Tichys Einblick
Murrende Stille in der CDU:

„Es geht alles seinen sozialistischen Gang“

Wer glaubt, nach der erneuten Verhinderung von Basisfavorit Friedrich Merz als CDU-Chef vor allem durch Kanzlerin Angela Merkel würden die Mitglieder Sturm laufen und ihre Parteibücher reihenweise abgeben, sieht sich getäuscht.

picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Tief im Südwesten ist Otto Hauser in seiner CDU-Basis gut verankert. Helmut Kohls früherer Regierungssprecher, der von 1983 bis 1998 für die CDU Baden-Württembergs im Deutschen Bundestag saß, spürt förmlich, wie sich seine Mitglieder nach der erneuten Nicht-Wahl von Basisliebling Friedrich Merz zum CDU-Chef fühlen. 

Von Aufbruch durch den gewählten Vorsitzenden Armin Laschet kann jedenfalls keine Rede sein. „Die Stimmung an der Basis ist abwartend“, hat Hauser beobachtet. Man erwarte von Laschet nun, er möge Merz operativ in die CDU-Politik einbinden. „Besser einen halben Merz als einen ganzen Altmaier“, spottet der 68-jährige CDU-Politiker über Merkels Bundeswirtschaftsminister, der Mittelstand und Selbstständige in der Corona-Krise weitgehend im Regen stehen lässt. Hauser weiß, wovon er redet, schließlich ist er selber Geschäftsführer einer Consulting Firma.

Immerhin seien Laschet und Merz im Gespräch, berichten CDU-Kreise. Nötig ist es. Kohls Partei fehlt es an klarer konservativer wie wirtschaftlicher Kante. Schließlich reüssieren zurzeit die Grünen und nicht die Union, denn sie ist nicht mehr kampagnenfähig: „Worin unterscheidet sich noch die Union von Grünen?“, fragt sich der erfahrene Haudegen Hauser – und nicht nur er.

Auf einmal gilt: Leben nicht nur an Inzidenzwerten messen!

Mit ungewohnten Äußerungen versucht sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet als CDU-Chef taktisch von Merkels regidem Lockdown-Kurs abzusetzen. „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet“, betont der CDU-Vorsitzende plötzlich. „Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwerten abmessen.“ Man müsse all die anderen Schäden etwa für die Gesellschaft und die Wirtschaft genauso im Blick haben wie die Inzidenzzahlen. Na, sowas auch. Lange genug hat es gedauert.

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Merkel und ihre Hofvirologen hingegen wollen erst bei einer „stabilen Inzidenz“ von höchstens 35 Infektionsfällen pro 100.000 Einwohner Öffnungen zulassen. Monatelang zuvor hatte Merkels Politik willkürlich den Inzidenzwert von 50 zum Nonplusultra erklärt. Vom früher für die Kanzlerin alles entscheidenden R-Wert ist plötzlich gar nicht mehr die Rede. Die Reproduktionszahl R bei Ansteckungen liegt nämlich seit fast zwei Monaten stabil unter eins und derzeit nur bei 0,86. Sie fällt als Schreckenszahl aus.

Vergessen wir jedoch nicht: Taktiker Laschet hat die Kanzlerin bislang mit ihrer Methode, immer neue Schreckenszahlen zu erfinden, in der Runde mit den Ministerpräsidenten nicht aufgehalten.

Dennoch findet CDU-Mann Hauser: „Endlich sagt es einer.“ Schon allein, weil Laschet wenigstens eine Perspektive für Öffnungen aufzeige und Merkels Corona-Mauer abbauen will.

Doch genau das will Merkels derzeit treuster Corona-Wächter Markus Söder verhindern. Der CSU-Ministerpräsident droht all jenen, „die an ihr“, der heiligen Angela, „Kritik üben“, mit Blick auf die Wahl im September: „Merkel-Stimmen gibt es nur mit Merkel-Politik.“ Kein Wunder, dass Merkels linke Hand einen regelrechten Meinungsabsturz erlebt. Nicht einmal mehr die Hälfte der Bürger im Freistaat sind mit Söders Regierungsarbeit zufrieden, wie eine Umfrage der Meinungsforscher von Civey für die Augsburger Allgemeine vom Samstag ergab. Söders Zufriedenheitswert sinkt dramatisch von 71 Prozent auf dem Höhepunkt der ersten Pandemiewelle auf aktuell nur noch 48 Prozent – Tendenz weiter fallend. Inzwischen kursiert in selbstkritischen CSU-Kreisen schon ein neuer Name für die Partei „Christlich Sozialistische Union“. Humor ist eben, wenn man trotz Söder lacht.

Anwalt oder Totengräber des Mittelstands?

Ganz im Gegensatz zu Söders Merkelkurs mag Otto Hauser, Mitglied des CDU-Wirtschaftsrats, dem selbst verordneten wirtschaftlichen Niedergang nicht länger zusehen: „Wir haben elementar Vertrauen beim Mittelstand verloren.“ Bundeshilfen für das wirtschaftliche Überleben in der Corona-Krise würden oft nicht ausgezahlt oder sogar verschleppt. „Bundesfinanzminister Olaf Scholz schießt nicht mit der Bazooka, sondern nur mit Wasserpistolen,“ kritisiert Hauser. Das schade auch der Union, denn die Bundespolitik begleite mit ihrem immer länger anhaltenden Lockdown nur den wirtschaftlichen Stillstand.

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Genau diese Totenstille im Mittelstand kritisiert dieser Tage auch Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im März und Juni: „Da fährt eine Dampfwalze über unseren Einzelhandel! Wir können keinen Wahlkampf machen in Innenstädten, wenn keine Innenstädte mehr da sind.“

Doch das Sterben von Teilen der Volkswirtschaft und des Mittelstandes juckt offensichtlich Kanzlerin Merkel nicht. Sie fährt mit ihrem starrsinnigen Lockdown, begründet durch politisch festgelegte Grenzwerte, Deutschlands Stärke, den innovativen Mittelstand, weiter voll an die Wand. 

Ein einflussreicher CDU-Funktionär beschreibt die Folgen von Merkels Politik klar und deutlich: „Die Union ist in der öffentlichen Wahrnehmung vom Anwalt zum Totengräber des Mittelstandes mutiert.“

Nur, was unternimmt die Unionsbasis dagegen, außer ein bisschen zu murren? Jedenfalls nicht viel. CDU- und CSU-Mitglieder üben sich wie bislang in Demut und Geduld. Bestenfalls am virtuellen Stammtisch wird über die Oberen kurz mal gegrantelt. Doch das war es dann schon. „Es geht alles seinen sozialistischen Gang,“ feixt ein hoher CDU-Funktionär aus dem Osten. „So haben wir schon vor gut 30 Jahren über die Zustände in der Blockpartei CDU abgelästert.“ Wenn Merz in die Parteispitze aktiv eingebunden werde, seien viele Mitglieder bereits halbwegs zufrieden.

Genügsam sind sie halt, die Unioner.

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Friedrich Merz wohl auch: Wiederholt von Merkel-treuen Funktionären auf Bundesparteitagen als CDU-Chef verhindert, will er sich weiter seiner Partei als wirtschaftspolitische Alternative anbieten. Seinem Konkurrenten Armin Laschet bot er gleich nach dessen Wahl zum CDU-Chef an, für den Posten des Bundeswirtschaftsministers bereitzustehen. „Dem neuen Parteivorsitzenden habe ich angeboten, in die jetzige Bundesregierung einzutreten und das Bundeswirtschaftsministerium zu übernehmen“, verkündete Merz kühn und holte sich gleich die nächste blutige Nase. Mit den Worten: „Die Bundeskanzlerin plant keine Kabinettsumbildung“, ließ Regierungssprecher Steffen Seibert Merkels Intimfeind prompt abblitzen.

Leidensfähigkeit scheint bei Christdemokraten keine Grenzen zu kennen. Parteiaustritte im Osten wie im Westen erfolgen derzeit nur durchschnittlich. Selbst konservative wie frustrierte Mitglieder mögen noch nicht gehen, schon allein deswegen, weil sie Merkel die Freude über ihren Abgang nicht gönnen, gestehen gleiche mehrere.

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CDU-Kretschmer gibt bekannt: Es gibt keinen Osterurlaub!

Derweil arbeiten CDU-Spitzen weiter an allen Fronten, ihre Wähler zu demobilisieren oder mit aller Gewalt zur AfD oder den Grünen zu treiben. Zu Merkels Musterschüler in Sachen hartem Lockdown schwingt sich nach Bayerns CSU-Regierungschef Markus Söder nun Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf. Nach fast vier Monaten Heimarrest im 15-Kilometer-Umkreis vermiest der CDU-Politiker aus Görlitz den Familien in den ausgefallenen Winterferien jetzt auch noch jegliche Hoffnung auf Lockerungen im Frühjahr. „Ich bin dafür, Wahrheiten auszusprechen. Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben“, urteilt Kretschmer via Interview in der Bild am Sonntag gnadenlos. Ihr Bürger habt den Regierenden einfach zu folgen: Kein Osterurlaub – basta! Was für ein Umgang mit Menschen. 

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Obendrein duckt sich Sachsens Lockdown-Verlängerer nach seiner Ankündigung auch noch feige weg. Seinem Heimatsender MDR wie auch seinen Bürgern stand Kretschmer für ein Radio-Interview zur Begründung seiner Ansicht am Montagmorgen nicht zur Verfügung. Diesen Verweigerungstatbestand verkündete immerhin der Moderator von MDR aktuell – fast schon ein Akt von Widerstand.

CDU-Kretschmer also will die Deutschen bis einschließlich Ostern einsperren. Im Corona-genervten Volk machen sich dazu schon deftige Witze im Netz breit, die auch unter CDU-Mitgliedern rotieren: Hoffnung auf Lockerung bestehe ja durch Merkels Einwanderungspolitik aus dem Orient. Das christliche Osterfest fällt zwar ohne Ferien, Hotels und Gaststätten im Prinzip aus, doch Öffnung brächte dann immerhin das spätabendliche Fastenbrechen im islamischen Ramadan. Da dürften dann wohl alle wieder raus.

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