Tichys Einblick
Zweiter Anlauf

Friedrich Merz warnt vor Missbrauch des Sozialstaats durch Zuwanderer

CDU-Chef Friedrich Merz hat vor einer Zuwanderung gewarnt, die „kaum noch (zu) bewältigen“ sei. Anders als bei seinem ersten Anlauf scheint er die Initiative dieses Mal durchhalten zu wollen.

IMAGO / Christian Spicker

24 Stunden sind vergangen und Friedrich Merz hat nicht den Rückwärtsgang eingelegt. Für den CDU-Vorsitzenden ist das eine bemerkenswerte Leistung. Als er jüngst abends vor „Sozialtourismus“ auf Bild-TV warnte, hatte er sich dafür noch vor dem dritten Krähen des Hahns entschuldigt. Das sei die falsche Wortwahl, er habe niemanden verletzen wollen. Die Debatte schien damit tot. Nach einer grün-linken Empörungskampagne war ein für Grün-Linke unangenehmes Thema erledigt. Wie so oft.

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Nur: Die Grün-Linken beherrschen zwar die Debatten in ARD, ZDF und wohlgesinnten Zeitungen – doch nicht die Realität. Und wie sich zuvor die Energierealität ins grün-linke Weltbild drängte, geschieht es jetzt auch mit der Einwanderungsdebatte. Dieses Mal sind es die Kommunen, die Alarm schlagen. Die können Ströme von Ankömmlingen nicht wegdiskutieren, weil sie diese nämlich tatsächlich unterbringen müssen.

Verschiedene Medien haben über die Situation berichtet, darunter auch TE. Schon vor zwei Wochen hat die FAZ in dem Zusammenhang das Wort „Pull-Faktoren“ ins Spiel gebracht. Gemeint sind damit in dem Fall Anreize für Einwanderer, speziell nach Deutschland zu kommen. Die Kommunen, so die FAZ, würden beklagen, dass der Bund die Einwanderung derzeit eher attraktiv mache, statt sie zu dämpfen. Es ist bemerkenswert, dass die FAZ dies ohne präzisen Bezug auf Quellen berichtet, ist das einstige Flaggschiff der Konservativen doch längst auch auf grün-linkem Kurs. Doch auch hier scheint die Realität nun ins Weltbild reinzubrechen.

Friedrich Merz will dieses Thema nicht kampflos aufgeben und versucht es im zweiten Anlauf mit gesetzterer Wortwahl: „Dieses Jahr sind so viele Menschen zu uns gekommen wie seit 2015 nicht. Die Kommunen können die Last der Zuwanderung kaum noch bewältigen“, schreibt er auf Twitter. Nun ließe sich eine Debatte über die Verstrickung der CDU in die Umstände von 2015 führen. Doch die Situation in den Aufnahmestationen ist jetzt wieder akut – und es muss jetzt eine Lösung her.

Auch Merz setzt bei den Pull-Faktoren an: „Im europäischen Vergleich ist das soziale Netz, das wir spannen, sehr groß“, schreibt er ebenfalls auf Twitter. Das sei eine Verlockung, hierher zu kommen. Nun ist das nur ein Aspekt des Problems: Dass sich Hunderttausende deshalb gegen Griechenland, Ungarn oder Österreich als Einreiseziel entscheiden, weil Deutschland mit Vollversorgung und demnächst rund 500 Euro Taschengeld im Monat lockt. Ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen.

Die absurde Situation ist: Während Deutschland binnen eines Jahrzehnts die zweite große Einwanderungswelle erlebt, fehlt es an helfenden Händen. Aus dem „Fachkräftemangel“ ist ein „Arbeitskräftemangel“ geworden. Es sind nicht mehr nur die legendären IT-Experten aus Indien, die gefragt sind. Von der Müllabfuhr, über Handwerk, Verkehrswesen, Gastronomie bis hin zur öffentlichen Verwaltung schreien die Arbeitgeber nach Hilfe – finden sie aber trotz Zuwanderung nicht. Das Dilemma ist bei deutschen wie ausländischen Geringverdienern das gleiche: Nach einer Rechnung der Bank „Goldman Sachs“ bleibt einem Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von 2520 Euro im Monat, wenn man alle Vorteile einbezieht, exakt ein Euro mehr als einem Empfänger von Hartz-IV – demnächst „Bürgergeld“. In Zahlen ausgedrückt sieht ein Euro so aus: 1.

Für diesen 1 Euro muss der besagte Arbeitnehmer mehr als 20-mal im Monat morgens aufstehen, zur Arbeit fahren und dort oft Undankbares erledigen. Dabei enstehen ihm zusätzliche Kosten für die Anreise, weil er vielleicht unterwegs einen Imbiss aufsucht oder weil ihm nicht die Zeit bleibt, in Supermärkten auf Angebote zu warten. Das alles kann er mit dem einen Euro ausgleichen, den er dafür verdient. Das entspricht einem Stundenlohn von nicht ganz sieben Cent. Es ist eine Antwort auf die Frage, warum Deutschland trotz Zuwanderung nicht ausreichend Arbeitskräfte findet.

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Alleine in dem halben Jahr vom 24. Februar bis zum 24. September sind „insgesamt 997.895 Personen im Ausländerzentralregister erfasst“ worden, „die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine … nach Deutschland eingereist sind“, wie das Innenministerium auf TE-Anfrage antwortet. Davon seien 965.337 Menschen ukrainische Staatsangehörige gewesen, das entspricht fast 97 Prozent. 35,4 Prozent der Einwanderer sind Kinder und Jugendliche. Von den Erwachsenen sind laut Ministerium 27,3 Prozent Männer. Das heißt, rund 160.000 Männer sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland gekommen.

TE hat auch nachgefragt, wie viele der Einwanderer das Geld in Deutschland erhalten. Das Innenministerium hat an das Sozialministerium verwiesen. Dessen Antwort steht noch aus. Im ersten Anlauf war es Merz explizit um diesen potenziellen Kapitalabfluss gegangen. Mit „Sozialtourismus“ meinte er ukrainische Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, Geld beantragen und mit diesem Geld in die Ukraine zurückkehren.

Nun hat Merz seinen Fokus verändert. Den „Pull-Faktor“ abzuschaffen heißt zwar auch, finanzielle Anreize zur Einreise zu mindern. Es dreht aber die Aufmerksamkeit weg vom Thema Einwanderung hin zum Thema Sozialstaat. Seine Kritiker werfen dem CDU-Chef vor, er suche nur nach Argumenten, den Sozialstaat abbauen zu können. Vorerst muss das Spekulation sein. Eine Theorie. Die aber nicht dadurch weniger plausibel wird, dass Merz mit der Fokussierung auf Einwanderung sofort umgefallen ist und nun mit der Fokussierung auf das Thema Sozialleistungen plötzlich standhaft bleibt.

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