Tichys Einblick
"Corona-RAF"

Markus Söder und sein bizarrer Vergleich

Der Machtpolitiker Söder redet über einen Terrorismus, von dem noch nichts zu erkennen ist. Aber offenbar fürchtet er die Folgen des staatlichen Versagens, an dem er selbst teilhat.

imago Images/Stefan Zeitz

Wer ist eigentlich öfter in öffentlich-rechtlichen Talkshows? Der CSU-Vorsitzende und bayrische Ministerpräsident Markus Söder oder der Journalist und Autor Robin Alexander? Beide jedenfalls haben sich jetzt einmal ohne Anne Will getroffen und für die Welt ein Interview gemacht. Und Söder hat geliefert, was er wohl schuldig zu sein glaubte. Nämlich den einen Satz, der weitere Medien hoffentlich dazu veranlassen würde, das Besprochene noch über die Seiten der Welt hinaus zu verbreiten.

Politische Instrumentalisierung
Söder spielt Corona-Tote gegen ungehorsame Bürger aus
Der Ministerpräsident warnte vor einer „Corona-RAF“. Aber was bitte soll das sein, fragt man sich zunächst. Eine linksextreme Sektion der Corona-Maßnahmen-Kritiker? Was will Söder damit bezwecken? Neue Gäste für Stammheim gewinnen? Nein, hier spricht zunächst einmal die Macht. Hier spricht einer über seine Furcht vor den Folgen der eigenen Politik. Aber bevor wir hier dazu kommen, warum Berechenbarkeit, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit kein unbedeutender Teil der Politik sein können, nochmal dazu, was Söder mit Corona-RAF meinen könnte.

Tatsächlich fürchtet der 53-Jährige Nürnberger gar keinen neuen linken Terrorismus. Ihm ging es vielmehr darum, vor Verheerungen zu warnen, die er mit jenen gleichsetzt, die der Terror der RAF und die staatlichen Maßnahmen gegen diesen Terror verursacht hatten. Einen bleiernen Herbst 2021 gewissermaßen. Wir erinnern uns: Auf das Konto der RAF gehen über 30 Morde. Insbesondere auch die linksintellektuelle Rezeption dieses Terrors hat die Bundesrepublik nachhaltig verändert. Die RAF gehört zweifellos zu den am intensivsten analysierten Phänomenen in der Geschichte der Bundesrepublik – um so erstaunlicher, dass Markus Söder mit diesem Vergleich so sehr daneben liegen konnte.

Aber auch Robin Alexander stellt zunächst eine merkwürdige Frage, wo er den Begriff „Aufrührer“ ins Gespräch bringt und von Söder wissen will, ob dieser denn angesichts der Ereignisse in den USA rund um das Kapitol fürchte, „dass sich Aufrührer hierzulande nun beflügelt fühlen“ könnten.

Was antwortet der?

„Deswegen müssen wir auch in Deutschland nicht nur die Sicherheitsmaßnahmen für die demokratischen Institutionen verbessern, sondern grundlegend die sektenähnliche Bewegung der „Querdenker“ und anderer vergleichbarer Gruppierungen in den Blick nehmen. Der Verfassungsschutz hat dabei eine zentrale Aufgabe. Auch wenn die Umfragewerte der AfD sinken, besteht die Gefahr, dass sich aus ihrem Umfeld heraus in Deutschland ein Corona-Mob oder eine Art Corona-RAF bilden könnte, die zunehmend aggressiver und sogar gewalttätig werden könnte.
Es besteht immer die Gefahr, dass sich aus größeren Bewegungen kleine Protestgruppen entwickeln, die am Ende einen radikalen Kern bilden, der zu einer Terrorzelle werden kann. Rechtsextreme Netzwerke mit gewaltsamer Ausrichtung gibt es leider schon zu viele.“

Söders Kraft-durch-Schrecken-Rhetorik
Als würde jeden Tag ein Politikergehirn abstürzen
Nach diesem Cocktail aus Unwahrheiten und Unterstellungen fragt Alexander nicht nach, sondern will wissen, wem wir die 15-km-Radius-Einschränkung zu verdanken haben. So geht wohl kritischer Journalismus heute.

Warum Unwahrheiten? Weil auch Söder die Einschätzung des BKA bekannt sein sollte, dass es keine nennenswerten extremistischen oder rechtsextremistischen Bestrebungen innerhalb der Querdenker gibt. Was Söders Politik hier besonders gefährlich macht, ist seine machttaktische Ignoranz gegenüber solchen Analysen. Wer aber auf Teufel komm raus und um der Macht Willen mit den Grünen koalieren will, der ist offenbar bereit, auf dem linken Auge zu erblinden und auf dem rechten Trugbilder zu entwickeln bzw. mit dem Brennglas herumzulaufen.

Im Spiegel der Entstehungsgeschichte der RAF nach 1968 ist es eher erstaunlich, dass es nennenswerte Radikalisierungen in der Form heute noch gar nicht gibt. Das heißt, im Grunde genommen verrät Söder hier der Welt, das er sogar ganz genau versteht, was der Staat hier veranstaltet hat. Klar: Wo das BKA (noch) keinen Extremismus sieht, sehr wohl aber der Machtpolitiker Söder, da weiß der Ministerpräsident um die Folgen staatlicher Repressionen, Diffamierungen und Diskreditierungen der Opposition und wozu so etwas in der jüngeren deutschen Geschichte geführt hat. Da wird Söder zum Seher.

Es geht hier auch gar nicht darum, die RAF-Rezeption erneut zu debattieren und zu diskutieren, was Staat und Medien auf der einen Seite und die linke Opposition auf der anderen Seite jeweils schuldhaft zum so genannten Deutschen Herbst beigetragen haben, aber offensichtlich steht Söder auch hier auf der Seite der Linken, die dem Staat die Schuld zuweisen!

Die Stimmung kippt
„Corona-Maulheld“ und „Kassandra aus Nürnberg“ zugleich
Und diese Schuld weist Söder nun quasi versteckt sich selbst und seiner politischen Entourage zu, wenn er eine neue (rechtsradikale) RAF fürchtet, für die es gar keine Anzeichen gibt. Sehr wohl aber gibt es die Diffamierung der Oposition. Und Söder führt im Interview vor, wie das geht. Die fortwährende Verunglimpfung des politischen Gegners gipfelt in diesem Interview in einer möglicherweise sogar justiziablen Behauptung Söders, der Oppositionsführer sei der Nährboden für Terrorismus: „Auch wenn die Umfragewerte der AfD sinken, besteht die Gefahr, dass sich aus ihrem Umfeld heraus in Deutschland ein Corona-Mob oder eine Art Corona-RAF bilden könnte.“ Das ist hochgefährlich und Söder weiß es. Das ist Brandstifter-Politik. Nach Vorbild der 1970er Jahre?

Aber doch, einmal noch hat Robin Alexander nachgefragt: „Corona-RAF?“ Und Söder hat ihm geantwortet: „Es besteht immer die Gefahr, dass sich aus größeren Bewegungen kleine Protestgruppen entwickeln, die am Ende einen radikalen Kern bilden, der zu einer Terrorzelle werden kann. Rechtsextreme Netzwerke mit gewaltsamer Ausrichtung gibt es leider schon zu viele.“

Die Äußerungen Söders übrigens schlugen auch beim FDP-Urgestein Kubicki unangenehm auf, so unangenehm, dass er sich und den Deutschen wünschte: „Gott schütze uns vor Söder“. Weiter wirft Kubicki Söder nicht weniger vor, als Versagen in der Corona-Krise. Wir wissen nun, dass auch Söder um dieses Versagen und seine Folgen für die Menschen weiß, so dass er eine Radikalisierung gegen die Regierenden fast zwangsläufig mitdenken will/muss. Denn hier geht es ja nicht mehr um politische Standpunkte, um die Wirksamkeit von Politik, sondern um die Gesundheit und das Leben der Bürger.

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