Tichys Einblick
Wie sicher ist Syrien wirklich?

Auch EU-Agentur gibt zu: Kein »reales Risiko« in Damaskus und Tartus

Österreich ist ähnlich wie Dänemark und Schweden besorgt angesichts der illegalen Immigration. Mit dem Westbalkan wird verhandelt. Zu Syrien verweist Innenminister Karl Nehammer auf die Entscheidungen der EU-Asylagentur zur freien Fahrt in die syrische Hauptstadt Damaskus und die Mittelmeerprovinz Tartus.

Damaskus, 15.05.2021

IMAGO / Xinhua

Nach seiner Rückkehr aus Dänemark kamen neue Fragen auf den österreichischen Innenminister Karl Nehammer zu. Im Ö1 Morgenjournal wurde er zum geplanten Wiener Westbalkangipfel befragt. In diesem Gesprächsformat versucht die Regierung von Sebastian Kurz, die illegale Migration Richtung Österreich zu verhindern und Rückführungen zu erleichtern. Gesprochen wird dabei mit Serbien, dem Kosovo, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Albanien.

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Für Nehammer geht es dabei nicht einfach um einen Tauschhandel (sichere Grenzen gegen EU-Beitritt), sondern um »die Sicherheit der EU und Österreichs«, wie die Kleine Zeitung meldet. Schon jetzt unterstützt die österreichische Regierung beispielsweise Bosnien bei der Rückführung von Migranten in die Herkunftsländer. Nehammer stellt fest: »Die Maßnahmen gegen illegale Migrationen müssen besser koordiniert werden.« Das gilt dann offenbar für die EU als Ganzes.

Dabei will der ÖVP-Minister möglichst weitgehend dem dänischen Modell folgen und »Menschen, die keine Bleibeberechtigung haben«, zurückführen. In Kopenhagen hat er die kargen Wohnunterkünfte der abzuschiebenden Migranten gesehen – sie sind aber nur eines der Argumente der dänischen Regierung für eine Rückreise. Daneben gibt es (laut Auskunft des dänischen Ausländerministeriums) großzügige Erstattungen für Reise- und Transportkosten, den Erwerb neuer Ausstattung und die berufliche Etablierung im Heimatland, Kosten für medizinische Behandlung, Impfkosten in Dänemark, Kosten für die Beschulung von Kindern, für die Ausstellung neuer Papiere usw. Einige Erstattungen werden dabei in zwei Teilen ausgezahlt, der zweite Teil erst zwölf Monate nach der Rückkehr.

Dänemark will so unter anderem syrische Migranten zur Rückreise motivieren. Das Wort Syrien fiel auch im österreichischen Radio. Bei der Entscheidung, ob und welche Regionen Syriens inzwischen sicher sind, will Nehammer den Richtlinien der EU-Asylagentur folgen. Doch was besagen die eigentlich? Und was meinen andere europäische Regierungen zu dieser Frage?

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Die schwedische Einwanderungsbehörde Migrationsverket stellt in ihrem Syrien-Bericht vom Dezember 2020 fest, dass in der Küstenprovinz Tartus nicht von einem bewaffneten Konflikt auszugehen ist. Interessanterweise beklagt die zypriotische Regierung, dass gerade aus dieser Region viele Migrantenboote ablegen, um Zypern zu erreichen (TE berichtete). Diese Bootsmigranten wären also schon in Tartus in Sicherheit und demnach keine »Flüchtlinge«.

Mindestens ebenso interessant ist, was der schwedische Syrien-Bericht zur Hauptstadt Damaskus schreibt. Diese könne »in begründeten Ausnahmefällen eine angemessene innerstaatliche Fluchtalternative für diejenigen sein, die über ausreichend günstige soziale und wirtschaftliche Bedingungen verfügen, z.B. durch ein ausreichend sozial verankertes und wirtschaftlich stabiles Netzwerk«. Mit anderen Worten: Syrern, die in Damaskus Familie oder Freunde haben, droht dort kein schlimmes Schicksal. Zum ersten Mal war von dieser relativen Sicherheit der Hauptstadtregion im Bericht von 2019 die Rede.

Auch in Schweden gibt es daher eine Diskussion um die Entziehung des Aufenthaltsstatus von Syrern. Unbestätigte Berichte aus dem Land sprechen davon, dass »Syrern aus dem Raum Damaskus in erster Instanz Asyl verweigert« worden sei. Die schwedische Einwanderungsbehörde teilte TE auf Nachfrage mit, dass antragstellende Syrer seit November 2020 in Einzel- und Ausnahmefällen auf »inländische Fluchtalternativen« verwiesen werden. Und diese Alternative bildet laut dem schwedischen Länderbericht eben der Raum Damaskus. Immerhin, hier scheint ein Türchen auf zu gehen für eine sinnvolle Bewertung des Landes Syrien.

Ähnliche Überlegungen zur Sicherheit Syriens gibt es angeblich in Norwegen und Belgien. Der belgische Generalkommissar für Flüchtlinge, Damien Dermaux, wird nach der Tageszeitung Le Soir mit den Worten zitiert: »Aktuell wird über eine politische Änderung hinsichtlich der Gewährung des subsidiären Schutzstatus (reale Gefahr durch willkürliche Gewalt in bewaffneten Konflikten) nachgedacht. Es ist möglich, dass für einige Regionen (zum Beispiel die Region Damaskus) dieser Status nicht mehr nur aufgrund der Zugehörigkeit gewährt wird.«

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Das britische Innenministerium geht in einer Handreichung für seine Sachbearbeiter aus dem August 2020 noch etwas weiter. Die Sicherheitssituation in Damaskus hat sich demnach deutlich verbessert, »mit relativ wenigen Gewalttaten seit Mai 2018«, als die Regierung dort wieder die Kontrolle übernahm. Eine Rückkehr nach Damaskus wird insofern als zumutbar angesehen: »… die Belege weisen darauf hin, dass Personen mit den nötigen ökonomischen Mitteln im allgemeinen nach Damaskus zurückkehren können, ohne ein reales Risiko der Mittellosigkeit oder wahlloser Gewalt einzugehen.« Dasselbe gelte für die Provinzen As Suwayda’, Quneitra and Tartus, die schon 2019 nur ein »sehr geringes Maß an Gewalt« gesehen hätten.

Erstaunlich angesichts der österreichischen Zurückhaltung ist nun das folgende: Auch der Sicherheitsbericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom September 2020 spricht vom Gouvernement Damaskus und der Hafenstadt Tartus als »Gebieten, in denen wahllose Gewalt in so geringem Maße stattfindet«, dass sie kein »reales Risiko« für die Einwohner darstelle.

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Es gibt also auch für den österreichischen Innenminister Karl Nehammer – und seinen deutschen Amtskollegen – keinen Grund zum Zögern: Teile Syriens sind sicher. Dort sollte man diplomatische Missionen einrichten und Rückführungsabkommen vereinbaren. Der Sicherheitsbericht der EU-Asylagentur ermöglicht das.

In Deutschland mahlen die Mühlen besonders langsam. Die deutschen Lageberichte zu Syrien sind laut Außenamt Verschlusssache. Man kann weder aus ihnen zitieren noch über sie berichten. In einer Befragung vom Dezember gibt ein Sprecher die globale Einschätzung, dass die humanitäre Lage in Syrien »katastrophal« sei, außerdem drohten zahlreiche Gefahren den Syrern im Lande. Welche, erfährt zwar nicht der Bürger, aber die Innenministerkonferenz. In welchem Zeitalter der Kabinettspolitik, der Hinterzimmerdebatten leben wir eigentlich?

Zum Auftakt der jüngsten Innenministerkonferenz forderte der Baden-Württemberger Thomas Strobl (CDU), die deutschen Innenminister sollten mehr Abschiebungen nach Syrien »ermöglichen«. Er selbst möchte dabei, ganz ambitioniert, »die praktische Durchführung eher ermöglichen«, weil das Ganz leider gar »nicht trivial« sei. Eine Anfrage der AfD an die Bundesregierung ergab, dass sich aktuell über 60 syrische Gefährder in Deutschland aufhalten. In den ersten Monaten dieses Jahres sind laut der Bundesregierung aber keine abgeschoben worden. Das Problem: Die SPD-Innenminister sperren sich noch immer gegen die »Rückführung von ausreisepflichtigen Intensivstraftätern und Gefährdern« nach Syrien oder in andere Drittstaaten. Warum, kann kein Wähler mehr verstehen.

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