Tichys Einblick
Kontrollverlust als Methode

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Der Supergau

Kopflose und ideologische Entscheidungen haben eine über Jahrzehnte gewachsene Mitarbeiterstruktur innerhalb einer Behörde weit über die Idee einer maßvollen Modernisierung hinaus komplett diffundiert.

© Sean Gallup/GettyImages

Die Meldungen zur Asylaffäre überschlagen sich im Stundentakt: Nun sind es längst nicht mehr nur „Unregelmäßigkeiten“ im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), wenn FDP und AfD einen Untersuchungsausschuss fordern, nachdem bekannt wurde, dass ein Gruppenleiter des Bundesamtes im internen Schriftverkehr in einer Mail eine „geräuschlose“ Aufklärung tausender unrechtmäßiger Asylbescheide angemahnt hatte. „Interne E-Mails zeigten, dass die BAMF-Zentrale schon früh von fragwürdigen Vorgängen wusste, diese aber allenfalls schleppend und offenbar nur widerwillig aufklären wollte.“

Von der Migrations-Cash-Cow
Korruption beim BAMF: Positive Asylbescheide ohne rechtliche Grundlage?
Die Leitung des BAMF bestreitet zwar nicht die Existenz der Email, sie bestreitet allerdings, von so einer Email Kenntnis gehabt zu haben. Nein, hier geht es längst nicht mehr nur um weit über eintausend Betrugsfälle in Bremen, um massenhafte Entlassungen von Dolmetschern, um korrupte Anwälte: Jede andere Außenstelle des BAMF steht nun unter Verdacht, spätestens dort, wo die Anerkennungsquote überproportional hoch war. Aber was, wenn sie generell schon zu hoch war? Dann ist das nur die Spitze des Eisbergs.

Bisher 18.000 weitere Verdachtsfälle sollen von einem intern rasch zusammengewürfelten Team aus 70 Mitarbeitern „stichprobenhaft“ überprüft werden. Eine Innenrevision beispiellosen Ausmaßes: „Es würden die positiven Bescheide seit dem Jahr 2000 von rund 70 Mitarbeitern in planmäßig drei Monaten kontrolliert, hatte BAMF-Präsidentin Jutta Cordt am Freitag gesagt.“ Für die FDP und die AfD längst zu spät: Eine vom internen BAMF-Sumpf unabhängige Untersuchungskommission soll her, da zu befürchten steht, dass das Bundesamt aus sich heraus keine ordnungsgemäße Aufklärung mehr gewährleisten kann.

Wie Peanuts machen sich da Skandale aus, wie der von Anfang 2017 in Braunschweig, als über eine couragierte Mitarbeiterin bekannt wurde, dass die Leitung des Landesaufnahmebehörde einen Stapel Akten einfach im Keller verschwinden lassen wollte, der Hinweise hätte geben können auf dreihundertfachen Sozialbetrug durch Asylbewerber.

Über ein Jahr später teilt die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage von TE dazu mit, dass leider keine Auskunft erteilt werden könne, was nun aus diesen Fällen geworden ist, da diese im gesamten Haus nach Alphabet verteilt seien und nicht zentral erfasst werden könnten: Zuviel Arbeitsaufwand.

Ein Abgrund an Unrecht
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Aber wenn die aktuelle Serie von Skandalen, mutmaßlicher Betrügereien und eklatanter Rechtsverletzungen im BAMF jetzt für allgemeine Empörung sorgt, dann kommt diese Empörung um Jahre zu spät. Denn irgendein gewachsenes generelles Vertrauen in die Arbeit deutscher Behörden hatte speziell beim BAMF schon Jahre zuvor verspielt, als dieses Bundesamt zum Exekutivorgan des humanistischen Imperativs der Bundeskanzlerin mutierte. So setzte das BAMF am 25. August 2015 per Twitter faktisch das Dublin-Verfahren außer Kraft, als die Behörde twitterte: „#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“ The Guardian und Der Freitag sahen darin sogar das erste „Social-Media-Posting, das den Lauf der europäischen Geschichte verändert hat.“

Weiter befanden die Journalisten, dass die Meldung einen Eindruck von Verwirrung und politischem Kontrollverlust erweckt hätte, von dem sich die Bundesregierung bis heute nicht ganz erholen konnte. Das BAMF ist also Vorreiter und Initiator eines noch viel größeren Kontrollverlustes, wie die genannten aktuellen Ereignisse um zigtausendfache, offensichtlich betrügerische Anerkennungsverfahren von Asyl zeigen. Der nun bekannt gewordene Emailverkehr deutet zudem daraufhin: Dieser Kontrollverlust ist im Bundesamt als Methode etabliert.

Die rasend schnelle Metamorphose des Tweets aus dem Bundesamt, führte 2015 zu Sätzen wie denen einer Syrerin am Wiener Hauptbahnhof, die meinte zu wissen: „Merkel hat gesagt, sie schickt große Schiffe aus der Türkei, um Syrer zu retten.“ Peter Györkös, der ungarische Botschafter in Deutschland, wusste von der serbischen Polizei, dass diese wenige Tage nach der Twitter-Meldung durch das BAMF auf ihrer Seite der Grenze Tausende weggeworfener Pässe gefunden hätten: „Von dem Moment an war plötzlich jeder Flüchtling ein Syrer.“ Und er war auf der Reise nach Deutschland. Und Mitarbeiter des Bundesamtes waren in den Außenstellen anschließend tausendfach bereit dazu, gesetzeswidrig und in Zusammenarbeit mit korrupten Anwälten und Dolmetschern vollendete Tatsachen zu schaffen: Syrer ist, wer Syrer sein will. Der Schaden scheint irreparabel, wenn sich das Amt heute schon fragt, wie man irregulär erteilte Aufenthaltsgenehmigungen überhaupt wieder rückgängig machen könne.

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Mit den rasant wachsenden Aufgaben, mit dem gigantischen Stapel unbearbeiteter Asylanträge, blähte sich das BAMF seit 2015 immer weiter auf: Im Mai teilte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit, er werde das Amt von 2.800 Mitarbeitern auf zukünftig 4.800 Mitarbeitende aufstocken. 2016 kamen weitere 1.500 Mitarbeiter hinzu. Und im selben Jahr noch einmal 1.000 befristete Stellen. Die neuen Mitarbeiter sollten in einem wiederum eigens eröffnen Qualifizierungszentrum mit auch dort wiederum neu eingestellten Mitarbeitern geschult werden.

Leitungen, Abteilungen, Gruppen, Referate, wissenschaftliche Fachberatungen, dezentrale Außenstellen in Hülle und Fülle – das Organigram des Bundesamtes eskalierte zu jener Krake, die heute den Beginn des Zusammenbruchs des Systems verantwortet. Ein Irrgarten selbst noch für Eingeweihte. Ein Eldorado für Betrügereien im großen Stil?

Nicht nur tausende neue Mitarbeiter wurden eingestellt, es wurden auch Mitarbeiter neu eingestellt, die diese Einstellungen vornehmen sollten. Eine Voraussetzung hierfür konnte beispielsweise ein abgeschlossenes Studium der Sozialwissenschaften sein, wie Stellenausschreibungen von 2016 zeigen. Die Arbeitsplatzbeschreibung lautete u.a.: „Selbstständige Durchführung von Auswahlgesprächen nach umfassender Einarbeitung und Treffen von Auswahlentscheidungen.“

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Aber was heißt das konkret? Das bedeutet, dass eine über Jahrzehnte gewachsene Mitarbeiterstruktur innerhalb einer Behörde weit über die Idee einer maßvollen Modernisierung hinaus komplett diffundiert sein muss. Ideologien und unterschiedliche politische Auffassungen auf gesellschaftlicher und parlamentarischer Ebene sind das eine. Wenn aber das Amt als Behörde damit infiltriert wird, wenn es aus eigenem Selbstverständnis heraus nicht mehr funktionieren kann, dann setzt der Supergau des Staatswesens ein.

Dann, wenn die deutsche Amtsstube, dort, wo der Beamte nach Recht und Gesetz zuverlässig seine Aufgabe zu erfüllen hat, zu einem Ort groß angelegter Betrügereien – oder fast noch schlimmer – zu einem Ort individueller privater Gewissensentscheidungen expandiert ist: Die Metamorphose des klassischen deutschen Befehlsempfänger-Beamten, der sich nun mehr auf Zivilcourage und einer Art zivilen Ungehorsam im Amt beruft, wenn „Geflüchteten“ über das geltende Recht hinaus Schutz gewährt wird, als wäre das BAMF nunmehr die Verwaltungseinheit als weltliche Alternative zum bedingungslosen Kirchenasyl.

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