Tichys Einblick
Im Giftschrank beim Verfassungsschutz:

Antisemitismus auch in der Mitte der islamischen Gemeinden

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang gewährt Einblick in seine Erkenntnisse über muslimischen Antisemitismus in Deutschland. Im Amt gibt es eine große Menge von Berichten, die dessen weite Verbreitung belegen.

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Es steht zu befürchten, dass dies die Bruchstelle werden könnte in der Erzählung vom friedlichen Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland: Der Antisemitismus der Muslime in Deutschland.

Selbstverständlich ist nicht jeder Muslim ein Antisemit, aber die tiefe Feindseligkeit gegen Juden ist immer noch viel zu häufig anzutreffen und könnte sogar noch zunehmen, wenn weiter nichts dagegen geschieht.

Nein, das behauptet nicht irgendwer, das traut sich ausnahmsweise mal die Süddeutsche Zeitung zu schreiben, die sich empört, weil wieder Juden in Deutschland auf offener Straße angespuckt und gejagt werden und weil in deutschen Gebetshäusern über Juden gesprochen wird als „die weniger wert sind als Tiere.“

Sind hier gar auch solche Häuser darunter, welche sich gerade darum bemühen, dauerhaft und jenseits der Corona-Krise mehrmals täglich den Ruf des Muezzins über deutsche Städte tönen zu lassen?

Nein, Antisemitismus gibt es lange nicht mehr in christlichen Kirchen – ja, auch das gab es in der deutschen Geschichte viel zu häufig – sondern im 21. Jahrhundert in einigen muslimischen Gemeindehäusern und Moscheen in Deutschland. Wir wissen deshalb heute über ein paar solcher Fälle, weil der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) – nicht zuletzt wohl auch auf Druck der so genannten alternativen Medien – weil sich der Minister aufgefordert sah, endlich aktiv zu werden, als immer mehr Einzelfälle bekannt wurden von Juden, die mit Gürteln auf der Straße geschlagen werden, die im Alltag um ihre Unversehrtheit fürchten, sollten sie bestimmte Viertel in deutschen Großstädten mit der jüdischen Kopfbedeckung betreten, oder die mit anschauen müssen, wie öffentlich und mitten in Berlin eine Fahne mit Davidstern von einer johlenden Menge von Muslimen verbrannt wird.

Nein, der Amoklauf in Halle gegen eine Synagoge ging nicht von einem muslimischen Täter aus. Aber dieser versuchte Massenmord eines Rechtsextremisten eignet sich nicht als Argument dafür, alltäglichen Antisemitismus von Muslimen weiter unter der Decke zu halten. Tatsächlich brauchte die deutsche Politik viel zu lange, hier endlich aktiv zu werden. Sie war auf dem muslimischen Auge blind und ein Teil von ihr ist es bis heute.

Wer insbesondere in Deutschland ernsthaft Antifaschist zu sein behauptet, der muss hier einen Aufschrei hören lassen, bis diese Schande beendet ist. Aber davon war nichts Nennenswertes zu hören. Die Linke bleibt sogar teilweise jener Tradition treu, die sich auswachsen konnten, als die RAF von arabischen Israelhassern ausgebildet wurde und 1976 in einem von arabischen und deutschen Terroristen nach Uganda entführten Air-France-Flugzeug Juden von anderen Fluggästen getrennt wurden. E setzt sich bis heute fort in einseitigen Verurteilungen Israels bezüglich des Gaza- und Westjordan-Konflikts.

Im Herbst 2020 wird es nun fünf Jahre her sein, dass der Inlandsgeheimdienst Personal einsetzte, um muslimischen Antisemitismus nachzuspüren. Eigentlich Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Und hier kommt es ausgerechnet der Süddeutschen Zeitung zu, einmal schlafende Hunde geweckt zu haben mit einem Besuch beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Dort nämlich soll es seit Herbst 2015 eine spezielle Akte im Giftschrank geben, die auflistet, was von Mitarbeitern und Spitzeln an Orten muslimischer Zusammenkünfte zusammengetragen wurde.

Wie dick ist das Bündel? 700 Fälle sollen in dieser „Fallsammlung antisemitische Ereignisse mit vermutetem islamistischem Hintergrund“ gelistet sein.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang – ja, das ist derjenige, der gerade erst dem türkischen Präsidenten und dessen DITIB-Speerspitze in Deutschland so etwas wie einen Persilschein ausstellen wollte – Haldenwang steht also der Süddeutschen Zeitung zu einem Gespräch zur Verfügung. Dort erfährt der Journalist Ronen Steinke Erstaunliches. Erstaunlich deshalb, weil das eigentlich Unaussprechliche längst zu besagtem öffentlichen Aufschrei hätte führen müssen.

Denn Haldenwang gesteht, dass Antisemitismus „von praktisch allen nennenswerten islamistischen Organisationen vertreten (werde), die in Deutschland aktiv sind“. Wenn es um Hamas, Muslimbruderschaft, Millî-Görüş, Hisbollah oder den Islamischen Staat betrifft, wird kaum jemand etwas anderes erwarten. Eigentlich viel gravierender ist doch der Antisemitismus mitten aus den muslimischen Gemeinden: „Hinzu kommen Vorfälle, in denen auch Leute ohne radikalreligiöse Ideologie, aber mit jedenfalls muslimischer kultureller Prägung hetzen oder Juden attackieren. Sie sind vielleicht Nationalisten, womöglich auch bloß Produkte einer bestimmten Erziehung“, schreibt Steinke.

Braucht es eigentlich noch schrillere Alarmsirenen? Eigentlich nicht, aber im Gespräch mit dem Verfassungsschutzpräsidenten wird deutlich, dass ein weiteres gravierendes Problem immer noch in der Welt ist: „Die Statistik ist ungenau, da die meisten Fälle von Antisemitismus als rechte Taten gezählt werden.“

Der Skandal steckt auch im Detail: Haldenwang warnt vor zu schnellen Schlüssen. Denn empirisch sei die Auswahl (also die Fälle in besagter Liste) nicht repräsentativ. Da stehe man erst am Anfang. Aber wie lange braucht das Amt denn noch hier endlich Material zu liefern und wirksame Maßnahmen einzuleiten?

Antisemitismus – gleich welcher Ausprägung – das wissen Experten, ist expansiv und breitet sich schnell aus. Was hätte man da erreichen können, wäre man schon ab 2015 oder noch viel früher mit aller erforderlichen Konsequenz vorgegangen? Das allerdings, soviel muss man Haldenwang zugestehen, ist noch nicht auf dessen Mist gewachsen. Sicher ein weiterer Grund für dessen Gesprächsbereitschaft in der Sache.

Die Zeitung nennt, was sie von Haldenwang präsentiert bekommt: „nur ein kleiner Ausschnitt der verstörenden Wahrheit.“ Auch deshalb, weil der Verfassungsschutzpräsident freimütig eingesteht, dass Ermittlungen in diese Richtung von vielen Zufällen abhängen.

Die Lässigkeit der Behörde ist offensichtlich struktureller Natur. Die Polizei, die ja dort zuerst ist, wo Antisemitismus im Alltag bekannt wird bzw. angezeigt wird, „zählt Straftaten von muslimisch geprägten Antisemiten überhaupt nicht in belastbarer Weise.“ Der einzelne Polizist würde ja vielleicht wollen, aber er darf nicht wie er will.

Längst ist bekannt, dass antisemitistische Untriebe im Zweifel immer als rechtsradikal gewertet werden – den politischen Entscheidern ist das sogar recht. Passt es doch so gut zum Kampf gegen Rechts. Einer Bewegung, deren Kernziel leider oft ein ganz anderes ist: Die Diffamierung, Diskreditierung und Denunziation des politischen Gegners. Wer aber so agiert, wer Antisemitismus einseitig verschweigt, der duldet ihn letztlich.

Deutsche Rabbiner und Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, wissen es längst besser: Der Anteil arabischstämmiger Täter sei anders, als es in der Statistik zum Ausdruck komme, bemerkt Klein.

TE berichtet darüber schon seit Jahren. Das Fazit der Süddeutschen Zeitung kommt sehr spät:

„Alle offiziellen Statistiken, nach denen zum Beispiel 70, 80 oder 90 Prozent aller antisemitischen Attacken in Deutschland von Rechtsradikalen verübt würden, sind deshalb mit großer Skepsis zu lesen. In ihnen werden auch ungeklärte Fälle einfach mitgezählt, und mitunter zählen dazu selbst Fälle wie dieser aus der Berliner Kriminalstatistik von 2014: Als beim jährlichen Al-Quds-Marsch dort Anhänger der schiitischen Hisbollah „Sieg Heil“ riefen, wurde dies von der Polizei auch dem Phänomenbereich „PMK – rechts -“ zugeordnet.“

Das veröffentlichte Interview mit Thomas Haldenwang gibt dem Verfassungsschutz nun Gelegenheit, seine Aktivitäten gegen Antisemitismus auch aus der Mitte der muslimischen Gemeinden heraus zu verstärken. Das Problem liegt auf dem Tisch und gammelt nicht mehr im Aktenschrank. Es eilt jetzt wirklich.

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