Tichys Einblick
Sportjournalismus macht Stimmung

Immer mehr geimpfte Profisportler sind infiziert

Sportjournalisten thematisieren das Problem in ihren Beiträgen und Sendungen nicht. Wie Politiker und Minister, die von ihren eigenen Fehlern ablenken wollen, machen sie ungeimpfte Sportler als Treiber der Pandemie verantwortlich.

IMAGO / Steinach
Täglich wird in Politik und Medien ein einseitiges Bild über die Ursachen der verschärften Coronalage gezeichnet – selbst in den Sportsendungen wird die Wirklichkeit verzerrt. Wie zum Beispiel am Mittwochabend ab 23 Uhr im ZDF-Sportstudio bei der Zusammenfassung der Champions-League-Spiele mit Moderator Sven Voss und Ex-Nationalspieler Peer Mertesacker.

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Voss verbreitet gleich zu Beginn der Sendung die beunruhigende „Nachricht des Tages“: „Joshua Kimmich, der deutsche Nationalspieler vom FC Bayern, ist Corona-positiv.“ Aber auch Eric Maxim Choupo-Moting vom FC Bayern ist ebenfalls positiv. Voss setzt noch dramatisch drauf: „Beide waren ungeimpft und befinden sich gerade in Quarantäne.“ Mertesacker assistiert: „Erst in Quarantäne, jetzt hat er Corona, das bedeutet noch einmal zwei Wochen Pause für ihn.“ Das habe für Kimmich jetzt „sportliche Konsequenzen, dass er nicht geimpft ist“. Besser kann man ein Drohszenario gegen Berufskollegen nicht ausbreiten. Sven Voss hält danach noch die richtige Internet-Umfrage bereit: „Sollen Fußballprofis ungeimpft spielen?“

Man kommt hier ganz offensichtlich Politikerforderungen nach einer Impfpflicht entgegen. Was nicht deutlich gemacht wird: Kimmich wurde vor zwei Wochen zunächst durch den doppelt geimpften und mit Symptomen erkrankten Nationalspieler Kollegen Niklas Süle infiziert und in häusliche Quarantäne geschickt. Nun hat er sich erneut angesteckt. Das erwähnt im Sportstudio keiner. Sonst hätte man noch die Zuschauerfrage stellen müssen: „Wie ansteckend sind doppelt geimpfte Spieler auf dem Platz?“

Vorbei an der Realität
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Aber das passt offensichtlich nicht ins öffentlich-rechtliche Bild: Kimmich, den Ungeimpften, muss man anprangern und nicht davon ablenken. Dagegen ist ein anderes Problem offensichtlich und viel widersprüchlicher: Es häufen sich massiv die Corona-Fälle durch versagenden Impfschutz von doppelt geimpften Spielern und Trainern, oft sogar mit Krankheitssymptomen – wie bei Bayerns Übungsleiter Julian Nagelsmann, Nationalspieler Niklas Süle, Ungarns Nationaltorhüter Peter Gulacsi oder RB Leipzigs Coach Jesse Marsch. „Trainer und Torwart positiv getestet“, titelt Bild vor dem kleinen „Endspiel“ Leipzigs in Brügge um den Verbleib in der UEFA Europa League. RBL siegte sogar 5:0 auswärts, obwohl Marsch und Gulácsi in häuslicher Quarantäne bleiben mussten und ihr Impschutz obendrein versagte.

Dabei sind laut RB Leipzig im Verein alle Spieler und Staff-Mitglieder entweder vollständig geimpft oder genesen. Davon erfahren die ZDF-Zuschauer von Moderator Voss nichts. Auch Experte Mertesacker spricht diese Problem-Beispiele mit doppelt Geimpften nicht an. So nickt dann auch Ex-Profi Mertesacker brav in die ZDF-Kameras.

Damit nicht genug: Selbst in den unteren Profi-Ligen grassiert Corona unter doppelt Geimpften, weil der Impfschutz schneller als versprochen zurückgeht. So ist jetzt auch der Profi-Trainer des FSV Zwickau (3. Liga), Joe Enochs, Corona-positiv trotz Impfungen und muss in häusliche Quarantäne. Selbst das Ost-Derby FSV Zwickau gegen den 1. FC Magdeburg ist abgesagt, da beim Tabellenführer der dritten Liga aus Magdeburg schon 13 Spieler trotz Impfung oder Genesung positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Auch der Hallesche FC (3. Liga) muss das Training absagen wegen reihenweiser positiver PCR-Tests. Die positiv getesteten Personen seien alle doppelt geimpft, so der Verein auf seiner Webseite. Das Auswärtsspiel bei Viktoria Köln hängt in der Schwebe.

Erfahren Zuschauer des ZDF-Sportstudios von solchen flächendeckenden Impfdurchbrüchen durch Moderator Sven Voss oder Experten Peer Mertesacker etwas? Nein. Es wird täglich weiter gewarnt. Schuld daran seien immer nur die ungeimpften Spieler, Sportler und Trainer.

Hersteller hätten neue Impfstoffe verfügbar
Virologe Alexander Kekulé: Geimpften "falsche Sicherheit" eingeredet
Das Regierungsversagen durch voreilige Versprechungen zur Verlässlichkeit des Impfschutzes ist absolut kein Thema. Moderatoren und Journalisten wollen partout nicht über den akut nachlassenden Impfschutz nachdenken. Sie agieren eher als Aktivisten für eine vermeintlich richtige Anschauung, und so brandmarken sie, wie die Regierungen in Bund und Ländern, stets nur die Ungeimpften als Treiber der Pandemie. Ein Versagen des von Pharmakonzernen und Politik versprochenen Impfschutzes für Doppelgeimpfte existiert für sie anscheinend nicht. Impfdurchbrüche werden ignoriert oder einfach unter Corona-Infektion von Sportler X oder Y zusammengefasst.

Kritik an der handelnden Politik findet daher auch bei Sportreportern nicht statt. Dabei gibt es dafür gute Gründe: Dass der Impfschutz schon nach sechs Monaten wie jetzt im Herbst oft zusammenbricht, davon war im Frühjahr von der Bundesregierung nicht die Rede. Alle sollten nach einer Doppelimpfung „ihre Freiheit“ wieder bekommen, lautete das Politikerversprechen. Die derzeitigen Rekord-Infektionszahlen sind jedoch sehr viel höher als vor einem Jahr, obwohl fast 70 Prozent der Bürger geimpft sind. „Entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigungen haben die Hersteller kein Impfstoff-Update auf den Markt gebracht“, warf Virologe Alexander Kekulé den Pharma-Unternehmen vor. Er kritisierte, dass die derzeit verfügbaren Vakzine gegen die Delta-Variante weniger wirksam seien.

Doch nicht nur Politiknachrichten, sondern auch Sportberichte wie hier vom Redaktionsnetzwerk Deutschland wollen von solchen Erkenntnissen nichts wissen. Auch in diesem Bericht wird weggelassen, dass Nationalspieler Niklas Süle doppelt geimpft ist, er aber vier andere ungeimpfte Kollegen angesteckt hat. Dafür wird im Sportbuzzer Joshua Kimmich wieder als Problem dargestellt. So läuft das tägliche Framing.

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