Tichys Einblick
Die Globalismus-Illusion bröckelt

Gibt es Krieg um Taiwan – und warum ist die kleine Insel wichtig für China?

Der sich zunehmend an der Diktatur Maos orientierende Xi fürchtet Taiwans Demokratie als heimliches Vorbild der neuen Mittelschicht auf dem Festland. Wer im Inland seine Macht gefährdet sieht, braucht einen außenpolitischen Konflikt, um die Reihen hinter sich zu schließen.

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, Mitte, mit der US-Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi und Delegierten am 3. August 2022 in Taipeh, Taiwan

IMAGO/Zuma Wire

Wir wissen nicht, ob Nancy Pelosi, als Mitglied der Biden-Partei Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, ursprünglich tatsächlich geplant hatte, die demokratische Republik China auf der Insel Taiwan zu besuchen. Auf ihren veröffentlichten Reiseplanungen war Taipeh nicht vermerkt. Spätestens jedoch, als die rotchinesische Regierung in Peking einen möglichen Pelosi-Besuch auf der Insel zum Kernthema der US-China-Beziehungen machte und den USA mit Höllenstrafen drohte, konnte die Politikerin nicht mehr anders. Denn nun ging es um das, was in Fernost fast noch wichtiger ist als alles andere: um die Frage des Gesichtsverlusts.

Pelosi musste Taiwan besuchen – und Peking wusste es, weil es diesen Besuch selbst gezielt provoziert hatte. Und so liefen die Vorbereitungen auf das, was nach dem Besuch geschehen sollte, in der Volksrepublik (VRC) lange schon auf Hochtouren, noch bevor Pelosi überhaupt die USA verlassen hatte. Weshalb auch in den USA die Verantwortlichen längst die Konzepte für die Nach-Besuchs-Ära auf dem Tisch liegen hatten und deshalb gelassen reagieren konnten, als Maos Volksunterdrückungsarmee ihr militärisches Großfeuerwerk über die Insel hinweg startete.

Die Ein-China-Doktrin

Offizieller Hintergrund des Säbelziehens ist der nationalchauvinistische Anspruch der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), die vorgelagerte Insel Taiwan, die faktisch so gut wie nie Teil des großchinesischen Reichs gewesen ist, als eigenes Territorium zu beanspruchen. Die roten Mandarine bezeichnen ihren Alleinherrschaftsanspruch als „Ein-China-Politik“ – es darf nur einen Staat geben, in dem die Han-Chinesen das Sagen haben. Das gilt auch für jene annektierten Regionen, in denen ursprünglich Nicht-Chinesen die Bevölkerungsmehrheit gestellt hatten, wie es in Tibet (1951 von Maos Volksunterdrückungsarmee zwangseingemeindet) und in Ostturkestan (1949 als Xinjiang annektiert) der Fall ist.

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Mit der Anerkennung der kommunistischen Sieger im Krieg gegen die bürgerliche Kuomintang durch die USA im Jahr 1978 geriet die wirtschaftlich erfolgreiche Inselrepublik international in die diplomatische Isolation. Bereits 1971 hatte die Vollversammlung des Regierungenvereins UN die Nationalchinesen vor die Tür gesetzt und den chinesischen Sitz im Sicherheitsrat den Kommunisten übertragen. Unter Deng Xiaoping erleichterte das Modell des einen China mit zwei (Wirtschafts-)Systemen den USA die Kooperation, indem nun eine friedliche Vereinigung der beiden Chinas möglich schien. Erst als das sich zunehmend mehr am Massenmörder Mao zurückorientierende Regime des Xi Jinping das Konzept Dengs zu den Akten legte und in Hongkong unter Bruch der Verträge mit dem Vereinigten Königreich die Demokratiebewegung vernichtete, kristallisierte sich erneut die Taiwan-Frage als öffentlich ausgetragener Konflikt zwischen der VRC und den USA.

Sachlich betrachtet erscheint dieser Konflikt an den Haaren herbeigezogen, denn mit dem Status quo, der eine zunehmende wirtschaftliche Nähe zwischen Insel und Festland schuf, hätten beide Großmächte leben können, wenn nicht – ja, wenn nicht was?

Chinas maritimer Imperialismus

Die VRC entwickelt unter Xi zunehmend imperiale Ambitionen, die deutlich über das eigentliche Mutterland hinausgehen. Die Besetzung von Korallenatollen im Südchinesischen Meer, die als chinesisches Hoheitsgebiet beansprucht und zu Militärstützpunkten ausgebaut werden, führte bereits zu erheblichen Diskrepanzen mit den kleineren Nachbarn in Vietnam, Malaysia, Indonesien und den Philippinen. Nutzungsverträge mit der Errichtung chinesischer Stützpunkte, die offiziell als Fischereihäfen ausgegeben werden und beispielsweise mit Papua-Neuguinea und den pazifischen Salomonen abgeschlossen wurden, werden von Australien als unmittelbare Bedrohung aufgefasst.

Dessen Beitritt zum US-geführten AUKUS-Militärbund wiederum wird von der VRC nicht zu Unrecht als gegen die Interessen Pekings gerichteter Akt betrachtet. Xis maritimer Imperialismus, der unter dem Deckmantel der Neuen Seidenstraße zudem noch rotchinesische Enklaven beispielsweise in Pakistan geschaffen hat, führt unmittelbar zur Konfrontation mit den pazifischen Ambitionen der USA und deren demokratischen Verbündeten nicht nur in Japan und Südkorea.

Chinas Angst vor der Demokratie und Negativwachstum

Fast noch bedeutsamer jedoch ist die kommunistische Angst vor der politischen Selbstbestimmung des Volkes. Seit die Republik China auf Taiwan sich zu einer Musterdemokratie entwickelt hat, fürchtet Peking dessen Einfluss nicht nur auf die Exil-Chinesen, sondern auch auf die zunehmend selbstbewusster werdende Mittelschicht im eigenen Land.

Es ist das klassische Muster der Despoten. Ob Putins Überfall auf die sich Richtung Demokratie bewegende Ukraine, ob im Nahen Osten der klerikal-islamische Hass auf Israel – die Angst davor, dass Selbstbestimmungsansprüche des Volkes die Alleinherrschaft und damit die Kleptokratie der Eliten beenden könnten, ist die eigentliche Handlungsmotivation hinter allem Imperialismus- und Militärgeklingel. Der sich zunehmend an der Diktatur Maos orientierende Xi fürchtet, dass sich Taiwans Demokratie zum heimlichen Vorbild der neuen Mittelschicht auf dem Festland entwickeln könnte. Wer im Inland seine Macht gefährdet sieht, braucht einen außenpolitischen Konflikt, um die Reihen hinter sich zu schließen.

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Beflügelt wird diese Angst durch den von Xi organisierten Quasi-Zusammenbruch der chinesischen Wirtschaft. Die mit allen, auch militärischen Mitteln durchgesetzte Null-Covid-Strategie gegen ein aus einem chinesischen Labor entsprungenes Corona-Virus hat weite Teile der bis dahin erfolgsverwöhnten Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Offiziell hält das Zentralkomitee der KPCh am Wachstumsziel 5,5 Prozent fest. Tatsächlich aber ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2022 bereits um 2,6 Prozent geschrumpft – und nicht wenige Beobachter gehen davon aus, dass das erst der Anfang sein wird. Die Folgen schlagen bereits jetzt global auf die Weltwirtschaft durch: Neben der katastrophalen Geldpolitik der EZB ist auch die Wirtschaftspolitik der KPCh ein Treiber der Inflation.

In dieser hausgemachten Situation steht Xi im Herbst vor der Situation, sich ein drittes Mal quasi zum Alleinherrscher über die Volksrepublik ernennen lassen zu wollen. Dabei wirken auf ihn einerseits die zunehmend an Bedeutung verlierenden Wirtschaftsliberalen, andererseits die radikalen Nationalisten, die den Lohn des massiven Ausbaus des chinesischen Militärapparats einfahren wollen.

Anti-Amerikanismus als Ventil

Nur so erklärt sich nun die mangelnde Souveränität des Xi im Umgang mit dem Pelosi-Besuch. Ein selbstbewusster Führer in Peking hätte nicht mit den Säbeln rasseln müssen, sondern die Chance genutzt, seine Freude über den Besuch in der chinesischen Stadt Taipeh zum Ausdruck zu bringen, und dieses mit der Einladung verbunden, Pelosi möge doch nun in der Hauptstadt des besuchten Landes Station machen. Mit einem solchen Vorgehen hätte Xi nicht nur den Ein-China-Anspruch souverän unterstrichen, sondern der US-Demokratin auch jeglichen Wind aus den Segeln genommen und zudem die angespannte Situation elegant und ohne jeden Gesichtsverlust entschärfen können. Stattdessen aber geht Xi auf Konfrontation und erzwingt den Pelosi-Besuch auf der Insel gezielt.

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Damit wird klar: Der Chef der KPCh steht unter massivem Druck der Hardliner in den eigenen Reihen. So auch erklärt sich der in der kommunistischen Global Times präsentierte Anti-Amerikanismus in klassischer „Stürmer“-Manier und die Renaissance Maos als angeblich weiser Führer des Landes.

Gleichzeitig jedoch scheint Xi die finale Konsequenz derzeit noch zu scheuen. Taiwan wird belagert und mit Raketenfeuerwerk beleuchtet. Die Beziehungen zu den USA werden in vielerlei Hinsicht eingefroren – so beispielsweise in der Klimafrage, womit nun die deutschen Neubauers und Reemtsmas abschließend zu Lachfiguren werden. Zudem wird – Sippenhaft ist in der VRC schon immer kulturelles Nationalgut – Pelosis Familie sanktioniert, was dieser vermutlich jedoch eher weniger Sorgen bereiten wird. Zudem rückt die Volksrepublik deutlich intensiver an die Despoten Russlands heran, deren Propaganda beispielsweise in Sachen Ukraine wortgetreu übernommen und verbreitet wird.

Wohlstand wird zum Luxusgut

Für den weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts verheißt diese Entwicklung wenig Gutes. Das, was in Ländern wie der Bundesrepublik noch an Demokratie übrig ist, seitdem die Verfassung als Schutzinstrument des Bürgers vor einem übergriffigen Staat zu einem exekutiven Katalog der Staatsziel- und -aufgabenbeschreibung mit obrigkeitsgefälligem Volk umgeformt wird, gerät zunehmend ins Hintertreffen gegenüber dem weltweiten Schulterschluss der Despoten. Der Besuch des Immer-Noch-Nato-Mitglieds Erdogan bei Freund Putin in Sotschi dokumentiert zudem, wie tief der Stachel bereits im Fleisch der westlichen Staaten sitzt.

Die idealistischen Vorstellungen einer globalen Welt im friedlichen und konstruktiven Handel gehören ohnehin schon der Vergangenheit an. Die Illusion, vor allem die großen Verursacher von CO2 würden gedeihlich an einem Strang ziehen, platzt gegenwärtig wie eine Seifenblase. Der sozialistische UN-Vortänzer, dem in der globalen Crisis nichts Besseres einfällt, als „Übergewinnsteuern“ zu fordern, wird immer offensichtlicher zur Witzfigur.

Für jene, die ihres Wohlstands überdrüssig sind und sich in welthumanistische Idealvorstellungen verlaufen haben, wird es ungemütlich. Und das nicht erst im Herbst, wenn der Gasmangel Energie und Wärme zum absoluten Luxusgut machen wird.

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