Tichys Einblick
„Scheitern Schulen an Corona?“

Bei hart aber fair: Privilegierte über die Sorgen der anderen

Plasberg meint, in der Krise wäre deutlich geworden, dass Schulen in Deutschland nicht mit der besten Ausstattung arbeiten. Merkwürdigerweise sind dazu keine Schüler eingeladen. Und Kinder stören - aber nun sind sie halt mal da.

Screenprint: ARD/hart aber fair

Frank Plasberg bleibt beim Corona-Thema. Und er hat seine liebe Mühe, sich für seine Runde Hart aber fair noch ein unberührtes Stückchen von der allgemeinen Aufregung abzuschneiden: Er will über die Frage sprechen, warum Kinder und Eltern zuletzt an der Reihe sind, was Lockerungen und Unterstützungen angeht. Und im Speziellen treibt ihn die Frage um: „Scheitern Schulen an Corona?“ Plasberg meint, in der Krise wäre deutlich geworden, dass die Schulen in Deutschland nicht mit der besten Ausstattung arbeiten.

Merkwürdigerweise sind dazu keine Schüler eingeladen. Ohne Schüler aber muss man nicht über Schulen diskutierten, dann braucht es keine. Wer eigene Kinder hat, ist jetzt klar im Vorteil und kann nachfragen. Also grinsende Antwort des Sohnes des Autors hier, der die zehnte Klasse besucht:

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„Was ich in der Schule mache, lerne ich längst in viel kürzerer Zeit aus Youtube-Videos. Für mich ist es im Moment sogar eine Erleichterung, da weniger hin zu müssen. Schule ist doch langweilig. Die spulen nur ihr gelerntes Programm runter und das ist zu lang gestreckt und zu wenig. Was der Lehrer da vorn in einem halben Jahr erzählt, da höre ich kaum hin“, lacht er. „Erst wenn die Arbeiten anstehen, dann schaue ich ein paar Youtube-Videos und schon hab ich’s drin.“

Die Mutter, die als Hausfrau tätig ist, die also von der Grundschule an bei den Hausarbeiten geholfen und die beispielsweise sogar extra Spanisch mit gelernt hat, sieht die Schulfrage in der Corona-Krise etwas differenzierter:

„Was mein Sohn eben gesagt hat, verstehe ich zwar. Aber ich verstehe auch, warum es bei den Lehrern so lange dauert: Das Niveau ist einfach zu unterschiedlich und da muss ja möglichst jeder mitgenommen werden. An den Gesamtschulen ist das Gefälle noch größer. Das muss der Lehrer berücksichtigen und das kostet eben Zeit, Kinder sind doch keine Automaten. In einem Video ist das anders, da sucht sich der Schüler eben das auf Youtube aus, was er inhaltlich für eine Klausur lernen muss und er wählt genau aus, was zu seinem Niveau passt und fertig.“

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Was Schüler und Mutter berichten, möchte Plasberg bei Hart aber fair offensichtlich lieber auf mehr Distanz besprechen. Dafür eingeladen wurden Franziska Giffey (SPD), die Bundesfamilienministerin (sie kommt per Bildschirm ins Studio), zusätzlich die Kultusministerin von Baden-Württemberg, Susanne Eisenmann (CDU), Udo Beckmann, die Bundesvorsitzenden des Verbands Erziehung und Bildung (VBE), Stephan Wassmuth, der Vorsitzende des Bundeselternrats, Verena Pausder als Expertin für digitale Bildung (wird später dazu kommen) und Collien Ulmen-Fernandes. Letztere ist Schauspielerin und Kolumnistin bei der Süddeutschen Zeitung zu Erziehungsfragen.

Fassen wir diese arg schlagseitige Gästeliste mal zusammen: Eingeladen sind für Bildung Verantwortliche, mit Ausnahme von Franziska Giffey. Die ist zwar formal für alles verantwortlich und genau deshalb für: Nichts. Es fehlt die Bundesbildungsministerin, wie heißt die doch gleich? Aber die ist ja von der CDU. Alles klar also. Es ist aber niemand dabei , der ihnen in gebotener Härte auf den Zahn fühlen könnte. Dabei ist auch die Kolumnisten einer regierungsbraven Zeitung, die bereits mit den Öffentlich-Rechtlichen in einem Rechercheverbund zusammenarbeitet. Nein, das ist nicht ausreichend.

Es werden also für den Bildungsstandort Deutschland Maßnahmen besprochen, die unter „Gleichgesinnten“ mal für das Fernsehen durchlitten werden sollen, als spiele man in einer dieser fiktionalen Dokuserien im Privatfernsehen. Also wird es möglicherweise gleich ein paar Scheingefechte geben, aber kritische Opposition, die auch zu diesem Thema unerlässlich ist – Fehlanzeige.

Wo bleibt eigentlich Freizeit-for-Future?

Los geht’s. Kurze Frage noch: Wo sind eigentlich die vielen engagierten Fridays-for-Future-Demos geblieben? Die dürfen nicht mehr so wie früher wegen Corona? Das stimmt, aber glaubt ernsthaft jemand, wenn sie dürften, wären sie auch in der schulfreien Zeit alle gekommen?

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Stephan Wassmuth bedauert als Vorsitzender des Bundeselternrats die vielen Mehraufgaben mit den Kindern, die auf die Eltern zugekommen sind. Großteils wäre es bei der Mutter hängen geblieben, das müsse dringend geändert werden. Ketzerisch könnte man hier schon einwerfen, dass das althergebrachte System der Hausfrau hier doch viele Probleme absorbiert hätte. Wenn es jetzt aber unter Corona um eine Entschleunigung von Kapitalismus geht, wäre doch eigentlich das Modell wieder ideal, wo ein Elternteil zu Hause bleibt. Aber in Zeiten, wo Frauen mit Begriffen wie Herdprämie verunglimpft wurden, ist hier kaum noch Bewegung geschweige denn Besinnung möglich. Viele Frauen verwirklichen sich deshalb gerade bei Aldi, Netto und Penny an der Kasse – dort gab es als Dankeschön für diese Hochrisikojobs ein paar läppische Euro zusätzlich. Als einmalige Zahlungen.

Aber zurück zu Plasbergs Hart aber fair. Dort möchte Frau Ulmen nicht zusätzlich zum Job noch Hobbyvollzeitlehrerin sein. Das hätte nicht gut geklappt. Auch das Homeschooling wäre nicht gut, noch weniger, wenn die Lehrer parallel die andere Hälft der Schüler unterrichten, also für so ein Homeschooling gar nicht zur Verfügung ständen.

Dauerbetroffenheit als Qualifikation für ein Amt

Warum Franziska Giffey von der ersten Silbe an anstrengt? Es ist ihre Stimme und die Art, zu sprechen. Und das ist kein Zufall, sondern Absicht: Da schwingt so eine dauerhafte Betroffenheit mit am Leben und an den vielen bösen Menschen, die ihre Arbeit immer so oft kritisieren. Wenn man das aber nicht mehr abgeschaltet bekommt, dann wirkt man dauerbeleidigt,als stände man im Schmollwinkel und das nervt leider sehr.

Anfang April hoch kritisch - und nun?
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Udo Beckmann ist der Lobbyist der Schulen und Lehrer. Das ist nichts Böses per Se, aber er ist vorauseilend bissig gegen jede nur ansatzweise kritisch klingende Frage von Plasberg. Kultusministerin Eisenmann ist ebenfalls von der ersten Minute an beißwütig. Klar wird so schon mal, dass hier alle für Bildung Verantwortlichen unter gehörigem Feuer stehen. Da könnte Selbstkritik helfen, noch mehr, wenn man sowieso schon zu jener in wesentlichen Teilen verbeamteten Gesellschaftsgruppe gehört, deren Löhne gesichert sind.

Es sind hingegen eine Vielzahl von Eltern in Kurzarbeit, bangen um Jobs oder haben schon gar keine Arbeit mehr. Und die, die noch welche haben, bezahlen mit ihren Steuergeldern jene, die gerade gegen berechtigte Kritik so überempfindlich reagieren. Allen voran die Familienministerin: Wie kann eine einzelne Person nur so eine geballte wie destruktive Aggressivität mit sich herum schleppen?

Franziska Giffey sagt mal danke an jene Beamten, die das alles möglich gemacht haben, beispielsweise mit der schnellen Abwicklung des Kindergeldzuschlags. Aber was für ein Schlag ins Gesicht jener Antragsteller, die bis heute auf das Geld warten? Und es sind ja nicht nur die, die warten, auch viele Soloselbstständige sind verzweifelt, weil kein Geld bei ihnen ankommt und nicht einmal ein Hinweis darüber eingeht, warum es so lange dauert und ob überhaupt noch etwas kommt.

„Unser Land funktioniert weiter in der Krise“, sagt Frau Giffey, „von der Supermarktkasse eben bis zu den Gesetzen, die gemacht werden müssen, damit Hilfsmaßnahmen auch laufen.“ Gesetze, die im Modus der Notverordnung am Parlament und am Bundesrat vorbei beschlossen werden unter zur Hilfenahme von umfangreichen Ermächtigungen? Wovon redet diese dauerbeleidigte Bundesfamilienministerin in diesem so hysterisch anmutenden Dauerglutrot aus Kostüm und roter Studio-Kulisse eigentlich? Hier brennt es lichterloh, aber es sieht nicht nach Weihnachten aus, jedenfalls nicht für die Millionen, die aktuell um ihre Existenz bangen müssen.

So etwas wird heute ausgesessen
Giffey und Feldmann: Ehe-Skandale verschiedener Qualität
Dann darf Verena Pausder bei Hart aber fair als Expertin für digitale Bildung erzählen, warum es in Deutschland so hängt mit der Digitalisierung und warum das jetzt, wo es darauf ankommt, so auffällt. Pausder meint, das wir jetzt „ausbaden müssen, dass wir zu lange mit dem Thema gehadert haben, anstatt klar zu sagen, wie setzen wir diesen Digitalpakt jetzt um.“ Plasberg möchte von ihr wissen, warum Unternehmen im Vergleich zu den Schulen so viel flotter damit waren, sich digital zu verbinden, wo es keine analogen Zusammenkünfte mehr geben kann.

Der Expertin fehlte eine Positivliste, also statt Verordnungen, was aus Datenschutzgründen alles nicht geht, mal eine, die sagt, was alles erlaubt ist.
Zwiwchenfrage: Wurde eigentlich schon darüber geredet, warum dieser ganze komplizierte Wahnsinn überhaupt notwendig geworden ist? Nein, nicht wegen des Corona-Virus, sondern zunächst doch einmal aufgrund von staatlichen Maßnahmen wegen einer vermuteten Gefahrenlage.

Millionen Kinder einfach abgehängt

Verena Pausder weiß, dass zweieinhalb Millionen Kinder digital nicht erreicht wurden, weil es dort gar keine Rechner gab. Soviel an die Adresse der Bundesministerin, die sich und ihre Beamten gerade noch so überschwenglich gelobt hatte, offensichtlich, weil es sonst keiner mehr macht. Oder schlimmer: Weil sie selbst einmal von irgendjemand gelobt werden will. Hat Franziska Giffey ein Recht darauf, gelobt zu werden? Wohl soviel wie jeder andere auch, der dafür vernünftige Gründe liefert.

Analyse aus dem BMI
Nur ein Fehlalarm? Mehr Tote durch die Rettung als durch das Virus?
Natürlich ist auch Verena Pausder Lobbyisten in eigener Sache. Auch sie wittert die Chance endlich durchzusetzen, was zuvor noch von vielen Einwänden
abgebremst wurde – aber wer sagt eigentlich, dass dieser Bremssand immer negativ war? Viele Dinge brauchen eben.  Die Digitalisierung um ihrer Selbstwillen oder gar als Antwort auf eine weltweite wirtschaftsrelevante Digitalisierung ist in vielerlei Hinsicht auch eine Form der Aufrüstung des Wirtschaftskrieges von morgen. Da, wo wieder die Verlierer abgehängt werden. Diese Spirale muss in der Not nicht noch brutaler weiter gedreht werden.

Jetzt ist Corona da. Und jeder, der sich vor der Corona-Krise vernachlässigt fühlte, will jetzt erst recht in den Fokus des Interesses rücken. Und das fällt Vertretern einer digitalen Zukunft aus verständlichen Gründen in Zeiten massiver staatlicher Einschränkungen viel leichter.

Und als hätte Franziska Giffey permanent Sorge, nicht ernst genommen zu werden, zählt sie wie schon zuvor einmal in einer anderen Sendung auf, was sie früher schon alles geleistet hätte. Sie hätte dafür gesorgt, dass es in Berlin Schulen gibt, die schon vor fünf Jahren Kreidefrei waren. Ach Gott.

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Was hingegen keiner so genau erklären mag: Warum soll das digitale Lernen eigentlich so viel notwendiger sein, dank Corona? Was ist denn anders, wenn dieser Spuk vorbei ist? Oder wenn vorbei ist, was hoffentlich irgendwann vorbei ist? Oder soll das nie aufhören? Wer wünscht das vielleicht? Ist das schon die Vorbereitung auf einen jahrelangen Dauerzustand unter Aussetzung von immer mehr Grundrechten?

Bei Giffey werden Chancen zur Bedrohung

Bundesministerin Franziska Giffey spricht von der Krise als Chance und das klingt aus ihrem Munde automatisch und postwendend bedrohlich. „Die Chance muss jetzt genutzt werden.“ Und sie wird nicht die einzige sein, weitere Minister werden die Gunst der Stunde für ihre Kellerleichenvorhaben nutzen oder haben sie schon genutzt. Zombie-Politik.

Dann wieder Verena Pausder, die in ihrer Begeisterung ebenso ansteckend ist, wie sie im von ihr behaupteten Zeitdruck zur Gefahr für das große Ganze wird. In etwa zu sagen, wir hätten keine Zeit mehr, über Datenschutz zuviel nachzudenken, sollte aufhorchen lassen. Musterland wäre Dänemark, sagt Pausder. Kann man sich ja mal anschauen. Aber noch sieht es allerdings nicht so aus, als könnten uns die Dänen oder gar die Esten die Butter vom Brot nehmen. Denn ganz sicher gibt es spätestens seit 2015 viel gravierendere politische Entscheidungen, die in Dänemark und Deutschland unterschiedlich getroffen wurden und weiter anstehen, die enorme Auswirkungen für die Zukunft haben.

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Plasberg sagt dann noch kurz vor Schluss: „Huch, kein Klavierunterricht, kein Tennisunterricht, kein Fußball und der Knabe ist die ganze Zeit zu Hause.“ Herrje, möchte man dazwischenrufen, könnt ihr eure privilegierten Probleme nicht einmal mit euch alleine ausmachen, anstatt diejenigen damit zu belästigen, die dringendere, die wirklich existenzielle Probleme haben, die kein Klavier haben und auch keinen Tennisplatz hinterm Haus, nicht einmal einen Quadratmeter Rasen für einen Einmallgrill aus dem Baumarkt? Das Problem scheint zu sein: Nun sind sie einfach da, diese Kinder, die sonst woanders sind. Und stören.

Aber auch klar, diese privilegierten Herrschaften lernen ihre Kinder tatsächlich jetzt mal besser kennen, schon deshalb, weil diese ganze Schar aus Aufpassern, Nachhilfelehrern und so weiter auch für mehr Geld nicht mehr vorbeikommen durfte. Und nun jammern sie am lautesten, wenn der digitale Unterricht nur schleppend passiert, während die so schräg belächelten Hausfrauen ganz genau wissen, was das Kind in den letzten Jahren so gemacht hat, einfach schon deshalb, weil sie daneben saßen und sich von der Politik und den gesellschaftlichen Entscheidern einmal Anerkennung für das gewünscht hätten, was sie da Enormes leisten und das auf hohem Niveau, weil hier die notwendige tägliche Arbeit der Lehrmeister war.

Stattdessen wurde ihr nur angeraten, aus Selbstverwirklichungsgründen doch eine Arbeit anzunehmen, als hätte sie vorher keine gehabt, um dann also halbtags an der Kasse von Penny zu sitzen und von ihrem kargen Lohn noch zwei Drittel für den nun höheren Kindergartenbeitrag und andere Bertreuungsdienste auszugeben für Leistungen, die sie vielfach besser hätte erledigen können.

Schule soll digitaler werden und das ganz, ganz schnell? Wenn das aktuell unser einziges Problem wäre, dann würde man sich solche Probleme wünschen. Denn morgen wird auch das wahrscheinlich neben den vielen neuen viel existenzielleren Problemen ein echtes Luxusproblem sein.

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