Tichys Einblick
Serie „Nach Merkel“

Union in der Krise: Die Fahrt hinunter zur 20-Prozent-Partei

Die Bundeskanzlerin führt ihre Partei im hoffentlich letzten Akt ihrer Regentschaft noch einmal in eine tiefgreifende Krise. Ihr Propaganda-Apparat wird Verfehlungen von CDU- und CSU-Politikern für die schlechte Lage und Wahlergebnisse ins Feld führen. Doch die wahre Verantwortliche ist Angela Merkel selbst.

IMAGO / Winfried Rothermel

Das System Merkel geht seinem Ende entgegen und fordert auch dabei seine Opfer. Im Superwahljahr 2021 fällt die Kanzlerpartei jetzt tief hinunter. Erhielt die Union im ersten Corona-Jahr 2020 trotz fragwürdigem Krisenmanagement vom Wahlvolk noch 38,5 Prozent in Umfragen, so stürzen Merkels Regierungsparteien aufgrund ihrer immer offensichtlicher werdenden Chaospolitik bei Impfstoffen, Maskenzwang und irrwitzigen Corona-Regeln jetzt gewaltig ab.

Bereits am 8. März hat die Union in einer INSA-Umfrage zur Bundestagswahl schon die niedrige Schwelle von 30 Prozent erreicht. Der Weg zur 20-Prozent-Partei ist programmiert. Selbst in einst traditionellen CDU-Hochburgen wie Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg sieht es schlecht aus. Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen stellen in der ersten März-Woche fest: In Helmut Kohls Rheinland-Pfalz fällt die CDU jetzt auf nur noch 29 Prozent und in Erwin Teufels Baden-Württemberg auf dürftige 24 Prozent. Das sind Umfrageverluste von sieben bis acht Prozentpunkten innerhalb eines knappen Jahres.

Regierungsaussichten liegen für Merkels CDU in weiter Ferne oder sie gehen verloren. Die SPD-geführte Ampel in Mainz mit FDP und Grünen darf womöglich weiterregieren. Eine Grünen-geführte Ampel mit SPD und FDP könnte durchaus in Stuttgart das Ländle regieren.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Konservative Protestwähler bleiben wohl eher zu Hause, weil Politik und Medien die Alternative für Deutschland als „rechtsextrem“ stigmatisiert haben. Ein Teil könnte aus Verzweiflung noch die softe FDP als kleineres Übel wählen. Andere entscheiden sich womöglich lieber gleich für die Grünen. Die Sozis schrumpfen im Merkel-Schatten hingegen nur leicht dahin. Zwei bis drei Prozentpunkte Verlust sind für sie ja auch schon ein schönes Ergebnis.
Wer Merkel-Politik will, wird lieber gleich die Grünen wählen

Richtig hart wird es jedoch Merkels Truppe treffen. „Beginnen für die Union jetzt die 20er-Jahre?“, fragt dieser Tage die Bild-Zeitung. Als Ursache machen CDU-Bundesvorständler das katastrophale Bild der Bundesregierung aus. Obendrein ist der neue Parteivorsitzende Armin Laschet nahezu unsichtbar. In Video-Konferenzen sähen Unionsabgeordnete der Bundestagsfraktion, den zugeschalteten NRW-Ministerpräsidenten sogar einschlafend während der Fahrt im Dienstwagen, berichten Teilnehmer. Wie wolle Laschet dann einen Bundestagswahlkampf durchstehen?

Grün kann man direkt wählen
Serie „Nach Merkel“: Die CDU sitzt in der Falle
Allerdings sei der Möchtegern-Kanzlerkandidat aus Bayern, Ministerpräsident Markus Söder, auch nicht viel besser. Als rabiater Corona-Wächter habe er sich außerhalb Bayerns keinen nachhaltigen Ruf erworben. Sein derzeitiges Image könne sich im Wahlkampf so schnell verflüchtigen, wie die vor einigen Monaten noch guten Umfragewerte der Union. Denn: Wer will schon einen grünen CSU-Kandidaten von der „Christlich-Sozialistischen Union“ wählen, dann doch lieber gleich das grüne Original, spotten Söders Kritiker in den eigenen Reihen.

Im Super-Wahljahr rächt sich offensichtlich das unterwürfige Dienern von Laschet und Söder gegenüber ihrer voraussichtlich abtretenden Kanzlerin. Wer im Herbst auf Merkel-Stimmen hoffe, müsse wissen, dass es Merkel-Stimmen nur mit Merkel-Politik gebe, verkündet Söder beim digitalen Aschermittwoch. Damit glaubt der Bayer seinen Rivalen aus Nordrhein-Westfalen ausstechen zu können. Doch die Zuversicht in die Merkel-Politik sinkt mit immer länger anhaltendem Lockdown und Impfchaos rapide. Da helfen selbst plötzliche Absetzbewegungen des CDU-Chefs von seiner Kanzlerin sehr wenig, wenn Laschet wettert, dass die Politik „nicht immer neue Grenzwerte erfinden“ dürfe. Dabei hat er bislang und gerade erst wieder alle Maßnahmen und Beschränkungen mitbeschlossen. Obendrein hat Laschet vor seiner Wahl zum CDU-Chef damit geworben: „Ein Bruch mit Angela Merkel wäre exakt das falsche Signal.“ Eine glaubwürdige Abwendung sieht anders aus.

Merkel-kritischer Flügel der Union bangt

Ein durchsichtiges Spiel
Serie „Nach Merkel“: „Maskenskandal“ der Union - Die Kampagne für Grünrotrot startet
„Wir laufen mit unserem Spitzenpersonal rasanten Wahlniederlagen entgegen“, fürchtet daher ein hoher Unions-Funktionsträger. Es sei fast schon egal, ob Armin Laschet oder Markus Söder als grünlackierter Kanzlerkandidat antrete. Der Merkel-kritische Flügel weint immer noch seinem Kandidaten Friedrich Merz nach. Laschet ist es trotz vieler Mühen nicht gelungen, diesen Flügel wieder einzubinden. Nach Merkel offenbart sich die CDU als innerlich tief zerrissen und gespalten. Flügelkämpfe toben. In Frankfurt wurde der Merkel-nahe MdB Matthias Zimmer von einem Außenseiter aus dem Amt gedrängt. In anderen Stadtverbänden wie in Köln droht dies Schule zu machen. Die Basis begehrt zunehmend gegen die Abgeordneten auf, denn diese haben die verheerende Energiewende zu verantworten, die irre Einwanderungspolitik, die unbegrenzt bis zum heutigen Tag anhält, die Euro-Politik, die die Stabilität der Währung und den Wohlstand gefährdet, die Höchststeuerbelastung und den Verfall der wissenschaftlichen wie industriellen Kompetenz dieses Landes. Aufgestanden dagegen sind nur wenige. Trotz der Schwäche der Parteiführung fürchten viele konservative Abgeordnete um ihre Fortexistenz in der Partei statt die Schwäche für inhaltliche Alternativen zu nutzen und mit eigenen Vorschlägen anzutreten. Weinerlich vermuten sie sogar hinter den Masken-Deals zweier Abgeordneter finstere Kräfte am Werk und versuchen, die Deal-Maker und deren Geschäfte zu rechtfertigen. Statt aufzubegehren jammern sie darüber, dass sie ausradiert würden. Eine Wende weg von Merkel trauen sie sich nicht zu, sondern wollen, dass deren Anhänger sich wenden.
Das Gros der Medien will ohnehin einen grünen Kanzler

Die Konsequenzen sind klar: Ein grüner Kanzler sei mittlerweile sehr wahrscheinlich. Das Original käme dann an die Macht. CDU-Funktionäre betrieben doch jetzt schon eine „verstohlene Grünen-Politik“. Ein grüner Kanzler hätte aber auch etwas Lehrreiches. Vielleicht gingen dann vielen Bürgern noch die Augen auf, was die Grünen mit der Volkswirtschaft und dem privaten Leben alles anstellen würden.

Allerdings könne die CDU in der Opposition nicht wieder aufstehen, weil der Merkel-kritische Flügel ja eben „ausradiert“ worden ist. Was für eine düstere Zukunft.

Integrationsgipfel
Kanzlerin Merkel sagt, was wir fühlen und begreifen müssen
Staatstragende Medien haben die Union an der Regierung ohnehin nur ertragen, weil die Kanzlerin grüne Politik betrieben hat. Deswegen haben sie Merkel gegen fast jegliche Kritik verteidigt und die heilige Angela für sakrosankt erklärt. Doch mit dem System Merkel geht es wohl im Herbst zu Ende. Da käme mit einem grünen Kanzler für die meist links ausgerichteten Medien endlich das Original an die Macht.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Schon mit 47 Prozent könnte Grün-Rot-Rot den Kanzler stellen, wenn die Grünen 22, die SPD 18 und die Linke 7 Prozent bei der Bundestagswahl erreichen. Denn der Fall würde eintreten, wenn im Gegenzug CDU/CSU nur 28, FDP 8 und AfD 10 Prozent bekämen.

Den Auftakt dazu gab schon am Abend der EU-Wahl 2019 ARD-Kommentator Rainald Becker: „Die Grünen machen vor, wie es besser geht.“ Klima und Umwelt seien Zukunftsthemen. „Und wer weiß, vielleicht wäre ein grüner Kanzler ja gar nicht so schlecht für unsere Zukunft.“

Wie die künftigen Programm-Macher in den öffentlich-rechtlichen Medien ausgerichtet sind, sei hier noch einmal erwähnt. Eine Studie, veröffentlicht im Magazin des Deutschen Journalistenverbandes, fand heraus, dass 92,2 Prozent der Volontäre Grün-Rot-Rot (Grüne 57,1%, Linke 23,4%, SPD 11,7%) wählen würden. Union und FDP kämen zusammen nicht einmal über die Fünf-Prozent-Hürde.

Also warum sollen sie die Union jetzt noch schonen, wo Merkel im Herbst abtritt? Jeder Verdacht, jeder Vorwurf gegen restlich vorhandene konservative Schwarze kommt ihnen jetzt gerade recht, um die Grünen an die Macht zu schreiben und zu senden. Für die CDU hat es sich nicht ausgezahlt, die linken Medien zu umgarnen und mit Gebührenerhöhungen zu mästen. Geliebt wird sie nicht dafür. Ganz offen bekennen sich die „Meinungsmacher*innen“ zur Partei ihres Herzens.

Wie erfolgreich Journalisten eine Partei aus dem politischen Ring werfen können, haben Medien-Aktivisten schon 2013 bewiesen. Letztlich führte eine fingierte Sexismus-Debatte gegen den FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle zum Rausschmiss der Liberalen aus dem Bundestag und zum Ende von Schwarz-Gelb in der Bundesregierung.

Regierungskritik hat wohl ihren Preis

Wer bei diesem Spiel nicht mitspielt, lebt offensichtlich gefährlich, selbst im Mediengeschäft. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt attestiert Merkels Administration angesichts der verheerenden Lage in Gesellschaft und Volkswirtschaft in der Corona-Krise mehrfach „Regierungs-Versagen“. Für ihn gibt es nur „leere Parolen statt volle Impflaster“.

Selbstbestimmung contra Lockdown
Corona: das Freiheitsvirus
Reichelt wagt es sogar, die Ergebnisse der Videokonferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten in einem Live-Kommentar am 4. März, als „Verwirrspiel mit einem Hauch von sozialistischer Mangelverwaltungsrhetorik unserer Bundesregierung erlebt“ zu haben. Er wisse bei vielem nicht mehr, „was mir die Kanzlerin noch erlaubt“. Die beschlossenen Lockdown-Pläne für die nächsten Wochen seien „Verwirr-Regeln, die kein normaler Mensch begreift.“ Mehr noch: „Ich hoffe nur noch, dass diese Regierung bald durch eine neue ersetzt wird.“

Reichelt sprach nur aus, was viele seiner Leser und Millionen Bürger über die Merkel -Administration denken. Doch mutige Bild-Berichterstattung hat wohl ihren Preis. Kaum flimmerte der Live-Kommentar am 4. März durchs Netz, sah sich Chefredakteur Reichelt vier Tage später via Spiegel „mit einer Compliance-Untersuchung im eigenen Haus konfrontiert“. Die Vorwürfe sollten angebliches Fehlverhalten gegenüber Frauen betreffen. Springer-Vorstand Mathias Döpfner hat allerdings die Mitarbeiter unterrichtet: „Julian Reichelt bestreitet die Vorwürfe.“ Der Verlag werde „keine Form der Vorverurteilung“ zulassen, heißt es jetzt.

Erst kommentieren, dann kompromittieren. Merkwürdig, was jetzt so alles geschieht. Aber das sind sicher alles nur Verschwörungstheorien: „Rechts, rechts, Verschwörungstheorie, rechts, rechts“, wie Comedian Nikolai Binner Angriffe linker Identitärer im Internet auf die Meinungsfreiheit treffend beschreibt.

Anzeige