schwere Zeiten zu. Das Gesundheitsministerium verweist darauf, dass es zum Jahresanfang die Zuschüsse erhöht hat. Bewohner erhalten je nach Höhe ihres Pflegegrades Zuschüsse in Höhe von 5 bis 70 Prozent der Gesamtkosten. Nur: Mehr gibt es auch nicht. Egal wie nun durch Energiekrise, Lohnerhöhungen und gegebenenfalls Pandemie die Preise weiter steigen werden. Von mindestens 15 Prozent Kostenanstieg bis zum Jahresende geht Eugen Brysch gegenüber NTV aus. Er ist Vorstand der „Deutsche Stiftung Patientenschutz“. Die 15 Prozent sind wohlgemerkt der von ihm erwartete Durchschnitt. Im Einzelfall können das entsprechend auch 30 oder 40 Prozent Kostensteigerung werden – oder auch noch mehr.

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Das wird zu Situationen führen, in denen alle unterschiedlich an der Decke ziehen: Manche Betroffene werden Pflegeheime verlassen müssen, weil sie diese nicht mehr zahlen können. Andere werden Schulden bei den Heimen machen, was wiederum diese in Finanznot bringt. Auch rechnen Experten damit, dass die Zahl derer zunehmen wird, die Pflegewohngeld erhalten. Das zahlen einige Bundesländer, um die Lücke zwischen Finanzkraft und Eigenanteil zu schließen. Doch muss dieses Geld Jahr für Jahr neu beantragt werden.

Damit kommt eine Währung ins Spiel, die sich nicht in Zahlen kleiden lässt: Stolz. Die meisten Betroffenen entstammen noch einer Generation, die für sich selbst gesorgt hat. Sie haben Angst, der Gesellschaft auf dem Geldbeutel zu liegen oder noch schlimmer: den eigenen Kindern. Diese sind seit der letzten Legislatur fein raus: Verdienen sie weniger als 100.000 Euro im Jahr, müssen sie nicht für die Pflegekosten ihrer Eltern aufkommen. Doch die Heime berichten von einer unklaren Lage, etwa wenn es mehrere Angehörige gibt. Und auch viele Kinder wollen ihre Eltern nicht alleine lassen, auch wenn sie es gesetzlich nicht müssten. Wobei diese „Kinder“ meist selbst über 50 Jahre alt sind.

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Die Hürde, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, seien noch relativ hoch, berichten die Heime aus ihrer Praxis. Sodass es darauf hinausläuft, dass viele die höheren Eigenanteile selbst schultern wollen. Die höheren Löhne und damit die höheren Kosten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen waren absehbar. Eine politische Lösung ist noch nicht in Sicht: „Der Eigenanteil muss begrenzt werden“, sagte Lauterbach im RTL-Nachtjournal: „Dazu werden wir in dieser Legislaturperiode entsprechende Schritte unternehmen.“ Noch eine ausstehende Reform also.

„In dieser Legislaturperiode“. Das heißt, dass sich Lauterbach bis zu drei Jahren Zeit lassen will für die Deckelung des Eigenanteils. Doch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind schon jetzt alarmierend: Rund 800.000 Menschen leben derzeit in stationärer Pflege. Zwei von fünf sind auf Sozialhilfe angewiesen. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und des niedrigen Rentenniveaus in Deutschland werden diese Zahlen an Dramatik eher zu- als abnehmen. Zumal Menschen immer öfter ein Alter erreichen, in dem zur Pflegebedürftigkeit auch noch chronische Krankheiten dazu kommen, was die Pflege entsprechend erschwert und am Ende des Tages auch verteuert. Denn egal wo die Decke auch hin wandert: Einer wird bezahlen müssen.

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