Tichys Einblick
Streit um Personalabbau

Zoff im Hause Volkswagen

Volkswagen hat nur eine Chance, wenn der Konzern grundlegend saniert wird. Entlassungen sind damit unausweichlich. Vorstand und Betriebsrat liegen deswegen im Clinch. Doch Kostensenkungen allein machen den Renditekohl nicht fett. Mehr Absatz muss her.

IMAGO / Rust

In der VW-Zentrale geht es zurzeit darum, wer im Machtkampf um Senkung der Personalkosten, vulgo: Belegschaftsabbau, das Sagen hat. Die Arbeitgeberseite, vertreten durch VW-Markenchef Thomas Schäfer – oder die Arbeitnehmerseite, vertreten durch die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo?

Ausgangspunkt ist ein vom Vorstand geplantes drastisches Sparprogramm. Die Kernmarke Volkswagen soll einem milliardenschweren Effizienzprogramm unterzogen werden. Bis 2026 will der Konzern zehn Milliarden Euro an Kosten einsparen. Die Umsatzrendite der Marke soll von zuletzt 3,4 auf 6,5 Prozent angehoben werden.

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Grund ist die aktuell schlechte wirtschaftliche Lage des Konzerns: Der Absatz lahmt, das Stammwerk ist hochgradig unterausgelastet, Schichten werden gestrichen. In den ersten neun Monaten 2023 sank die operative Umsatzrendite der Kernmarke auf 3,4 Prozent. Damit blieben von 100 Euro Umsatz nur rund 3,40 Euro Betriebsgewinn im Tagesgeschäft übrig. Ein Jahr zuvor hatte die operative Marge noch 4,7 Prozent betragen.

Vorstand Schäfer, seit 1. April 2022 im Amt, hatte von CEO Oliver Blume den Auftrag erhalten, mithilfe eines Effizienzprogramms die VW-Rendite binnen zweier Jahren auf den Zielwert von 6,5 Prozent zu hieven. Dazu wurden Kosteneinsparungen in Höhe von 10 Milliarden Euro identifiziert. Absatzsteigerungen als alternative Renditebeschleuniger standen offensichtlich nicht zur Debatte.

Die Ausgangspositionen beider Parteien sind erwartungsgemäß sehr konträr, die einen wollen Personal abbauen, die anderen wollen das verhindern. Schäfer hat bei einer internen Veranstaltung „spürbare Einschnitte“ angekündigt. Mit seinen hohen Kosten sei der Autokonzern nicht mehr wettbewerbsfähig.

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Der Betriebsrat unter Leitung von Daniela Cavallo beharrt auf Tarifverträgen. Sie bekräftigt die bereits zuvor genannten roten Linien: „Kein Abrücken von unseren Tarifverträgen und der Beschäftigungssicherung bis 2029.“ Betriebsbedingte Kündigungen sind danach sechs Jahre lang bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen – eine lange Zeit.

Von vornherein war klar, dass ein Betrag von 10 Milliarden ohne drastische Senkung der Personalkosten und damit ohne Einschnitte beim Personal nicht erreichbar sind. „Die Situation ist sehr kritisch“, sagte Schäfer laut einem Beitrag im VW-Intranet (Nachrichtenagentur dpa) vor 2.000 Vertrauensleuten der IG Metall in Wolfsburg. „Wir müssen ran an die kritischen Themen, auch beim Personal.“

Laut Schäfer wurde über die Ausgestaltung des Effizienzprogramms bereits seit Oktober mit dem Betriebsrat verhandelt.“Das Effizienz-Programm setzt nicht allein auf Personalmaßnahmen“, so der VW-Vorstand. „Der Großteil der 10 Milliarden in der Marke VW wird über andere Maßnahmen erbracht.“ Die Fertigung soll dabei geschont werden, die Gemeinkostenträger in Verwaltung und Vertrieb sollen vor allem herangezogen werden.

Personalvorstand Gunnar Kilian, Ex-Vertrauter von Ferdinand Piëch aus Salzburger Zeit, pflichtet dem Stellenabbau bei: „Wir müssen unsere Kosten senken und mit weniger Personal auskommen, um ein zukunftsfester Arbeitgeber zu bleiben […]. Wir müssen die demografische Kurve konsequent als Vorteil begreifen, Altersteilzeit und Ruhestandsregelungen in den kommenden Jahren maximal nutzen.“

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Zuvor hatte Konzernchef Oliver Blume bereits in einem FAZ-Interview angekündigt, dass die Reduzierung des Personals sozialverträglich erfolgen solle. Dafür hatte der Konzern an den sechs Standorten in Niedersachsen und Hessen – Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Salzgitter, Emden und Kassel – bereits Anfang November einen Einstellungsstopp verhängt. In Zwickau werden seit Anfang Dezember Zeitarbeitsverträge nicht mehr verlängert, die Dritte Schicht wurde gestrichen, Kapazitäten zum Bau der Elektroautos final gestrichen.

Aufseiten der Gewerkschaften beharrte Betriebsratschefin Cavallo eisern auf den Tarifverträgen. Dazu muss man wissen, dass der Konzern seit Gründung 1937 als „Kraft-durch-Freude-Unternehmen“ der Nazi-Gewerkschaft eine strikte Arbeitnehmer-Orientierung hat, über alle Jahrzehnte hinweg. Mit Ausdünnung der Personaldecke vor allem in der Verwaltung und im Vertrieb ist man daher nur entsprechend der „Demographie-Kurve“ einverstanden. Freiwerdende Stellen – aus welchen Gründen auch immer – werden nicht wiederbesetzt.

Jeder Verstoß gegen diese Position vonseiten des Vorstands bedeutete in der Vergangenheit das Ende der Karriere im VW-Konzern. So erging es Wolfgang Bernhard, der 2005 von Bernd Pischetsrieder als harter Sanierer von Daimler-Chrysler weg zu Volkswagen geholt wurde, und unter dessen Regie 30.000 Beschäftigte entlassen wurden – um dann 2006 nach getaner Arbeit selbst entlassen zu werden. Er kehrte reumütig als Vorstand zu Daimler zurück. Seine Entlassung bei VW erfolgte fast zeitgleich mit der von VW-Chef Pischetsrieder.

Legt man die Effizienzdaten von Wettbewerbern wie Tesla oder BYD zugrunde, so hat Volkswagen nach Aussagen von Experten etwa doppelt so hohe Produktions- und Vermarktungskosten. Personalabbau entlang der Demographiekurve dürfte da nicht ausreichen, da muss mehr kommen. Ohne Wachstum dürfte eine Sanierung nicht gelingen. Mehr Absatz ist notwendig, Kostensenkungen allein machen den Renditekohl nicht fett.

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Zumindest im Reich der Mitte hat man dafür zumindest die Weichen inzwischen gestellt. Das China-Geschäft wird vollständig aus dem Konzern gelöst und in allen Funktionen verselbständigt. Kurz gefasst heißt die neue Strategie: mehr Hefei, weniger Wolfsburg. Ein Schlüssel dazu ist die Volkswagen China Technology Company (VCTC) in Hefei, die, kurz gesagt, die komplette Entwicklung und Produktion von Modellen für den chinesischen Markt betreiben soll. Die Zeit bis zur Marktreife von Fahrzeugen und Komponenten soll um 30 Prozent verkürzt werden. Etwa eine Milliarde Euro investierte der Konzern. Bis Ende 2024 sollen dort rund 3.000 Menschen arbeiten. Bis 2026 sollen in Partnerschaft mit dem chinesischen Start-Up Autobauer Xpeng zwei billige Elektroautos für den chinesischen Markt aus der Taufe gehoben werden.

VW will künftig „in China, für China“ produzieren und entwickelt eine eigene E-Auto-Plattform. Damit will der Konzern seinen Rückstand im Rennen mit BYD und anderen Konkurrenten aufholen. Der Autobauer wolle mit den Autos gezielt auf die Wünsche der chinesischen Kunden eingehen, sagte VW-China-Chef Ralf Brandstätter.

Die Fahrzeuge auf Basis der neuen Plattform sollten ab 2026 auf den Markt kommen und in der Preisklasse von umgerechnet 18.000 bis 22.000 Euro liegen. Diese strategischen Schritte von CEO Oliver Blume auf den inzwischen wichtigsten Automarkt der Welt, kommt spät, aber nicht zu spät. Allerdings sind bis zur Wirksamkeit der neuen China-Strategie noch zwei Dürre-Jahre zu durchstehen, bis die Rendite wieder vom Wachstum und nicht von Kostensenkungen genährt wird.

Bis dahin dürften härtere Kostensenkungsmaßnahmen als das „Reiten auf der Demographie-Kurve“ unausweichlich sein. Ein Ergebnis in Anlehnung an vergangene Abläufe kündigt sich indessen an: Personal wird abgebaut, die Verantwortlichen müssen die Konsequenzen ausbaden.

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