Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 25-2019

„Die CDU ist Angela Merkel auf Gedeih und Verderb ausgeliefert!“

Eine Regierungspartei ohne Kompass, die zwischen Anbiederung an die Grünen und Abgrenzung zur AfD oszilliert, hadert mit ihrer Abhängigkeit von der Noch-Kanzlerin.

Sean Gallup/Getty Images

Demissioniert sie oder hält sie durch bis zum Ende der Legislaturperiode? Wann geht sie – mit Ankündigung oder holterdiepolter? Wer folgt ihr: AKK, Laschet, Merz oder irgendwer sonst? Gibt es dann Neuwahlen oder eine Kanzlerwahl im Bundestag? Wird die parlamentarische Sommerpause zum Krisensommer der CDU, die der SPD in den Abgrund zu folgen droht? Oder kann eine Noch-Volkspartei, die programmatisch ausgelaugt ist und vorwiegend mit sich selbst hadert, einen erfolgreichen Neustart wagen, solange Merkel als Kanzlerin präsidiert? Ein ehemaliger Staatssekretär brachte das Dilemma der CDU hinter verschlossenen Türen auf den fatalistischen Nenner: „Wir sind – ob es uns passt oder nicht – auf Gedeih und Verderb Angela Merkel ausgeliefert!“

Gefahr für Ihr Geld
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Selbst altgediente Beobachter der politischen Szene können sich nicht erinnern, je so viel Larmoyanz und Fatalismus bei Unionsabgeordneten wahrgenommen zu haben wie heute. Dabei ist die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause ansonsten immer geprägt von der Vorfreude auf den Urlaub, den sich auch Abgeordnete in der langen Berliner Sitzungspause gönnen. Doch niemand weiß, was in diesen Sommertagen an disruptiven Personalentscheidungen ansteht, Sondersitzungen des Parlaments eingeschlossen. Im heißen Treibhausklima dieser Tage gedeihen so manche Hirngespinste. Was passiert, wenn beim EU-Sondergipfel am Sonntag keine Einigung auf das Personaltableau für die diversen Spitzenpositionen der EU zustande kommt und die deutsche Kanzlerin erfolgreich gedrängt wird, doch EU-Kommissionspräsidentin zu werden? Immerhin hat sie, wie auch der französische Präsident, bereits signalisiert, dass sie künftig für transnationale Listen zur Wahl des EU-Parlaments eintritt – mit echten EU-europäischen Spitzenkandidaten. Dieses Friedensangebot an das EU-Parlament verbunden mit einer EU-weit breit getragenen deutschen Ex-Kanzlerin an der Kommissionsspitze, das würde doch einen souveränen Ausweg aus der aktuellen Personalblockade bieten, mutmaßen nicht wenige in Berlin.

Doch wer kommt dann? Am Dienstagabend trafen beim traditionellen Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion einige als Nachfolger gehandelte Aspiranten auf die Kanzlerin. Sie redete kurz, sparte sich das Thema EU komplett und hofierte vorwiegend den geladenen Mittelstand. Der Applaus war freundlich, die etwa 2.000 Gäste waren ruhig. Als die Parteivorsitzende AKK redete, deutlich länger und reichlich beliebig, wurde es lauter und der Applaus war deutlich spärlicher. Friedrich Merz war im Garten des Kronprinzenpalais dabei, auch Jens Spahn natürlich wie diverse andere Bundesminister. Nur Armin Laschet aus NRW sah man nicht.

Hass, Drohungen, Gewalt
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Wer während AKKs Rede aufmerksam in den Gesichtern der vielen Unionsabgeordneten zu lesen suchte, ob eine Wachablösung im Kanzleramt durch die Saarländerin für die Union neuen Elan versprechen könnte, sah alles andere als Begeisterung. Wer soll es denn machen, wenn Merkel demissioniert, seufzen sie hinter vorgehaltener Hand. Drohen dann Neuwahlen, die doch SPD wie Union gleichermaßen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Außer bei den Grünen, die kollektiv lieber gestern als heute Neuwahlen hätten, um endlich ihre demoskopische Stärke auch in Mandate umsetzen zu können, freut sich im Reichstag niemand auf Neuwahlen. Bei der SPD wackelten bei den derzeitigen Umfrageergebnissen fast die Hälfte der bisherigen Abgeordnetenmandate. Auch bei der Union müssten gut 50 MdBs mit dem Verlust ihrer Mandate rechnen, sollten sich die schlechten Umfrageergebnisse tatsächlich bei Neuwahlen niederschlagen. Die Angst vor dem Mandatsverlust wird zusätzlich dadurch unkalkulierbar, dass in manchen Ländern die Listen nicht mehr ziehen, weil die Union mehr Direktmandate erzielen dürfte, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht tatsächlich Mandate zustehen.

Ja, in der Tat: Viele Abgeordnete in Berlin haben richtiggehend Angst vor Neuwahlen. Denn das Volk agiert in ihren Augen immer irrationaler. Versucht die Union Grüne Klimaschutz-Phantasien zu adaptieren, dann wählen bisherige Unionswähler lieber gleich das Original. Versucht die Parteivorsitzende in der Fernsehrunde bei Anne Will eine harte Abgrenzung zur AfD, weil diese Partei beim Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke quasi den Finger mit am Abzug des Täters hatte, dann beklagen sich sächsische CDU-MdBs im kleinen Kreis, damit treibe AKK der AfD im Osten eher weitere Wähler zu, weil die sich nicht kollektiv in die rechtsextremistische Ecke schieben lassen wollten.

Wahl-oh-weh-Mat
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Doch „Niemals mit der AfD!“ ist seit Montag offizielle Beschlusslage des CDU-Präsidiums. Abgrenzung gegen Rechts beherrscht den medialen Raum und die CDU lässt sich – ohne die strategischen Konsequenzen zu bedenken – mitreißen. Dabei droht der CDU – und das sagen die sächsischen CDU-Leute frank und frei – gerade wegen der AfD eine bittere Niederlage am 1. September. Ministerpräsident Kretschmer könnte den Wahlkreis Görlitz, in dem er auf den AfD-„Verlierer“ (mit 44%) der Görlitzer OB-Wahl trifft, genau an diesen Mitbewerber verlieren.

Die CDU Sachsen wird, selbst wenn sie knapp vor der AfD bleiben sollte, eine Koalition mit den Linken und den Grünen bilden müssen, um die starke AfD in der Opposition zu halten. Manche politischen Unvereinbarkeitsbeschlüsse münden dann eben in Koalitionen mit dem Klassenfeind von gestern – der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“. Politik paradox! Sollte die Bundes-CDU glauben, dann künftig vor Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot warnen zu können, wenn man selbst mit der Linkspartei koaliert, dann haben die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus nicht alle Tassen im Schrank.

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