Tichys Einblick
Ende der Sommerpause

Klausur der Ampel: „Chance für einen Kurswechsel“

Das Berliner Regierungsviertel nimmt den Betrieb wieder auf. Bevor es in der nächsten Woche richtig losgeht, gibt es Klausuren. Dazu trifft sich auch die Ampel in Meseberg – die Industrie fordert von dort einen „Kurswechsel“.

Robert Habeck (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP) auf Schloss Meseberg im März 2023; demnächst trifft sich die Ampel dort wieder zur Klausur

IMAGO / Political-Moments

An zwei Dingen herrscht in Deutschland derzeit kein Mangel: zum einen Analysen, wie schlimm alles ist. Zum anderen Appelle, dass jetzt alles besser werden müsse. So äußerte sich nun Rainer Dulger gegenüber der Presseagentur DPA: „Je länger die Politik wartet, desto härter trifft es den Standort – und desto größer ist der Wohlstandsverlust.“ Hätte sich ein Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände vor 20 oder geschweige denn 40 Jahren so drastisch geäußert, hätten die Alarmglocken im Regierungsviertel geläutet. Doch mittlerweile hat man sich an solche Worte genauso gewöhnt wie an den Rat des Arztes, gesünder zu essen und sich mehr zu bewegen.

Im Regierungsviertel gehen die Ferien zu Ende. Allmählich. Nächste Woche tagt der Bundestag wieder. In dieser Woche gehen zuerst die Fraktionen in Klausur, dann die Vertreter der Ampel. Sie treffen sich in Meseberg. Dulger wertet das als „Chance für einen Kurswechsel“. Es ist schön zu sehen, wie ein Mann in verantwortlicher Position sich seine kindliche Hoffnung bewahren kann.

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Für einen Kurswechsel bräuchte es drei Voraussetzungen: zuerst die Erkenntnis, dass etwas schiefläuft. Dann eine Antwort auf die Frage, wo es eigentlich hinsoll. Und letztlich den Willen, den Kurs dorthin einzuschlagen und durchzuhalten. Doch schon am ersten Punkt scheitert der Kurswechsel der Ampel. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich mit einer Pressekonferenz in die Sommerpause verabschiedet, in der er betonte, dass alles gut sei. Mit der gleichen Botschaft hat er sich immer wieder aus der Sommerpause gemeldet. Von Scholz ist kein Kurswechsel zu erwarten.

Die Ampel beschäftigt sich denn auch mit Themen, auf die eine Regierung nur in Zeiten des Wohlstands kommen kann – und sei es eines gefühlten Wohlstands: So legalisiert die Regierung das Kiffen größtenteils. Gleichzeitig will Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) Werbung für ungesunde Ernährung verbieten, weil die Menschen sich gegen diese Verlockungen nicht wehren könnten. Logisch denkende Menschen sehen darin einen Widerspruch. Grüne nicht – sonst wären sie keine Grünen.

Außerdem lässt die Ampel den Geschlechtswechsel per Sprechakt zu. Männer sind künftig Frauen, wenn sie das sagen. „Folge der Wissenschaft“, galt während Corona, jetzt spielt Biologie keine Rolle mehr. Wer diesen Geschlechtswechsel in Frage stellt – und sei es nur durch ein Stirnrunzeln an der falschen Stelle –, den verfolgt der Staat mit Strafen. Nicht mit der Ernsthaftigkeit wie bei einem Vergewaltiger von Kindern. Sondern richtig ernsthaft.

Apropos Kinder. Sie dürfen nach dem Gesetzesentwurf leichter ihr Geschlecht wechseln. Eltern dürfen sich zwar dagegenstellen, aber dann droht ihnen in letzter Konsequenz der Entzug der Erziehungsberechtigung. Die Ampel hält Kurs. Nur halt nicht in Richtung wirtschaftlicher Vernunft. Oder sonst irgendeiner Vernunft.

Die wirtschaftliche Krise ist aber – egal, wie sehr Scholz sie leugnet – Thema am Kabinettstisch. Lindner schreibt auf Twitter regelrechte Aufsätze darüber, was alles schief läuft in Deutschland, und Appelle, was sich alles bessern müsste. Der FDP-Chef wäre der ideale Finanzminister – würde er nicht genau das Gegenteil von dem tun, was er auf Twitter schreibt.

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Selbst „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) hat erkannt, dass weiten Teilen der Industrie als Folge seiner Energiepolitik das Aus droht. Der Kinderbuchautor hat sogar erkannt, dass die Unternehmen Insolvenzen nicht ausweichen, indem sie rechtzeitig aufhören zu produzieren – sondern dass sie dann weg sind und nie wieder kommen.

Das heißt aber noch lange nicht, dass Habeck seine Energiepolitik ändern will. So viel Kurswechsel soll es dann doch nicht sein. Stattdessen möchte er, dass Verkäuferinnen, Alleinerziehende oder Studenten – kurz: die Steuerzahler – der Industrie die Stromrechnung bezahlen sollen. Aber nur so lange, bis die erneuerbaren Energien den Strom für alle billig machen. Das werde bald sein, vermutet der Erfinder der Gasumlage. Ursprünglich hieß Habecks Idee „Industriestrompreis“. Das war aber noch zu ehrlich. Deswegen kommt diese Dauersubvention künftig als „Transformationspreis“ daher. Verbal kann die Ampel Kurswechsel.

Auf der Tagesordnung der Ampel wird in Meseberg der Verpatzte-Energiewende-Preis stehen. Sorry: der Industriestrompreis. Nein: Transformationspreis. Was der kosten soll, weiß man nicht, weil man nicht weiß, wie lange es ihn geben wird. Habeck geht in ersten Schätzungen von 30 Milliarden Euro aus. Andere rechnen mit mehr, keiner mit weniger.

Dann steht noch das „Wachstumschancengesetz“ auf der Tagesordnung in Meseberg. Mit dem will Justizminister Marco Buschmann (FDP) das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwälten, Steuerberatern und ihren Mandanten aushöhlen. Erstere müssen Letztere dann dem Staat schon bei dem Hauch eines Verdachts auf Steuerhinterziehung denunzieren. Im Gegenzug gibt es Steuererleichterungen für die Wirtschaft. 6 bis 9,5 Milliarden Euro. Ab dem Wahljahr 2025.

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Doch selbst diese Erleichterung haben die Grünen bisher blockiert. Ihre Familienministerin Lisa Paus wollte erst die Kindergrundsicherung durchdrücken. Da hat sich die Ampel nun geeinigt. Das war aber auch das leichteste Thema: SPD, Grüne und FDP mussten sich nur entscheiden, ob sie für weitere Sozialleistungen mehr Geld ausgeben, als sie können – viel mehr Geld oder sehr viel mehr Geld.

Scholz wehrt sich gegen das Industriestromtransformationsgesetz und ist mit der Kindergrundsicherung vorsichtig. Dass massive Subventionen nur „Strohfeuer“ entfachen und keine strukturellen Probleme lösen, ist sogar bei Mister Bazooka Doppelwumms angekommen. Auch dass der Bund anders als noch vor Corona nicht mehr die Reserven hat, Probleme mit Geld zuzuschütten. Egal, was Scholz öffentlich auch erzählt – bewusst ist ihm die Krise schon. Doch solange er noch nicht einmal die Notwendigkeit eines Kurswechsels benennt, solange ist von ihm kein tatsächlicher Kurswechsel zu erwarten.

Dulger ist ein realistischer Mensch. Sonst wäre er kaum Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände geworden. Deswegen verbindet er seinen Appell mit einer Warnung: „Je länger die Politik wartet, desto härter trifft es den Standort – und desto größer ist der Wohlstandsverlust.“ Doch die Ampel wartet nicht. Das wäre ja gut, dann würde es ja wenigstens irgendwann losgehen. Die Ampel verdrängt stattdessen die Probleme und beschäftigt sich stattdessen lieber mit Kiffen und gefühlten sexuellen Identitäten. Die Appelle an die Politik werden uns also noch eben solange erhalten bleiben wie die ganzen Analysen dazu, was alles falsch läuft im Land.

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