Tichys Einblick
Von Douglas Murray

Warum ich niemals Abgeordneter werden will

Der Konservatismus hat eine entscheidende Schwäche gegenüber der politischen Linken: linke Forderungen sind überall gleich, Konservative müssen jeweils vor Ort unterschiedliche Dinge bewahren. Das erfordert ein gewisses Maß an ideologischem Spielraum und Toleranz.

Immer mal wieder werde ich gefragt, ob ich jemals darüber nachgedacht hätte, Mitglied des Britischen Parlaments zu werden. Ich reagiere in der Regel mit einem leicht irre wirkenden Lachen, so dass sich eine Antwort erübrigt. Wenn ich es doch schaffe, die Antwort auszuformulieren, klingt sie in der Regel so: „Nein, weil ich gerne das sage, was ich für wahr halte “. Manchmal insistiert mein Gesprächspartner jedoch: „Aber als Abgeordneter haben Sie doch eine riesige Bandbreite im Meinungsspektrum. Das Parlament ist nicht mit zurückhaltenden Typen besetzt.“

Während solcher Gespräche gehen mir verschiedene Namen und Bilder durch den Kopf. Ich denke da zum Beispiel an Sarah Champion – Labour Abgeordnete für Rotherham. Frau Champion erhielt ihren Sitz 2012 und eines der Probleme das sie erbte, war eines der größten Verbrechen der modernen britischen Geschichte, das sich in ihrem Wahlkreis kurz zuvor ereignet hatte. Ungefähr 1.400 minderjährige Mädchen und junge Frauen in Rotherham wurden über Jahre hinweg sexuell missbraucht, von Gruppen die wir heute verschämt „grooming gangs nennen.

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2016 wurde Champion zur Schattenministerin für Frauen und Gleichstellung – ein Ressort das vielleicht so nicht existieren sollte. Aber da es existiert, sollte wohl auch der Kampf gegen randalierende, pädophile Vergewaltiger-Banden dazu gehören. 2017 versuchte Champion das politische Tabu zu brechen, dass über diese Vorgänge nicht gesprochen werden durfte – und wurde gezwungen, zurückzutreten.

„Nun, das ist Jeremy Corbyns Labour Party“, könnte man dazu sagen. „Jeder weiß, dass es die Konservative Partei – immerhin die Partei Boris Johnsons – besser machen würde.“ Darüber kann ich nur höhnisch lachen.

Das neueste konservative Gesicht, das mir einfällt, ist Daniel Kawczynski, Abgeordneter aus dem Wahlkreis Shrewsbury, dem ich bis vor Kurzem noch nie begegnet bin. Wir liefen uns in Rom über den Weg, weil wir auf einer Konferenz über „Nationalen Konservatismus“ zu den Themen „Europa“ und „Brexit“ Vorträge halten sollten. Mich hatte mein Freund John O‘Sullivan eingeladen, der frühere Redenschreiber von Margaret Thatcher.

Die Konferenz wurde von einer Reihe europäischer und amerikanischer konservativer Institutionen organisiert, welche Edmund Burke, Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II. als Inspiration nannten. Weitere Organisatoren waren unter anderem Chris DeMuth, der für Ronald Reagan gearbeitet hatte, und der berühmte jüdisch-orthodoxe israelische Akademiker Yoram Hazony.

Wenn ich hier die Liste der Eingeladenen ausbreite, dann nicht, um damit anzugeben, sondern einfach, um die Absurdität dessen zu verdeutlichen, was dann geschah. Es war unvermeidlich, dass ein reißerischer Artikel im Vorfeld der Konferenz erschien, in dem behauptet wurde, Kawczynski wäre „kritisiert“ worden für sein Erscheinen bei einem Event mit „Figuren, die weit rechts stehen“.

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Es ist schon wahr, dass sich die Teilnehmer weiter rechts als die durchschnittlichen Gäste der Politsendung Question Time befanden. Viktor Orban, Ministerpräsident Ungarns, war einer der Redner, ebenso viele Abgeordnete nationaler Parlamente und des EU-Parlaments. Während Matteo Salvini nicht erschien, kam Giorgia Meloni von der Fratelli d‘Italia (eine Partei rechts von Salvini). Auch einige sehr katholische Personen hielten Reden, doch ich bin ökumenisch in diesen Themen und erkenne das Recht von Katholiken an, ihre Meinung in Rom kundzutun. Es stimmt schon, einige Teilnehmer stehen für Teile der kontinentalen Rechten, von der ich denke, dass sie in die falsche Richtung geht. Ganz oben auf meiner Liste würde zum Beispiel Marion Marechal stehen, die sich von dem Namenszusatz „Le Pen“ getrennt hat, doch deren Familienpolitik mir nach wie vor hässlich und unheilvoll erscheint.

Aber dennoch sind Gelegenheiten wie diese Konferenz Gold wert. Ich hatte Marion Marechal vorher nicht aus der Nähe gesehen und war einigermaßen erleichtert, dass die beste Waffe in ihrem Arsenal ihr etwas ermüdender, schulmädchenhafter Charme war. Ebenso Meloni, deren Litanei über die „Hochfinanz“, die allein für Italiens Finanzprobleme verantwortlich sein soll, mich dazu bewegte, eine Hand an meinen Kopf zu legen, wie ein Anglikaner, der halb im Gebet versunken ist.

Abgesehen von einer kleinen Gruppe solcher Leute war die Konferenz voller Teilnehmer, die förderliche und unumstrittene Verbündete der Konservativen sowohl unseres als auch jedes anderen Landes sind.

Wie wir wissen, hat der Konservatismus eine ganz entscheidende Schwäche gegenüber der politischen Linken, da linke Forderungen überall die gleichen sind, die Konservativen aber jeweils vor Ort ganz unterschiedliche Dinge bewahren müssen. Das bedeutet, dass ein gewisses Maß an ideologischem Spielraum und Toleranz für regionale Eigenheiten Voraussetzung sind für jeden, der daran interessiert ist, eine konservative Koalition aufzubauen.

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Mir fallen wenige noch entscheidendere Aufgaben für die nächsten Jahre ein, als herauszufinden, mit wem wir auf dem Kontinent zusammenarbeiten sollten und mit wem nicht: Wer sind unsere ideologischen Verbündeten und wer sind die Leute, die das ganze verdammte Ding wieder gegen die Wand fahren könnten? So etwas finde ich gerne selbst heraus und war erfreut, dass ein konservativer Abgeordneter in Rom dabei war, der ähnliche Ansichten hat und mit guten Konservativen des Kontinents Freundschaft schließen wollte. Nun, das Geschrei wird ihm – und allen anderen – eine Lektion erteilt haben.

Irgendein Möchtegern-Journalist fing an, bei verschiedenen „Interessensgruppen“, anzurufen. Verschiedene andere Ignoranten taten das gleiche. Schon bald warfen die muslimischen Verbände, der Deputiertenausschuss der britischen Juden und einige unabhängige Schwule mit den üblichen Anschuldigungen um sich. Jeder Teilnehmer der Konferenz gehörte angeblich zu „rechts außen“. Es wurde auch behauptet, die Veranstaltung sei voller Homophober und Antisemiten – ein Vorwurf, dem Yoram Hazony möglicherweise etwas entgegenzusetzten hätte. Ganz zu schweigen von mir und Kawczynski selbst, welcher offen bisexuell ist und der Charakterisierung als Homophober zumindest zur Hälfte widersprechen könnte.

Er hielt einige Tage den Druck der Medien aus, aber irgendwann errangen der traurige Pseudo-Journalismus und die aufgeregten „Interessensgruppen“ ihren großartigen, ignoranten Sieg. Die Konservative Partei zwang ihren Mann, sich dafür zu entschuldigen, dass er bei einer Konferenz von Konservativen aus ganz Europa aufgetreten war.

Und darum muss ich wie ein Irrer lachen, wenn mir die Frage gestellt wird, ob ich nicht Abgeordneter werden wolle. Ich vermute, es würde weniger als ein Tag vergehen, bis ich in das Büro des Fraktionsführers zitiert würde und vor dessen Schreibtisch stehen müsste, um ein vorbereitetes Geständnis zu unterschreiben. Ich würde schuldig befunden werden, mich öffentlich mit der Massen-Vergewaltigung von Kindern zu beschäftigen oder Umgang mit Menschen vom Kontinent zu haben, die nicht der politischen Linken angehören. Dann würde ich dastehen und eine Aussage unterschreiben, die besagt, dass orthodoxe Juden Antisemiten sind, dass ich mit Homophoben verkehre, dass gewählte Ministerpräsidenten unbedeutende Personen am Rande der Gesellschaft sind und während oben unten ist, rechts sich rechts-außen befindet.

Es gibt eine ganze Menge europäischer Probleme. Dieses aber ist unseres.

Dieser Beitrag von Douglas Murray wurde von Maximilian Tichy ins Deutsche übersetzt und erschien zuerst in The Spectator.


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