Tichys Einblick
Politik- und Staatsversagen

Es war Zeit zur Evakuierung vor der Katastrophe an der Ahr

Eine rechtzeitige Warnung wäre möglich gewesen, denn das Ausmaß der bevorstehenden Flutkatastrophe hätte den zuständigen Behörden bewusst sein müssen. Das zeigt der Vortrag des Wetterexperten Jörg Kachelmann vor dem Untersuchungsausschuss zur Hochwasserkatastrophe an der Ahr.

Hannah Cloke (oben rechts), britische Wissenschaftlerin und Professorin für Hydrologie an der Universität von Reading, ist zur Sitzung des Untersuchungsausschusses des rheinland-pfälzischen Landtags zur Flutkatastrophe im Plenarsaal zugeschaltet.

picture alliance/dpa | Arne Dedert
Niemand hätte bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal sterben müssen. Eine rechtzeitige Warnung wäre möglich gewesen, denn das Ausmaß der bevorstehenden Flutkatastrophe hätte den zuständigen Behörden frühzeitig bewusst sein müssen. Das geht aus dem Vortrag des Wetterexperten Jörg Kachelmann vor den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses zur Hochwasserkatastrophe an der Ahr hervor.

Kachelmann: »Viele Stunden vor dem Unglück war aus meteorologischer Sicht bereits klar, dass etwas passieren wird, was seit Anbeginn der Messung noch nie passiert ist.« Eine Flutwelle käme nie plötzlich, zuvor müsse es viele Stunden lang regnen. Bereits zwei Tage vorher hätten die Behörden eine Evakuierung einplanen und die Bevölkerung warnen können und müssen, betonte Kachelmann.

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Der Untersuchungsausschuss, den der Landtag von Rheinland-Pfalz eingerichtet hat, will herausfinden, wie es zu der Katastrophe kommen konnte und wer wo wann wie versagt hat. Denn rechtzeitige Warnungen wären möglich gewesen und hätten sehr viele Menschenleben gerettet.

So berichtet auch der TV-Meteorologe Sven Plöger vor dem Untersuchungsausschuss, dass er bereits in seiner Wetterprognose am 12. Juli – zwei Tage vor der Katastrophe – bei der Tagesschau die Menschen in Westdeutschland und im Schwarzwald warnte, sie sollten den Flüssen fernbleiben. Denn in den Wettermodellen kündigte sich die Katastrophe an. Ein Modell rechnete ein extremes Ereignis am 14. Juli an der Ahr aus. Dabei seien enorme Niederschlagsmengen in einer Größenordnung von 100-200 l/Quadratmeter herausgekommen. Das Potenzial sei im Vorfeld erkennbar gewesen, so Plöger, allerdings sei sehr schwer zu bestimmen, wo genau diese Regenmassen herunterkommen. Auch für den Schwarzwald hätten einige Wettermodelle katastrophale Niederschlagsmengen ausgerechnet, die seien aber ausgeblieben.

Auch Plöger sagte in Mainz vor dem Ausschuss klar und deutlich: »Am 14. Juli hätte man, wenn man Pegelstände und die aktuellen Niederschläge zusammengezählt hat, mit Sicherheit die Menschen früher vor dem Hochwasser warnen können, als es geschehen ist.« Als gegen 23:00 Uhr dann die Warnung mit Aufforderung zur Evakuierung herausgegangen sei, sei es zu spät gewesen.

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Auf einen wichtigen Umstand wies der Karlsruher Diplommeteorologe Bernhard Mühr hin: »Es gibt zu viele Wetterwarnungen in Deutschland.« Dabei könnten wirklich wichtige Meldungen leicht übersehen werden. So habe der Deutsche Wetterdienst zwar frühzeitig die höchste Warnstufe vier vor Dauerregen am Vortag ausgegeben, Mühr bezweifelte allerdings, dass die Brisanz für alle zu erkennen war.

Auch der Dozent für Hydrologie an der Universität in Hannover, Jörg Dietrich, betonte als Sachverständiger vor dem Untersuchungsausschuss: »Spätestens zwischen 15 Uhr und 18 Uhr hätte an der Ahr vor dem Hochwasser gewarnt werden müssen.« Erst am Unglückstag wurde gegen 11:00 Uhr die Hochwasserwarnung von Stufe zwei auf Stufe vier angehoben. Dietrich: »Gegen 15:00 Uhr hatten dann im oberen Lauf der Ahr bereits die Pegel einen Höchststand erreicht.« Das hätte auch in Verbindung mit den starken Regenfällen eine sofortige Evakuierung der Städte und Dörfer am Unterlauf der Ahr veranlassen müssen.

Zeit zur Mahnung und Evakuierung hätte es genügend gegeben, so Dietrich. Die Flutwelle hätte sieben Stunden benötigt, um in Sinzig am Rhein anzukommen. Dort ertranken zwölf Bewohner eines Wohnheimes für Behinderte, die bei rechtzeitiger Warnung gerettet hätten werden können. Über 130 Menschen ertranken in den Fluten, Hunderte verloren ihre Häuser. Die Jahrhundertflut hinterließ eine Zerstörung ohnegleichen.

Der Untersuchungsausschuss soll auch klären, warum die Wassermassen eine solche verheerende Auswirkung an bestimmten Orten hatte. Dabei könnte »grüne« Flurbereinigung eine Rolle spielen.

Am 4. Februar beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss mit der Rolle des Landesamtes für Umwelt. Dabei wird die sehr zweifelhafte Rolle der ehemaligen Umweltministerin und heutigen Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) ins Spiel kommen. Sie ist wesentlich mitverantwortlich für den desaströsen Ausgang jener Unwetterkatastrophe vom 14. Juli. Am späten Nachmittag des 14. Juli haben sich noch Regierungschefin Dreyer und Lewentz mit der Umweltministerin Anne Spiegel am Rande des Landtagsplenums ausgetauscht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Landesanstalt für Umwelt bereits einen dramatischen Pegelstand von mehr als fünf Metern prognostiziert.

Umweltministerin Spiegel ließ um 16:43 Uhr noch eine Pressemitteilung verschicken, nach der kein extremes Hochwasser drohe. Die Präsidentin des Landesamtes für Umwelt erklärte überdies, man behalte die Lage im Blick. Spiegel schlug ebenfalls keinen Alarm.

Spiegel war auch für den Hochwasserschutz in Rheinland-Pfalz zuständig. Wie vielen anderen Grünen war ihr offenbar mehr an Barrierefreiheit und mehr Lebensraum für die Fische in der Ahr als am Schutz der Bevölkerung gelegen. Sämtliche Wehranlagen, Schwellen und Querbauwerke im Verlauf der Ahr wurden abgebaut. »Solche Querbauwerke stellten unüberwindbare Hindernisse für Fische auf ihrer Wanderung zu Laichplätzen in den Oberläufen dar«, monierte nämlich das Umweltbundesamt. Die hatten Menschen nach den letzten katastrophalen Hochwassern in das enge Ahrtal gebaut, damit der Wasserfluss abgebremst und die Wucht der Hochwasser gemildert wird. Denn in dem sehr engen Ahrtal sind Hochwasser nichts Ungewöhnliches. Allein am 21. Juli 1804 und 13. Juni 1910 kam es nach schweren Regenfällen ebenfalls zu katastrophalen Überflutungen.

Die Wasserbremsen waren weg. Grund für Anne Spiegel, sich an der Renaturierung und freien Fahrt für Wanderfische zu erfreuen. Denn für die war der »Einstieg in die Ahr beschwerlich«. Doch auch das Hochwasser hatte freie Fahrt.

Spiegel wusste am Tag der Katastrophe Bescheid, unternahm aber nichts. Es ergingen keine rechtzeitigen Warnungen, die Menschenleben gerettet hätten. Spiegel allerdings kennt das rheinland-pfälzische Überlebensrezept: sich bei Sturm und Regen wegducken und hoffen, dass die medialen Wassermassen einen nicht hinweg reißen. Jetzt versucht sie, mit einem alten Allerweltsthema von ihrem schweren Versagen abzulenken: Eine neue »Umverteilungsdebatte« sei notwendig, verkündete sie als neue Familienministerin. Nein, nicht eine Vermögensumverteilung, sondern: »Wer räumt zu Hause auf?« Mehr Männer sollten im Haushalt mithelfen, sagt sie.

Im Ahrtal stellt sich die Frage nicht mehr. Die Häuser sind weg – Männer hin, Männer her.

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