Tichys Einblick
Welpenschutz und Raupe-Metaphern

Bei Illner: „Die German Angst ausnahmsweise berechtigt“

Am Brandenburger Tor gehen nach und nach die Lichter aus, ziehen dunkle Apokalypse-Wolken auf, untermalt von dramatischer Klassikmusik. Plötzlich wird das Wahrzeichen knallrot beleuchtet, als stünde es mitten in der Hölle, darüber erscheint in Leuchtschrift: „THE DAY AFTER TOMORROW“.

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

War meine Kritik an der letzten Sendung noch, dass die tatsächlich zuständige und verantwortliche Person in der Runde fehlte – in dem Fall Frau Lambrecht, die sich bei Talkshows über Verteidigungspolitik absolut nicht blicken lässt –, so wurde zumindest dieses Problem für die gestrige Sendung eindeutig aus der Welt geschafft. „Energie, Krise, Inflation – trifft es Deutschland am härtesten?“, lautete der Titel der Sendung und die Gäste machten schon was her.

Nicht nur einer, sondern gleich drei Hyper-Top-Elite-Spitzen-Politiker waren zugegen: Kevin Kühnert, der SPD-Generalsekretär, CDU-Vize Jens Spahn und Sarah Lee Heinrich, die Sprecherin der Grünen Jugend. Ja, genau: Wir haben der Reihenfolge nach genannt den SPD-Typen, der mit Enteignungsfantasien berühmt wurde, den Banker, der nicht will, dass Sie sich erinnern, wer in der letzten Regierung Gesundheitsminister war, sowie das Mädchen, das zwar ein Problem mit widerlichen weißen Mehrheitsgesellschaften hat, aber kein Problem hat, darin zu leben.

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Wer wäre also besser geeignet, sich mit den Problemen unserer Zeit differenziert auseinanderzusetzen und Lösungsvorschläge zu diskutieren, die uns aus eben jener Krise wieder herausführen könnten? Richtig, jeder. Aber meine Oma hatte gerade keine Zeit, der Kebab-Dealer von unten an der Ecke ist auf seine Nebengeschäfte konzentriert und Marilyn Monroe hat eine gute Ausrede.

Also hat Illner die nächstbesten auf der Telefonliste angerufen. Und die haben sich sicher gefreut, denn für sie trifft sich das gerade recht. Spahn scheint auf Lauterbachs Thron aus zu sein – nein, nicht auf den Ministerposten, sondern den des Talkshow-Königs natürlich. Man bekommt ihn gerade bei Illner in letzter Zeit häufiger zu sehen, immer zu Wirtschaftsfragen – aha: Image-Erneuerung. Das könnte sogar klappen, wenn man bedenkt, dass die meisten Deutschen bereits vergessen haben, was Spahn in der letzten Amtsperiode gemacht hat.

Sarah Lee Heinrich wird neben ihm absolut ebenbürtig behandelt, kein Wunder, dass auch sie hier sitzt. Denn einerseits hilft es ihr, den Sprung in die echte Politik zu manifestieren, andererseits bietet sie ein schönes Spektakel an. Sie spricht, als würde sie tatsächlich im Bundestag sitzen, gleichzeitig trägt sie keine echte Verantwortung und kann sich allein in die Reihe der Fordernden und Vorwurfsvollen stellen. Sie hätte alles besser gemacht, auch wenn sie bisher noch gar nichts gemacht hat. Beides zusammen gibt bei ihr einen Mix, der dazu führt, dass sie zwar austeilen und sich schön als die Besonnene darstellen kann, ihr aber gleichzeitig keiner widersprechen darf, ganz besonders Spahn nicht – denn wer würde schon ein junges engagiertes Mädchen fertig machen wollen? Sie genießt Welpenschutz, darf sich festbeißen, wo sie will. Derweil sonnt Kühnert sich im Scheinwerferlicht, wie eine Katze in der Sonne – er ist einfach nur froh, hier zu sein.

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Während sich die Politik-Kids streiten, ist das Dramatik-Komitee des ZDF mit den Einspielern dieses Mal „all out“ gegangen: „Es geht bergab mit Deutschland, die Zeichen sind unübersehbar. Diesmal scheint German Angst ausnahmsweise berechtigt“, sagt die Stimme aus dem Off. Wir sehen das Brandenburger Tor, bei dem nach und nach die Lichter ausgehen, im Hintergrund ziehen dunkle Apokalypse-Wolken auf, das Spektakel wird von dramatischer Klassikmusik untermalt. Plötzlich wird das deutsche Wahrzeichen knallrot beleuchtet, als stünde es mitten in der Hölle, darüber erscheint in Leuchtschrift: „THE DAY AFTER TOMORROW“.

Das Dreier-Dream-Team für Deutschland – Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz –, sie tauchen nach und nach als sprechende Glühbirnen auf, die Sätze sagen wie: „Wir werden dadurch ärmer werden“, dann verstummen und ausgeschaltet werden. Alles wirkt wie ein verrückter Corona-Fiebertraum. „Wieso, weshalb, warum?“, spricht uns nun wieder die Stimme aus dem Off ins Gewissen. „Ausgerechnet wir – Industriemotor Europas, Exportweltmeister, fiskalpolitischer Musterschüler – kommen schlechter durch die Krise?“

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Wir haben in den letzten Monaten bereits mehrmals bemerken können, dass auch beim ZDF gerade eine Welt zusammenbricht. Dass dieses Mal diese Krise auch an ihnen nicht spurlos vorbeigeht. Corona konnte man noch ignorieren und dann seine große Virenschleuder-Silvester-Show trotzdem ausstrahlen. Doch wenn in ganz Deutschland die Lichter ausgehen, wird man beim Rundfunk noch wütend sein, dass man das viele Geld in Holzböden und Mooswände investiert, statt eine Armee an Notstromaggregaten gekauft hat. Und dass alles nur, weil sie treu geglaubt haben, als es aus der Politik dröhnte: „Wir haben kein Stromproblem.“

Das erste Mal besteht unsere Krise nicht aus solchen menschengemachten Gesetzen und Maßnahmen, die man umgehen kann, wenn man gute Kontakte hat. Und ganz langsam dämmert es ihnen: Die Regierung hat nicht alles unter Kontrolle. Dieser Wandel findet aber natürlich schleichend statt. Deshalb hat man beim ZDF auch noch keinen blassen Schimmer, weshalb „ausgerechnet“ Deutschland jetzt so schlecht dasteht.

„Diese Reduktion des Wohlstands wird Deutschland noch lange erhalten bleiben“, sagt ein Wirtschaftsexperte in der Runde. Doch die Politikvertreter hören ihn kaum. Sie haben ihre Satzbausteine schon lange vorbereitet. „Es kann sich nur eine Wirtschaft reformieren, die noch am Leben ist“, erklärt Kühnert fachmännisch. Und dann nochmal für die ganz Langsamen – man könnte behaupten seine Wähler: „Eine Raupe, die tot ist, wird nicht mehr zum Schmetterling.“ Vielen Dank, für diese dichterische, ja philosophische Erklärung, Herr Kühnert, ich hätte mir das ja sonst gar nicht ausmalen können, ohne Ihren Intellekt …

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Zugegeben, einige der Zuschauer mögen sich kaum vorstellen können, dass Strom nicht aus Windmühlen kommt, aber „Tod“ dürfte doch eigentlich im Wortschatz sein. Sarah Lee Heinrichs scheint den Schuss nicht ganz gehört haben: „Man muss wirklich aufpassen, in der Situation bei allen Schwierigkeiten, dass wir nicht anfangen, die gegen das Ende der nächsten Monate gegen das Ende des Planeten auszuspielen“, schließt sie an – um dann zu enden mit: „Denn ehrlich gesagt, gibt es keine Wirtschaft auf einem toten Planeten.“

Tja, das ist das Problem, wenn die Parteien zu austauschbar werden, dass sie sich gegenseitig schon im wahrsten Sinne des Wortes die Totschlagargumente klauen (wissen Sie, wegen Tod und so? – Egal, ich fand mich lustig). Wenn wir erstmal den Klimatod sterben, ist sie aus, die Maus. Man könnte auch sagen: Aus einer toten Raupe kann kein Schmetterling mehr werden. Ich glaube, das sagte einst der weltberühmte Philosoph Kant.

Es ist natürlich auch wahrscheinlicher und aktuell das drohendere Szenario, dass wir alle den Klimatod sterben, statt dass wir im Winter ohne Heizung erfrieren oder daran scheitern, dass ein langanhaltender Blackout doch nicht so eine Art Abenteuer ist. „Wir machen hier einen Punkt. Eine Menge nachzudenken“, greift Illner direkt nach Sarah Lee ein – und bewahrt uns vor weiteren Nimmersatt-Methapern.

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