Tichys Einblick
Putin verdrängt Lauterbach aus Talkshows

Barley fordert bei Illner Gespräche mit China

„Putins neue Terror-Strategie – Ukraine zerstören, Europa spalten?“, lautet der Titel der Illner-Folge diese Woche. Der endgültige Beweis, dass auch beim ZDF niemandem mehr was einfällt.

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

Also zuerst einmal: Was ist daran, die Ukraine zu zerstören, bitte eine neue Strategie für Putin? Worüber sprechen wir denn seit einem Jahr? Und zum zweiten Teil: Hahaha, lange nicht so gelacht. Europa spalten? Putin?! Eigentlich sollte die EU Putin dankbar sein – nichts eint so sehr wie ein gemeinsamer Feind. Europa ist aktuell in einem interessanten Stadium. Klar, einerseits ist Europa – oder besser die politischen Beziehungen zwischen den europäischen Staaten, insbesondere der EU-Staaten – so gespalten wie lange nicht. Trotzdem ist das eine Entwicklung, die alt ist und dementsprechend schon auf sämtliche Ereignisse geschoben wurde: von Trump bis Brexit.

Nichtsdestotrotz ist die EU-Gang im Studio vertreten: Katarina Barley (SPD), die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, und Sergey Lagodinsky, grünes Mitglied des desselben, sitzen im Studio. Dazu ist der Militärexperte dieser Folge vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Sie alle sind hier, um darüber zu sprechen, was für eine Gefahr Putin für unseren europäischen Zusammenhalt ist, denn sonst macht es ja keiner.

Außerdem war Katarina Barley einfach zu lange nicht mehr im deutschen Fernsehen, wurde mal wieder Zeit. Erinnern Sie sich überhaupt noch an die? Das ist das Von-der-Leyen-Double in Brünett (und Achtung, unterschiedliche Parteien trotz gleicher Postionen!), die damals beim EU-Wahlkampf überall mit ihrem Europa-Kapuzenpullover abgebildet war. Aber es ist noch gar nicht so lange her, da saß sie bei Hart aber Fair und hat armen Menschen dazu geraten, einfach weniger zu heizen, wenn es doch so teuer ist.

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Was Talkshows über den Ukraine-Krieg und die EU fast immer gemeinsam haben: Sie sind so allgemein und fast schon abstrakt gehalten, dass man die Floskeln fast austauschen kann. Alles ist ein Angriff auf unsere Werte, auf den Westen, ein Versuch zur Spaltung. Das Schöne an solchen Floskeln ist, dass man sie nie definieren muss, weil jeder sie zu kennen meint und zu wissen glaubt, was gemeint ist. Dadurch redet man über alles und nichts, am Ende reine Zeitverschwendung. Nichts, was man mitnehmen oder zumindest als originellen Gedanken anerkennen könnte.

Dann sagt der EU-Grünen-Politiker ganz nebenbei tatsächlich mal etwas Interessantes bzw. schneidet etwas Interessantes an. Okay, eigentlich hat er es nur angesaust, ist vielmehr daran vorbei gehaucht. Reicht mir aber trotzdem erstmal: „Hier brauchen wir Klarheit, die auch für andere Länder gelten muss und auch für Häfen in Hamburg oder andere Entscheidungen solcher Art. Wir müssen geostrategisch klar denken und Abhängigkeiten vermeiden, die wir vermeiden können.“

Hier schneidet er ein ganz wichtiges Thema an: den Hamburger Hafen. Sie dürften es mitbekommen haben, ein chinesischer Staatskonzern ist gerade dabei, Anteile des Hamburger Hafens zu kaufen, dem wichtigsten Hafen Deutschlands. Alle erdenklichen Instanzen hatten davor gewarnt, Olaf Scholz hat nun trotzdem ein „Machtwort“ gesprochen. Ein Timing, das so schlecht ist, dass ich es dabei ehrlich mit der Angst zu tun bekomme. Am gruseligsten finde ich seltsamerweise, wie egal das alles ist. Es gibt einen Aufschrei, diesmal nicht etwa nur von Rechtsaußen, sonst müsste Scholz so ziemlich den gesamten politischen Apparat feuern. Aber es ist egal. Es interessiert ihn einfach nicht.

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Scholz verkauft uns auf der Bühne der Welt komplett öffentlich an die Chinesen, an ein autoritäres Regime. Nicht abgeneigt von Russland, von Nordkorea sowieso nicht. China verkörpert alles und noch mehr, was Scholz doch angeblich in Putin bekämpfen will. Und trotzdem setzt er sich einfach darüber hinweg, macht es einfach, keine Erklärung, keine Stellungnahme, kein Versuch, das Ganze wie eine saubere Sache aussehen zu lassen. Jeder, der dazu zumindest die Überschriften verfolgt, malt sich doch mit wildester Fantasie aus, was Winnie Pooh wohl gegen Scholz in der Hand hat, dass er ihn so nach seiner Pfeife tanzen lassen kann. Er macht es trotzdem.

Und nein: Das hat mir jetzt nicht irgendwelche Erwartungen zerstört. Ich habe mein Leben lang fast nur Merkel erlebt, ich weiß, dass Kanzler gerne mal Alleingänge machen, die nicht gut für ihr Land sind, um das mal zaghaft auszudrücken. Es macht mir trotzdem immer noch Angst. Ich denke, andernfalls läge ich sonst auch falsch. Was nützen denn schon Kommentare zum Gendern oder zu Indianerkostümen, wenn es parallel absolut normal ist, von dem Mann, der geschworen hat, uns zu beschützen, uns zu dienen, an Diktatoren ausgeliefert zu werden? Und obwohl dies zu kritisieren gemessen an der allgemeinen Meinung dazu nicht sonderlich kontrovers ist, sitzen sie hier und sprechen darüber nur in einem Halbsatz.

Die Sendung dreht sich mal wieder um etwas, worauf wir keinen Einfluss haben. Ich denke aber, dass beide Themen am Ende wieder auf ein Urproblem zurückzuführen sind: Von Olaf bis zur letzten Bank im Parlament ist unser Bundestag voll von dem Schlag Menschen, der sonst im Bürgeramt anzutreffen ist – Sie wissen schon: diese Mitarbeiter, die eine halbe Stunde brauchen, um Ihre Formulare zu prüfen, nur um am Ende festzustellen, dass alles daran scheitert, dass Sie sich auf dem Passfoto eine Strähne nicht vorschriftsgemäß aus dem Gesicht gekämmt haben? Morgens um 8:05 Uhr steigt die Kompetenz im Raum jeden Tag wieder um das Fünffache – wenn der erste verzweifelte Bürger zu seinem Termin erscheint, egal welcher, jeder ist dafür geeignet. Man sitzt bei einer dieser Gestalten am Schreibtisch und wartet. Und so sitzt man da – zu zweit, nur einer an diesem Tisch weiß, wie ein Locher funktioniert, aber das ist leider nicht derjenige, der das letzte Wort in punkto Erstellen des Personalausweises hat.

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Ich gebe der EU an diesem Zustand eine Mitschuld, aber ausnahmsweise mal nicht auf die Art, wie Sie jetzt vielleicht denken. Unsere Politiker leben in einer Blase, in der nationale Politik daraus besteht, Probleme zu beseitigen, die man nur erkennen kann, wenn man als Uni-Professor Narzissmus, Langweile und den Hang zur Melodramatik zu lange im Kopf alleine gelassen hat, während die Außenpolitik aus der EU und vielleicht noch Afrika besteht.

Beide Gebiete sind für Deutsche Heimspiele: In der EU sind wir die mit dem Geld, die Umgebung ist friedlich und gesittet. Stellen Sie sich mal vor, wie sicher man sich fühlen muss, wenn die größten Gegner Polen oder Großbritannien sind. Und für Afrika ist gesorgt, wenn man mal ein paar NGOs vorschickt, die da noch ein paar Brunnen buddeln. Das war’s dann auch schon. Amerika ist ein großes Disneyland, mit Präsidenten, die man beleidigen kann, so viel man will, China ist eine große Fabrik, wo unser Spielzeug herkommt. Dass die ganze Welt uns im Auge behält, dass man vielleicht zumindest kluge Entscheidungen treffen sollte, damit uns der Rest der Welt nicht auslacht, kommt bei denen gar nicht an. Schon gar nicht, dass auch Menschen, die uns nicht lieb haben oder komplett von uns abhängig sind, uns beobachten.

Stattdessen sitzt da Katarina Barley inmitten der Runde und sagt: „Es gibt auch andere, mit denen man reden muss, das sind insbesondere Staaten, die in diesem Konflikt eine Rolle spielen, wie China oder Indien.“ Wenn sie an Diplomatie zum Thema Ukraine-Krieg denkt, dann denkt sie an Gespräche mit China. Na super, was für ein Bogen. Und wieder gruseliges Timing – mitten im Verkauf unseres Hafens, kommt sie nun plötzlich mit Gesprächen zu China um die Ecke. Dass wir aber in keiner guten Postion für Gespräche sind, ist ihr offensichtlich nicht klar. Das gleiche Problem wie bei Putin. Meine Theorie ist, dass Scholz wesentlich mehr im Ukraine-Konflikt tun will – er kann nur nicht. Welche Postion hat er denn schon? „Hallo, ich bin der Bundeskanzler des Landes, das dieses Jahr frieren und vielleicht sogar hungern wird, weil wir so von dir abhängig sind. Und jetzt geh aus der Ukraine raus, hab ich gesagt!“ Gespräche mit China würden doch ähnlich aussehen, machen wir uns nichts vor.

Aber eine Aufmunterung möchte ich trotzdem bieten: Wenigstens ist es nicht Corona. Überlegen Sie mal: Wir neigen uns dem November zu. Und Corona existiert nach wie vor nur in der S-Bahn und in vereinzelten Hausarzt-Wartezimmern. Letztes Jahr um diese Zeit haben wir über den Ausschluss von Ungeimpften aus der Gesellschaft, Schulschließungen und Lockdowns gesprochen. Solange Illner und der Rest des ÖRR das Russland-Thema weiter über den Bildschirm treiben, kann Lauterbach sich nicht wieder in den Studios festsetzen.

Währenddessen verliert der Ukraine-Krieg auch seinen Glanz. Man sieht die Flaggen kaum noch aus den Fenstern hängen, die Leute sind vielmehr damit beschäftigt, sich zu überlegen, ob sie zu Halloween eher als Vampir oder als Hexe gehen. Auf eine Art wird es also wie früher. Die politischen Talkshows werden wieder zu Nischenprodukten und was darin besprochen wird, kann uns wieder egal werden. Zumindest jetzt noch.

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