Tichys Einblick
Klimapolitik als Inflations-Booster

Wie aus der Preissteigerung eine echte Inflation wird

Alles, was die europäischen Regierungen zur Klimawende unternehmen, führt zwangsläufig zu höheren Kosten und Preisen im Inland.

IMAGO / Rolf Poss

EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat vor Kurzem in der Süddeutschen Zeitung ein bemerkenswertes Interview unter der Überschrift gegeben: „Geldpolitik kann den Gaspreis nicht senken“. Das stimmt!

Soll sie auch nicht, mag einerseits Wirtschaftsminister Robert Habeck gedacht haben, könnte sie das bloß, andererseits sein Kabinettskollege Christian Lindner. Wie passt das zusammen?

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Zielsetzung des Interviews war die Klärung der Frage nach den Bedingungen, ob und ab wann die EZB ihre Geldpolitik aus Gründen der Inflationsbekämpfung verschärfen und die Zinsen anheben wird. Angesichts der Tatsache, dass nach Deutschland (Dezember 2021: 5,3 Prozent) inzwischen in der gesamten Eurozone die Inflationsrate auf ein historisch neues Niveau von über 5 Prozent gestiegen ist, ist diese Frage nicht nur für die ökonomisch-akademische Öffentlichkeit brennend, sondern geht alle an. Hauptpreistreiber dabei waren dabei neben knappen Rohstoffen vor allem die Preise für Strom, Gas und vor allem fossile Brennstoffe Benzin und Diesel. 

Bei allen Bürgern im Land hat der Preisanstieg Konsequenzen: 

  • der Realwert der Löhne und Zinserträge sinkt, 
  • die Ersparnisse verlieren an Wert, 
  • ebenso Renten und feste Einkommensbezüge,
  • soziale Spaltung droht, denn die Bezieher niedriger Einkommen mit einer sehr hohen Konsumquote sind stärker getroffen als Bezieher hoher Einkommen.

Warum also hat die Europäische Notenbank bislang trotzdem nicht eingegriffen? Und ab wann wird sie eingreifen?

Zur Klärung des Sachverhalts sei zunächst auf einige Besonderheiten der Preisstatistik und statistischen Inflationsermittlung/-messung verwiesen:

  1. Der Ermittlung der allgemeinen Preisentwicklung liegt ein repräsentativer Warenkorb mit Gütern und Dienstleistungen des allgemeinen Bedarfs zugrunde. Zusammengewichtet ergibt die Veränderung der Einzelpreise – nach oben aber auch nach unten – die allgemeine durchschnittliche Preissteigerungsrate, die vom Statistischen Bundesamt monatlich akribisch ermittelt und veröffentlicht wird.  

Gemessen wird dabei lediglich die Veränderung der Preise der einzelnen Güter, nicht die Veränderung der Mengen, das heißt wie der Verbraucher auf die Preisveränderung reagiert, zum Beispiel indem er von den teurer gewordenen Treibstoffen oder Kartoffeln weniger verbraucht, und er so die Kaufkraft seines Budgets erhält, also auf die Preissteigerung mit der Menge reagiert, das heißt Mengenreaktion zeigt.

  1. Die Preisstatistik ist neutral, sie fragt nicht nach den Ursachen der Preisveränderung bei den einzelnen Gütern des Warenkorbes, sondern misst lediglich deren Veränderung gegenüber dem Vormonat. Bezogen auf den gleichen Monat des Vorjahres ergibt sich dann die sogenannte Inflationsrate, die die Gemüter der Öffentlichkeit erregt und als Inflation in den Sprachgebrauch eingegangen ist.
  2. Aber genau diese Frage nach den Ursachen der Verteuerung gerade strategisch wichtiger Preise für Energie, Gas und Treibstoffe und Sprit ist zentral wenn es um die Frage nach wirtschaftspolitischen, in diesem Fall geldpolitischen Maßnahmen der Notenbank geht: 

Ist die Verteuerung eines Produktes oder einer Dienstleistung durch den Staat über hoheitliches Handeln (z.B. Steuer- und Abgabenerhöhung) oder über Preisschocks für Importe aus dem Ausland (z.B. Erdöl oder Erdgas) verursacht, oder stammt die Teuerung aus dem inländischen Wirtschaftskreislauf selber, entstanden durch preistreibende Kosten- oder Lohnsteigerungen? Haben die Preissteigerungen exogene, von der Wirtschaftspolitik nicht steuerbare oder von ihr sogar selber veranlasste Ursachen, oder resultieren die Inflationsimpulse aus endogenem wirtschaftspolitischem Fehlverhalten der inländischen Unternehmer und Werktätigen, die der hoheitlichen Wirtschafts- und Geldpolitik unterworfen und damit letztlich makroökonomisch steuerbar sind?

Für die EZB beachtlich für die Inflationsbekämpfung sind beide Preisimpulse, die exogenen wie die endogenen. Der einzige Unterschied liegt darin, dass die ersten exogen Preisimpulse zu sogenannten Erstrundeneffekten in der Preisstatistik führen: Das heißt, sie schlagen sich darin nieder, sind aber mehr oder weniger Sonder- oder Einmaleffekte, die dann nach 12 Monaten oder mittelfristig wieder aus dem statistischen Preisvergleich herauswachsen. Die also nicht nachhaltig zu Inflation werden, sondern sich wieder von selber abflachen.

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Alles, was die europäischen Regierungen zur Klimawende unternehmen, wie steigende CO2-Preise oder Milliardeninvestitionen in grüne Technologie wie die Wasserstofftechnik und neue Logistikketten, aber auch steigende Weltmarktpreise für Erdgas und Minerlöl, führt zwangsläufig zu höheren Kosten und Preisen im Inland. Wenn dann auch noch explodierende Rohstoffpreise als Folge der gestauten Nachfrage nach dem weltweiten Lockdown oder der riesigen Nachfrage aus China hinzukommen, führt das zunächst zu einem gewaltigen Einmaleffekt in der Preisstatistik. Daraus muss keine Inflation werden, kann aber!

Problematisch wird es, wenn sich diese quasi unabweisbaren Preissteigerungen, die sich nicht in höheren Erträgen der inländischen Unternehmen niederschlagen, als höhere Inflation wahrgenommen wird, in den Erwartungen der Menschen festsetzen. Die Folge davon, das lehrt die Erfahrung aus den 70iger und 80iger Jahren als Folge der damaligen Ölkrisen, können sehr leicht überkompensierende und aggressive Lohnforderungen zur Vermeidung von Realeinkommensverlusten Zweitrundeneffekte werden, die neuerliche Preisschübe nach sich ziehen und so fort. 

Kommt es zu solchen Preis-Lohn-Spiralen, ist die Türe für eine richtige Inflation weit offen – und die Notenbank zum Eingreifen gezwungen. Die EZB ist bisher der Meinung, dass der aktuelle kräftige Preisanstieg aus einer Summe von Sonderentwicklungen besteht, also als Erstrundeneffekt angesehen wird. Und hofft mittelfristig auf Normalisierung.

Noch! Die vor allem die in Deutschland von der grünen Ampel-Regierung angestrebte rasche Klimawende mit all ihren Preiserhöhungsfacetten zur Eindämmung der CO2-Emissionen ist für die EZB eine offene Flanke. Zum einen, weil mittelfristig die Politik zum klimafreundlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft weiter Preiserhöhungen auf den CO2-Ausstoß fest eingeplant hat, mittelfristig kontinuierliche Inflationsimpulse also absehbar sind. Zum anderen weil diese zum Klimaschutz staatlich verordneten Preiserhöhungsmaßnahmen die Inflation treiben. Je mehr die Preise für Sprit, Gas und Strom aber steigen, desto mehr wächst die Gefahr der Zweitrundeneffekte mit der Spirale aus erhöhten Lohnforderungen und steigenden Lohnkosten. Die EZB muss dann handeln und den Leitzins erhöhen, auch wenn dadurch der Aufschwung abgewürgt würde.

Der Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität muss also rasch und zeitlich überschaubar erfolgen. „Wenn sich die höhere Inflation in den Köpfen der Menschen festzusetzen droht oder wenn die grüne Wende einen ökonomischen Boom auslöst, der selbst wiederum zu einem Anstieg der Preise führt, müsse die Notenbank unter bestimmten Umständen reagieren“, sagt EZB-Direktorin Schnabel. Zu viel grünes Wirtschaftswachstum würde laut Schnabel dann für den klimaneutralen Umbau selbst zum Problem werden. „Je schneller es gelingt, CO2 arme Alternativen zu schaffen, desto reibungsloser wird die Transformation verlaufen.“ In der ersten Linie sei laut Schnabel die Politik zuständig, und – unausgesprochen – nicht die EZB.

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Damit droht in der Klimapolitik auch noch ein Konflikt zwischen EZB und Regierungen: Zu heftig steigende CO2-Preise zur Nachfragekappung und zu viele grüne Investitionen in die Klimaneutralität drohen, die Inflation zu erhöhen und über Zweitrundeneffekte weiter anzuheizen. Gerade um Letzteres zu vermeiden, ist die Politik der Ampel-Regierung vor allem gefordert, den Bürgern klar zu machen, dass der – ohne jeden Zweifel notwendige – grüne Umbau der Wirtschaft eine fossilärmere Lebensweise erfordert. Und vor allem nicht kostenlos ist, sondern Realeinkommens- und Komforteinbußen über steigende Preise nach sich zieht. Ein Weiter-so wie bisher, nur anders, gibt es nicht! 

Aktuell fällt es schwer zu erkennen, wie die EZB das mittelfristig angestrebte Inflationsziel von zwei Prozent nur mit Zuwarten erreichen kann.

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