Tichys Einblick
Totalumbau und E-Mobilitätsdilemma

Ford-Rückzug: Köln erleidet das Schicksal von Rüsselsheim

Fords allmählicher Rückzug aus Deutschland weist Parallelen zur einstigen GM-Tochter Opel auf. Für den US-Konzern Ford ist der drastische Personalabbau die Konsequenz aus einem Dilemma zwischen Verbrennermotoren und E-Antrieb – und jahrelanger Vernachlässigung.

Das Logo des Autobauers Ford an seinem Standort in Köln

IMAGO / Panama Pictures

Der US-Konzern Ford befindet sich weltweit im Totalumbau – und Ford Deutschland in einem Dilemma: Aus der Verbrennermobilität steigt man aus, in der Elektromobilität ist man noch nicht angekommen. Dazwischen klafft eine große Ertrags- und Beschäftigungslücke!

Ford Köln hat Mitte Februar 2023 bekannt gegeben, dass der Konzern seine Belegschaft in Europa deutlich reduzieren will. Betroffen ist vor allem der Stammsitz Köln. Aber nicht nur wie bisher bei vergangenen Schrumpfungsprozessen fällt Produktion weg und ist die Fertigung betroffen, diesmal schrumpft auch die Entwicklung in Europa. Elektrofahrzeuge brauchen weniger Personal. Für den Um- und Ausbau des Konzerns auf Elektromobilität sollen in Deutschland zwei Milliarden Euro investiert werden.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt gelegentlich viele verblüffende Gemeinsamkeiten. Auch in der Geschichte der Automobilindustrie:

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Kaum sind fünf Jahre vergangen, dass der einstige Automobilgigant General Motors seine verlustträchtige Tochter Opel (incl. Vauxhall) nach vielen Jahren der Irrungen und Wirrungen an den französischen Autokonzern PSA (Peugeot/Citroen), den späteren Stellantis-Konzern, verkauft hat, um Rüsselsheim und Europa in Gänze zu verlassen, bahnt sich für den zweiten US-Autoriesen Ford und seine deutsche Tochter mit Stammsitz in Köln das gleiche Schicksal an: Werke werden stillgelegt, das Personal drastisch reduziert. Ahnungen vom völligen Exodus aus Europa kommen auf.

Natürlich ist so etwas im Vorfeld stets verbunden erst mit großartigen Umstrukturierungsplänen. Dann mit heftigen Rückzugs-Dementis der amerikanischen Mütter. Auch hier gibt es Gemeinsamkeiten bei beiden US-Autoriesen.  

Ebenso bei eklatanten strategischen und operativen Fehlentscheidungen im amerikanischen Management in Detroit und Dearborn. Für langjährige Kenner der Materie kein Wunder: Über Jahrzehnte dominierten in den deutschen Firmenzentralen Rüsselsheim und Köln im Zwei-Jahres-Wechsel-Rhythmus amerikanische Geschäftsführer aus den Konzernzentralen ihrer Mütter jenseits des Atlantiks, fern der Heimat. Die Leitung der jeweiligen Europa-Tochter war quasi ein Must und notwendiger Schritt auf der internen Konzern-Karriereleiter und wurde auch gerne und reichlich genutzt, um kulturelle Defizite zu beheben. Kaum waren Venedig, Eiffelturm und Tower Bridge besichtigt, erfolgte die Ablösung und der Ersatz durch einen neuen Karrieristen. Deutsche und europäische Geschäftsführer, die eventuell Marktkenntnisse gehabt hätten, hatten nie etwas zu sagen.

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Der GM-Konzern hatte das Ende seiner seit 1929 andauernden, viele Nachkriegsjahre prägenden, glorreichen Europapräsenz in Rüsselsheim mit der Schließung seines Werkes in Bochum und radikalen Personalschnitten und Lohnkürzungen in den übrigen deutschen Werken Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern eingeleitet. Um dann am 01.10.2017 mit dem endgültigen Verkauf der Tochter Opel nebst Unternehmensleitung, aber mit viel weniger Personal, an den französischen Automobil- und Pfeffermühlen-Konzern Peugeot in Europa einen Schlussstrich zu setzen.

Etwas mehr Kontinuität wies die Geschichte bei Ford auf, das über die Jahrzehnte viele der positiven Eigenschaften eines traditionsreichen Familienunternehmens bewahren konnte. Doch auch hier verblassten Tugenden und Ruhm der Vergangenheit mit zunehmender Zeitdauer. Nach der Jahrtausendwende begann der Abstieg, übernahmen die Kostensenker und Gewinnmaximierer in Dearborn endgültig das Ruder. 

Und wenn das Wachstum ausbleibt und Verluste zur jährlichen Gewohnheit werden, beginnt die Sanierungsphase: erst mit drastischem Personalabbau, erzwungenen Lohnsenkungen, Kürzungen der Modellpalette, Produktionszusammenlegungen, dann schließlich mit Werksschließungen und am Ende völligem Rückzug in die Heimat. Von Ford in Köln verbleibt lediglich der Grundstein, der am 2. Oktober 1930 vom legendären Firmengründer Henry Ford gemeinsam mit dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer für das Werk in Köln-Niehl gelegt worden war. 

Seit Beginn des Zeitalters der Elektromobilität um 2010 drängt sich der Eindruck auf, dass bei Ford die Phase des Rückzugs begonnen hat. Die Zeichen sind untrüglich, dass Ford bei seiner Transformation zum E-Auto in Europa den Mut verloren hat. Schrumpfkur reihte sich an Schrumpfkur, und das bedeutete letztlich auch das Eingeständnis, dass man verlorene Marktanteile aus eigener Kraft nicht mehr zurückholen kann.

Begonnen hat der Schrumpfprozess 2018, als durch eine erste Umstrukturierung bis Ende 2020 bereits 5000 Arbeitsplätze weggefallen sind. In ganz Europa waren es sogar 10.000 Beschäftigte weniger als zwei Jahre zuvor. Hauptursache für diese Schrumpfung war die Einleitung des Endes der Verbrennerautos und die schleppende, weil ungeliebte Umstellung auf die Elektromobilität mit der erheblich geringeren Wertschöpfung bei gleichzeitig hohen Verlusten. Profan ausgedrückt: Es gab weniger Arbeit und erheblich weniger Brot!

Doch das Schlimmste sollte noch kommen. CEO Jim Farley, seit 2020 im Amt, baut den ganzen Ford-Konzern völlig um. Für Deutschland bedeutet das das Aus für das Kleinwagen- und Verbrennersegment und den kompletten Wechsel zur Elektromobiliät. Und einen harten Kapazitätsschnitt und einen weiteren Wegfall Tausender Arbeitsplätze. 

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Für das Ford-Werk in Saarlouis, wo seit dem 16. Januar 1970 über 15 Millionen Autos in sieben Modellen gebaut wurden – erst der Escort, dann ab 1976 viele Jahre das Erfolgsmodell Fiesta und heute schließlich der Focus –, bedeutet das die totale Werksschließung bis 2025. Im Ford-internen Wettbewerb um die künftige Fertigung von Elektroautos hat die Fabrik im Saarland – obwohl laut Experten mit die effizienteste im ganzen globalen Ford-Imperium – gegen das spanische Valencia verloren. Saarlouis wird das aktuelle Modell Focus noch etwa bis Mitte 2025 produzieren, knapp 6000 Mitarbeiter verlieren dann ihren Arbeitsplatz. Für das strukturschwache Saarland eine wirtschaftliche Katastrophe.

Hatten die Ford-Beschäftigten geglaubt, sie hätten damit das Schlimmste hinter sich gelassen, so sah man sich getäuscht. Der Boden für Ford in Europa war damit noch nicht erreicht.

Im Werk Köln, Stadtteil Nippes, stellte der US-Autohersteller auch die Produktion des Kleinwagens Ford Fiesta ein, und zwar schneller als geplant. Im Juni 2023 ist Schluss für das Verbrenner-Kleinwagenmodell. Obwohl ein Erfolgsmodell, fällt auch der Fiesta der Elektromobilität zum Opfer. Der US-Autobauer treibt nach eigenen Aussagen mit dem Aus für das Kleinwagensegment zugleich den Wechsel zur Elektromobilität voran. 

Der Hammer fiel dann zu Jahresbeginn 2023, als Ford-Europachef Martin Sander bekannt gab, dass eine „signifikante“ Anzahl von Mitarbeitern künftig nicht mehr gebraucht würde. Und dies, obwohl die Belegschaft in Köln in den letzten Jahren ohnehin um 4000 auf 14.000 geschrumpft war.

Mitte Februar 2023 gab der Ford-Konzern Details seiner künftigen Europa-Pläne bekannt. Ford wird in Europa erneut Tausende Stellen streichen. Das Kölner Werk ist besonders betroffen. Außer der Produktion, die bei Streichrunden in der Vergangenheit vor allem im Zentrum stand, sind diesmal die Entwicklung und die Verwaltung in Köln vom geplanten Personalabbau besonders betroffen. Zusammen mit Kürzungen im kleinen Entwicklungszentrum in Aachen geht es in Deutschland um 2300 Stellen – der Betriebsrat hatte in einem Worst-case-Szenario zunächst bis zu 3200 Jobverluste geschätzt. Weitere 1300 Jobs fallen im britischen Dunton weg, europaweit summiert sich das auf 3800 Arbeitsplätze. 

Die Kapazität der europäischen Entwicklungsabteilung wird laut Betriebsrat etwa halbiert werden. Das wird vor allem die Motorenentwicklung treffen, die für den europäischen Markt besonders aufwendig ist. Mit dem Umstieg auf Elektroantrieb hat sich das erledigt. „Eine Entwicklung von Verbrennungsmotoren wird es in sehr absehbarer Zeit nicht mehr geben“, so Ford-Chef Sander. Verbrenner werden bei Ford ganz gestrichen. 

Das Muster gleicht dem vieler Konkurrenten: Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge wird beschleunigt. In Köln soll das erste E-Modell Ende 2023 vom Band rollen, 2030 sollen alle Neuwagen elektrifiziert sein. Bis dahin werden bei den traditionellen Verbrennern weniger rentable Modelle gestrichen. So lief der letzte Mondeo 2022  vom Band, beim Fiesta wird es Mitte 2023 so weit sein. Gleichzeitig sollen die Kosten gedrückt werden, um das Geld für den Umbau zu verdienen. Die Kosten seien gestiegen, die Nachfrage sei schwach, und für die neuen Elektroautos werde künftig weniger Personal gebraucht. „Auf diese Dinge müssen wir reagieren, wir müssen uns schlanker aufstellen.“ Kein Kunde zahle höhere Preise, weil Fords Fahrzeugentwicklung ineffizient sei. 

Ford hatte bereits im Herbst 2022 angekündigt, 2025 sein Werk in Saarlouis (Saarland) ganz zu schließen, wo aktuell noch rund 5000 Beschäftigte den Ford Focus bauen. In guten Zeiten verfügte das Werk über eine Kapazität von knapp 450.000 Fahrzeugen p.a. Man spreche über den Verkauf der Fabrik, sagte Sander. Zu den Interessenten gehört unter anderem der chinesische Hersteller BYD, sozusagen „der Feind im eignen Bett“.  

Denn gerade weil mehrere chinesische Hersteller auf den deutschen Markt drängen ist eines von Fords Problemen. Von „wachsender Wettbewerbsintensität“ sprach Sander, ohne Namen zu nennen. Autoexperten aus der Wissenschaft glauben sogar, dass angesichts generell teurer deutscher Elektroautos im Hochpreissegment chinesische Autobauer erstmals eine Chance sehen, in Europa den Markt mit niedrigpreisigen Elektro-Kleinwagen zu erobern.

Sie verkennen dabei aber, dass es dazu nur dann käme, wenn ein Quantensprung bei den Batteriekosten erfolgte, und im Massensegment der Kleinwagen die E-Zapfpunkte gleich mitgeliefert würden. Strukturell werden Elektroautos immer teurer bleiben als Verbrenner, ein Teil des Marktes unten wird durch den Preis abgeschnitten. 

Mit einer rigiden Eindampfung seiner Produktionskapazitäten und dem Sparprogramm will sich Ford finanziell Luft verschaffen für die Umstellung auf Elektromobilität. Fakt ist: Elektrofahrzeuge brauchen weniger Personal in der Produktion, und Entwicklungsingenieure für Verbrennerfahrzeuge werden arbeitslos, zumal dann, wenn auch noch die Palette an künftigen Elektrofahrzeugen ausgedünnt wird und in die höherpreisigen Segmente verschoben wird.

Ein großer Managementfehler im US-Fordkonzern war, dass er mit der Transformation relativ spät begonnen und sich zunächst auf Partnerschaften verlassen hat. Erst durch das milliardenschwere Subventionsprogramm der Regierung Biden, an dem Ford jetzt mit hohen Investitionen in den USA auch partizipieren will, ist die Konzernführung in Dearborn aufgewacht. Ford Köln kaufte die technische Basis für elektrische Pkw bisher bei VW ein und beteiligte sich zunächst am Start-up Rivian, um mit dessen Hilfe Transporter zu elektrifizieren, kaufte zusammen mit VW das Software-Haus Argos AI. Ununterbrochen hohe Verluste waren die Folge. 

Das reichte 2022 aber nicht, um die Abschreibungen auf Rivian und Argo AI sowie Verluste in China auszugleichen. In Europa kam Ford nur knapp aus den roten Zahlen. Entsprechend fiel Farleys US-Bilanz Anfang Februar aus: Mit zwei Milliarden Dollar Verlust sei Ford weit unter seinen Möglichkeiten geblieben. „Wir müssen Kosten und Qualität erheblich verbessern“, sagte Farley. Manches im Konzern sei „dysfunktional“ und schwer zu ändern. „Das ist keine Entschuldigung“, sagte Farley. „Aber es ist unsere Wirklichkeit, und wir müssen es dringend ändern.“

Konzernchef Jim Farley riss also das Ruder herum: Eine eigene Ford-Elektroplattform wird entwickelt werden, die Rivian-Beteiligung wurde über die Börse verkauft und bei Argo AI der Geldhahn zugedreht. Die Folge waren Abschreibungen in Milliardenhöhe. Das wiegt umso schwerer, als Ford im operativen Geschäft nur zwei echte Stärken dagegensetzen kann: In den USA fahren die schweren Verbrenner-Pick-ups Milliardengewinne ein, und in Europa sind die leichten Nutzfahrzeuge inzwischen mit Abstand Marktführer.

Farley hat den Konzern in drei Sparten organisiert: Ford Blue ist für die Verbrenner zuständig und konzentriert sich auf SUVs und Pick-ups. Ford Model e verantwortet Elektroautos samt Software, und Ford Pro steht für die Nutzfahrzeuge. Das Geschäft stehe für Wachstum und Erträge.

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Ob dieser Umbau des Gesamtkonzerns gelingt, ist offen. Das Gleiche gilt für die rigorose Strategie zum Abbau der Personal- und Entwicklungskosten bei Ford Köln. Das hat seit Menschengedenken noch bei keinem Automobilhersteller funktioniert, vor allem nicht bei den US-Autobauern. GM ging in die Insolvenz und musste vom Staat gerettet werden, Chrysler ging im Stellantis-Konzern auf. Gewinne zu erzielen und strukturelle Verluste abzubauen, kann man dauerhaft nicht durch Kostensenkungen erreichen, sondern ausschließlich durch bessere Autos und Mehr-Verkäufe, nicht durch weniger Produktion und Absatz. 

Die angekündigte Exodus-Strategie ist für den Autostandort Köln besonders dramatisch, weil wegfallende Entwicklungskapazitäten bedeuten, dass die Ford-Führung auf Dauer Wertschöpfung in Europa aufgibt und offenbar nicht mehr damit rechnet, wieder zurück auf einen Wachstumspfad gelangen zu können. Die Entwicklung bei Ford in Köln erinnert in dieser Hinsicht an den enormen Bedeutungsverlust des Opel-Entwicklungszentrums in Rüsselsheim nach der Übernahme durch PSA und die Integration in Stellantis.

Die Belegschaft sei trotzdem erleichtert, so der Betriebsratsvorsitzende Benjamin Gruschka – getreu dem St. Florians Prinzip –, betriebsbedingte Kündigungen seien an den Standorten Köln und Aachen bis 2032 ausgeschlossen. Die Geschichte lehrt indessen, dass solche Vereinbarungen, wenn es hart auf hart kommt, nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen.

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