Tichys Einblick
Parteiaustritt

Ex-FDP-Spitzenpolitiker: „Ich ertrage die Berliner Politik nicht mehr“

Der frühere FDP-Bundesvize und langjährige Parteichef Sachsens, Holger Zastrow, mag nicht länger Mitglied bei Christian Lindners Freidemokraten sein. Der heutige Gastwirt und Unternehmer zieht wegen der verheerenden Ampelpolitik seine Konsequenzen.

Holger Zastrow, 27.09.2023

IMAGO / Sven Ellger
Fast die Hälfte der FDP-Mitglieder will sofort die unsägliche Ampelregierung mit SPD und Grünen in Berlin verlassen. Nun kündigt deswegen ein prominenter und langjähriger FDP-Spitzenpolitiker nach 30 Jahren die Mitgliedschaft in seiner Partei auf. Der frühere Bundesvize und langjährige sächsische Landes- und Fraktionsvorsitzende Holger Zastrow hat wie viele Bürger die Nase von der verheerenden rot-gelb-grünen Regierungspolitik gestrichen voll.

Es sei ein langer Prozess der Entfremdung von seiner Partei gewesen, gab der 55-jährige Unternehmer und Gastwirt (Landgut Hofewiese, Augustusmarkt) am Dienstagvormittag in Dresden vor der Presse bekannt.

Anlass für seinen Schritt sei allerdings bei aller Kritik an den Zuständen vor Ort nicht die Politik des Landesverbandes oder der FDP in Dresden, sondern die FDP-Politik des Bundesvorsitzenden Christian Lindner in der Ampelregierung. Zastrow wörtlich: „Es tut mir in der Seele weh, aber es geht nicht mehr. Ich ertrage die Berliner Politik nicht mehr.“ Vor allem das Zusammengehen seiner FDP mit den Grünen sei ein No-Go. „Mit deren Bevormundung, Besserwisserei und Gesellschaftsbild kann ich nichts anfangen.“ Zastrow spricht nur offen aus, was viele FDP-Mitglieder denken.

Der „letzte Tropfen“ für seinen Parteiaustritt war aber die Rede Lindners als Bundesfinanzminister bei den Bauernprotesten vor dem Brandenburger Tor. „Meine Zeit in der FDP ist vorbei“, erkannte Zastrow. Die Rede Lindners zeigte ihm, „wie weit weg wir inzwischen von der Lebenswirklichkeit unserer Klientel sind“. Denn: „Am Brandenburger Tor standen nicht unsere Feinde. Da standen in relevanter Zahl unsere Freunde und Leute, die auf uns gesetzt haben. Wir haben sie verloren.“

Neues FDP-Credo: Lieber schlecht regieren, als nicht regieren!

Gerade weil die FDP trotz „des rapiden Verlustes an Zustimmung und Anerkennung stur und starr weitermacht, anstatt ‚Halt! Stopp! Nicht weiter so!‘ zu rufen und umzukehren“, findet das Zastrow so entsetzlich. „Eine Wahlniederlage nach der anderen, eine uns einst zugewandte Klientel nach der anderen wendet sich ab, aber man macht weiter – bis zum bitteren Ende“, kritisiert der frühere Bundesvize den Führungsstil der FDP-Granden.

In der Tat hat die FDP seit der Bundestagswahl durch Lindners willfährige Ampelpolitik acht Wahlen hintereinander krachend verloren und dieses Jahr folgen weitere.

Parteichef Lindner und seine Truppe hatten sich ohnehin erst über die Feiertage mit einem dürftigen Ergebnis zum Weiterregieren in der Ampel blamiert. Bei der von der Basis erzwungenen FDP-Mitgliederbefragung sprach sich nur eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der Ampelkoalition mit SPD und Grünen aus. Lediglich 52,24 Prozent der Stimmen plädierten für die Fortsetzung der schlechten Regierungsarbeit, während 47,76 Prozent wie Holger Zastrow den sofortigen Ausstieg aus der katastrophalen Regierungskoalition in Berlin wollten. Von 72.000 Mitgliedern nahmen über die Weihnachts- und Silvestertage, nur ein gutes Drittel an der Abstimmung ohne Diskussion teil.

Dennoch gibt es eine breite Ablehnung der Ampelpolitik innerhalb der Regierungspartei. Parteiaustritte sind nun die Folge. Vor allem aber: Was denken die Millionen FDP-Wähler, die sich von der Deutschland gefährdenden Ampelpolitik mit SPD und Grünen regelrecht verraten fühlen, und was sind die Folgen? Denn 2024 wird so etwas wie das Superwahljahr für die FDP. Schon am 9. Juni können die Wähler zur EU-Wahl den Regierungsparteien und der Opposition ihre Quittung präsentieren. Die FDP muss wie alle Parteien am 9. Juni nicht nur für die EU-Wahl mobilisieren, sondern gleichzeitig in der Fläche für sieben Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zuvor wählt noch Thüringen am 26. Mai seine kommunalen Mandatsträger.

Damit nicht genug: In drei ostdeutschen Ländern stehen am 1. September in Sachsen und Thüringen sowie am 22. September in Brandenburg Landtagswahlen an. Alle drei gelten heute schon laut Umfragen für die FDP als verloren. Da wirkt jeder Parteiaustritt wie ein Tiefschlag.

Der frühere NRW-Fraktionschef Gerhard Papke erklärt gegenüber Tichys Einblick: „Zastrows Austritt ist ein Riesenverlust für die FDP und Ausdruck ihres Zerfalls in Ostdeutschland.“ Mehr noch: „Erneut zeigt sich, dass die Ampel die FDP in den Untergang treibt.“

Auch Ex-FDP-Generalsekretär Patrick Döring kommentiert Zastrows Austritt bei Tichys Einblick kritisch: „Es ist kein gutes Zeichen, dass die FDP so einen Politiker, der in Sachsen und Deutschland für bürgerlich-liberale Politik gestanden hat, nicht halten kann.“

Genauso mag der frühere parlamentarische Staatssekretär und sächsische Bundestagsabgeordnete Jan Mücke seinem Parteifreund den Austritt im Gespräch mit Tichys Einblick nicht verübeln: „Ich finde den Verlust außerordentlich bedauerlich. Holger Zastrow bleibt für mich ein sehr guter persönlicher Freund.“

Andere wie der Thüringer FDP-Chef Thomas Kemmerich wollen Widerstand gegen den Ampelkurs leisten. Tichys Einblick sagte er: „Bei nachvollziehbarem Ärger über Ampel-Entscheidungen in Berlin ist meine Botschaft an alle die über einen Austritt nachdenken: An Bord bleiben und für Mehrheiten sorgen, die den Kurs ändern.“

Und selbst der große Vorsitzende Lindner hat sich zum prominenten Parteiaustritt geäußert: „Holger Zastrow hat sich große Verdienste um die FDP und den Freistaat Sachsen erworben. Wir bedauern, dass ein seit seinem Ausscheiden als Landesvorsitzender über viele Jahre währender Prozess der Entfremdung heute einen Schlusspunkt gefunden hat.“ Doch Lehren zieht Lindner aus der Entfremdung von Mitgliedern und Wählern durch seine Politik nicht. Einer weniger – vorwärts immer, rückwärts nimmer – weiter Vollgas in den Untergang.

Lindner konnte Zastrow sowieso nicht leiden und wird froh sein, ihn nun los zu sein. Das gilt auch umgekehrt. Denn der heutige FDP-Chef und Bundesfinanzminister ließ vor gut zwölf Jahren wenige Tage vor dem Ergebnis des dramatischen Mitgliederentscheids über den Euro-Rettungskurs als Generalsekretär seinen Vorsitzenden Philipp Rösler im Stich.

Ein rücksichtsloser Vorgang für den damaligen FDP-Vize Holger Zastrow, der in einem Focus-Interview Lindners plötzlichen Rücktritt scharf kritisierte: „Sein Abgang ohne Begründung war unprofessionell, sein Verhalten grenzt schon fast an Fahnenflucht. Ein Generalsekretär einer traditionsreichen Partei mit rund 65.000 Mitgliedern und Regierungsverantwortung darf kurz vor Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses seine Truppe nicht einfach im Stich lassen.“

FDP im Osten zerfällt wegen der katastrophalen Ampelpolitik

Für die am Boden liegende sächsische FDP kommt Zastrows spektakulärer Abgang zur schlechten Zeit. Ohnehin haben hier schon zahlreiche Funktionsträger die FDP verlassen. Die Partei, die aktuell in Umfragen lediglich zwischen einem und drei Prozent in Umfragen dümpelt, wollte eigentlich am Samstag mit ihrem Listenparteitag den Auftakt zu einer Aufholjagd starten. Der Abgang ihres ehemals starken Vormannes in Sachsen dürfte dieses Vorhaben nun allerdings gewaltig erden.

Seine politische Zukunft hält Zastrow sich offen. Er sei immer ein politischer Mensch gewesen. „Aber ich will auf jeden Fall weitermachen.“ Er wolle alle, die was bewegen wollen aufrufen, etwas Neues aufzubauen. Zastrow ließ durchblicken, dass es eine Vielzahl von Kontakten gebe. Das betreffe sowohl sein kommunalpolitisches Engagement im Dresdner Stadtrat als auch ein mögliches Comeback auf Landesebene.

Ohnehin ist der frühere FDP-Landeschef schon bei den Freien Wählern Sachsens im Gespräch, die sich mit guten Spitzenkandidaten wie Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger Hoffnung machen, bei der Wahl im Herbst erstmals in den Dresdner Landtag einzuziehen. Von der FDP zu den Freien Wählern – der Weg ist nicht nur in Sachsen dazu nicht allzu weit.

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