Tichys Einblick
Verfassungsfeindliche Verfassungsrichterin

Frau Borchardt und die CDU

In Mecklenburg-Vorpommern haben die Christdemokraten eine bekennende Linksextremistin zur Verfassungsrichterin gewählt. Der Fall zeigt, was im Osten Deutschlands bald Normalität werden könnte.

imago images / Sammy Minkoff

Eigentlich war es schon seit Thüringen klar: Wenn die CDU sich zwischen Linkspartei und AfD entscheiden muss, dann schlägt sie sich im Zweifel auf die Seite der Sozialismus-Anhänger. Neu ist, dass sie dafür nicht nur bereit ist, mit als pragmatisch geltenden Linken wie dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow Bündnisse einzugehen. Wie man in Mecklenburg-Vorpommern beobachten kann, schreckt sie auch nicht davor zurück, eine bekennende Linksextremistin zur Verfassungsrichterin zu machen. Am Freitag ließ sie die letzte Chance verstreichen, eine schwerwiegende Fehlentscheidung des Schweriner Landtags rückgängig zu machen.

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Der Reihe nach: Am 15. Mai wählte der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern die DDR-Diplomjuristin Barbara Borchardt zum Mitglied des Landesverfassungsgerichts. Für sie stimmten SPD, CDU und Linke, nur die AfD votierte dagegen; Grüne und FDP sind im Landtag nicht vertreten. Im ersten Wahlgang war die Kandidatin noch durchgefallen – was bei der Linken auf wütenden Protest stieß und bei der SPD zu Drohungen führte, die rot-schwarze Koalition platzen zu lassen. Im zweiten Wahlgang wurde sie mit Zweidrittel-Mehrheit zur ehrenamtlichen Richterin gewählt.

Die Wahl Borchardts sorgte selbst in linksliberalen Medien für Empörung. Als nachgerade absurd und politisch in höchstem Maße unverantwortlich erschien es vielen, dass ausgerechnet die Mitbegründerin einer verfassungsfeindlichen Organisation in Zukunft über die Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern wachen soll. Denn Borchardt hatte die Bildung einer Landesarbeitsgemeinschaft der „Antikapitalistischen Linken“ initiiert, die seit Jahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht wird.

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Problematisch erschien vielen Beobachtern auch Borchardts Verhältnis zur DDR. Bis zum Sturz der SED-Diktatur war sie Parteimitglied und Bürgermeisterin gewesen war, an der Kaderschmiede der SED hatte sie studiert. Einem Focus-Bericht zufolge soll sie 1981 auch einem ausreisewilligen Ehepaar ein Haus abgepresst haben. Dass sie 20 Jahre nach dem Ende der DDR immer noch auf Parteilinie war, stellte sie 2011 unter Beweis, als sie zum 50. Jahrestag des Mauerbaus eine Erklärung unterschrieb, in der sie diesen als „alternativlos“ bezeichnete.

Dies alles hinderte die SPD nicht, die Wahl der Linken-Politikerin zu verteidigen. Ihr Fraktionschef meinte lapidar, sie sei seiner Fraktion in ihrer früheren Tätigkeit im Landtag „nicht als verfassungsfeindlich aufgefallen.“ Aus der CDU hingegen kamen nur hilflose Erklärungen, die Wahl Borchardts sei Bestandteil eines „Gesamtpaketes“ gewesen. Intern rechtfertigten sich die Verantwortlichen damit, dass sie bei der Zusammensetzung des Landtags nur die Wahl zwischen einer Absprache mit der AfD oder mit der Linkspartei gehabt hätten – und sich dann für Letztere entschieden hätten. Nach demselben Muster war die Union bereits in Thüringen das Bündnis mit Ramelow eingegangen.

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Dabei hatte sich die CDU die Kandidatin vor der Wahl nicht einmal näher angeschaut. Genüsslich wies Frau Borchardt daraufhin, dass sie niemand bei ihrer Vorstellung nach ihrer Verfassungstreue gefragt hätte. Sogar CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer meldete sich zu Wort und rügte, es sei „nicht nachvollziehbar“, dass bei den Gesprächen in Schwerin „von Seiten der CDU und SPD nicht sorgsam genug über die Eignung der Kandidatin gesprochen wurde.“
Dabei waren SPD und CDU vor der Wahl Borchardts ausdrücklich gewarnt worden.

Der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Bodo Krumbholz hatte den beiden Fraktionschefs nach dem misslungen ersten Wahlgang nämlich eine lange Mail geschrieben. Darin erklärte er, dass er Frau Borchardt persönlich kenne, sowohl aus ihrer Zeit als Bürgermeisterin in der DDR als auch aus der gemeinsamen Arbeit im Landtag. Geradezu beschwörend warnte er davor, sie nun zur Verfassungsrichterin zu machen: „Eine Wahl von Frau Borchardt wäre provokativ, da sie mit ihrem Gesamtwirken noch niemals erkennen lassen hat, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes agiert, dieses anerkennt oder auch nur respektiert. Eine Wahl von Frau Borchardt als Verfassungsrichterin würde das gesamte Verfassungsgericht in seinen späteren Entscheidungen diskreditieren.“

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Dass diese Warnung ungehört blieb, mag man vielleicht damit entschuldigen, dass die rot-schwarze Koalition von Mecklenburg-Vorpommern an diesem Tag ernsthaft in Gefahr war. Während die SPD der AfD im Bundestag seit mehr als zwei Jahren das Amt eines Vizepräsidenten verweigert, drohte sie der CDU im Schweriner Landtag damit, die Regierung platzen zu lassen, wenn die CDU im zweiten Wahlgang nicht für Frau Borchardt stimmen würde. Ein SPD-Minister rief seinem Kabinettskollegen von der CDU sogar hinter her, dass er schon einmal sein Büro räumen sollte. Am Ende gaben die Unionsabgeordneten klein bei und verhalfen Borchardt doch noch ins Amt.

Wer gemeint hatte, die frisch gewählte Verfassungsrichterin würde sich angesichts der bundesweiten Empörung Zurückhaltung auferlegen, musste sich bald eines Besseren belehren lassen. Mehreren Medien erklärte sie, dass sie ihre Mitgliedschaft in der „Antikapitalistischen Linken“ keineswegs ruhen lassen werde, da diese keinen Widerspruch zu ihrer Tätigkeit als Verfassungsrichterin bilde. Die Ziele der Organisation stünden nicht im Gegensatz zum Grundgesetz. In einem am 28. Mai erschienenen Interview der Süddeutschen Zeitung bekräftigte sie auch ihren Standpunkt zum Mauerbau – und übertraf ihn sogar noch, indem sie erklärte: „Es gab Mauertote auf beiden Seiten, es sind auch Grenzsoldaten erschossen worden.“

Die rote Richterin und der Rechtsstaat
Diese Sätze führten in der gesamten Republik zu neuerlicher Empörung. Da Borchardt auch jetzt keine Anstalten machte, von sich aus auf das Amt zu verzichten, gab es nur noch einen Weg, ihren Einzug ins Verfassungsgericht zu verhindern: ihre Entlassung. Laut Gesetz kann das Gericht ein Mitglied nämlich dann von seinem Amt entbinden, wenn „eine so grobe Pflichtverletzung vorliegt, dass sein Verbleiben im Amt mit der Bedeutung des Amtes und der Würde des Landesverfassungsgerichtes nicht mehr vereinbar ist.“ Den Antrag dazu können auch der Landtag oder die Landesregierung stellen. Genau solch einen Antrag legte die Schweriner AfD-Fraktion vor, doch mit den Stimmen von SPD, CDU und Linken wurde er am Freitag abgelehnt.

Borchardts Wahl ist jetzt nicht mehr rückgängig zu machen. Laut Gesetz darf sie bis zur Vollendung ihres 68. Lebensjahr Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern bleiben, also bis 2024. Wenn die Linke, wie in Berlin, ein Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ unterstützt, wird sie darüber mitentscheiden, ob das verfassungsgemäß ist oder nicht.

Die Bedeutung dieser Wahl weist freilich weit über das Bundesland hinaus. Sie zeigt vor allem, dass die Linke das Grundgesetz nur aus taktischen Gründen bejaht. Parteichef Bernd Riexinger stärkte der bekennenden Linksextremistin sogar noch den Rücken und gratulierte ihr zur Wahl. Per Twitter erklärte er: „Ein Verfassungsgericht schützt die Verfassung und nicht die Wirtschaftsordnung – die ist im Grundgesetz nämlich nicht festgelegt“. Dass das Eigentum gemäß Artikel 14 in Deutschland „gewährleistet“ wird, spielt für ihn und seine Partei keine Rolle.

Die CDU machts möglich
Barbara Borchardt - Von der Sprecherin der „Antikapitalistischen Linken“ zur Verfassungsrichterin
Die SPD hat im Fall Borchardt dagegen demonstriert, dass sie bei der Zusammenarbeit mit der Linken mittlerweile alle Hemmungen verloren hat. Für die Partei, die einstmals zu den schärfsten Kritikern der SED gehörte, war allein entscheidend, dass sie im Gegenzug zwei eigene Kandidatinnen in das Verfassungsgericht befördern konnte. Bei der Debatte über den AfD-Antrag erklärte ihr Sprecher, einem Verfassungsgericht dürften „nicht nur Mitglieder einer politischen Couleur“ angehören.

Das traurigste Bild lieferte jedoch die CDU, die sich – entgegen ihrem Parteitagsbeschluss, weder mit der Linken noch mit der AfD zusammenzuarbeiten – nun auch in Mecklenburg-Vorpommern als Steigbügelhalter der Linkspartei betätigte. Dass Philipp Amthor, der dort wahrscheinlich bald Parteivorsitzender wird, nach Borchardts Wahl behauptete, diese sei „alternativlos“ gewesen, lässt ahnen, wohin die Reise geht. Die Angst, dass die sechs Stimmen, die SPD und CDU für die Wahl eines anderen Kandidaten fehlten, aus der AfD hätten kommen können, war so groß, dass die CDU lieber eine Verfassungsfeindin zur Verfassungsrichterin gemacht hat.

Dass die CDU zunehmend bereit ist, mit der Linkspartei zu kooperieren, zeichnet sich bereits seit Längerem ab. Immer wieder sind einzelne Landespolitiker mit solchen Forderungen an die Öffentlichkeit getreten. Dahinter liegt die einfache Rechnung, dass ihre bisherigen Partner angesichts der Stärke der AfD nicht mehr ausreichen, um parlamentarische Mehrheiten zusammenzubekommen. Der Fall Borchardt zeigt deshalb nur, was in Ostdeutschland bald bittere Normalität werden könnte.

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