Tichys Einblick
Deutschland vor der Rezession?

Jobflaute in Deutschlands zentralen Industriebranchen

Die schwächelnden Konjunktur hinterlässt deutliche Spuren. Anzeichen hierfür: Kurzarbeit in der Metall- und Elektroindustrie, Stellenabbau in der Automobil-Zulieferindustrie, Arbeitsplätze wandern ab.

© Lukas Schulze/Getty Images

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) meldet erstmals seit sechs Jahren keine sinkenden Arbeitslosenzahlen mehr. Im Oktober waren 2,204 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. Wenn man Jahreszeiteneffekte heraus rechnet, bedeutet das einen leichten Anstieg. Grund sei die schwache Wirtschaftslage, sagte BA-Chef Detlef Scheele.

Nach Einschätzung der Bundesregierung wird das Wirtschaftswachstum 2020 nur noch ein Prozent betragen. So steht es in der aktuellen so genannten „Herbstprojektion“ des Bundeswirtschaftsministeriums. In der Frühjahrsprojektion im April war man noch von 1,5 Prozent für 2020 ausgegangen. Doch auch der angenommene Wert von einem Prozent scheint optimistisch zu sein, wenn man  bedenkt, dass in diesem Jahr nur von einem Wachstum von 0,5 Prozent die Rede ist. Noch im zweiten Quartal des Jahres verlor das Wachstum 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, die Zahlen zum dritten Quartal liegen noch nicht vor.

BA-Chef Scheele sprach zwar davon, dass die Arbeitslosigkeit auf absehbare Zeit nicht signifikant steigen werde, weil man es nur mit einer „konjunkturellen Delle“ zu tun habe. Das allerdings kann man auch anders sehen. Besorgniserregend ist vor allem, dass die jüngsten Nachrichten über Stellenkürzungen vor allem aus den Kernbereichen der deutschen Industrie kommen.

Einige davon hier im Detail:  

Kurzarbeit 

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Im bayerischen Schwaben beantragen derzeit mehr als 50 Firmen Kurzarbeit. Es betrifft vor allem die Metall- und Elektroindustrie. In Schwaben mag der Grund darin liegen, dass hier vor allem das verarbeitende Gewerbe stark vertreten ist – stärker als in anderen Regionen Deutschlands. Und aus Schwaben wird viel ins außereuropäische Ausland verkauft. Hier mögen die Handelskonflikte eine Rolle spielen. Dennoch: Die schwäbischen Branchenverbände Bayme und Vbm, die die Metall- und Elektroindustrie vertreten, sind alarmiert. Die Unternehmen erwarten weitere Verschlechterungen, heißt es. „Der Beschäftigungsanstieg wird sich wohl vorerst nicht fortsetzen“. Der Stellenabbau hat begonnen. 

Hier macht sich auch der Einbruch in der Auto- und Zulieferindustrie bemerkbar. In den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres sei die Produktion um 16 Prozent gefallen. 

Kurzarbeit gibt es auch in der Stahlindustrie. Arcelor-Mittal, ein internationaler Stahlkonzern, will in Bremen im kommenden Jahr Kurzarbeit anmelden – „zumindest für das erste Quartal“, wie verlautbart wird. 3500 Mitarbeiter sind davon betroffen. Bereits im Frühjahr hatte der Konzern die Arbeitszeit um vier Prozent gekürzt. 

Stellenabbau: Die Krise in der Autoindustrie zieht Kreise 

Für die deutsche Autoindustrie kommt es knüppeldick. Besonders trifft es die Autozulieferer. Die Benteler International AG setzt den im Sommer angekündigten Personalabbau konkret um, berichtete das Westfalenblatt Mitte Oktober. „Das Unternehmen hat ein Freiwilligenprogramm gestartet, um Mitarbeiter mit Prämien zum Ausscheiden zu bewegen. Es soll um einige hundert Stellen gehen.“ Mit dem Programm sollen vor allem Mitarbeiter in der Verwaltung und produktionsbegleitenden Bereichen angesprochen werden, weniger in der Produktion selbst, heißt es. Benteler Automotive beschäftigt in Deutschland 5800 Beschäftigte, davon mehr als 3000 in Ostwestfalen-Lippe. 

Auch der Autozulieferer Brose in Coburg sieht sich durch den Wandel in der Automobilbranche unter Druck. Gründe sind wohl steigende Personal- und Arbeitskosten sowie ein rückläufiger Markt in China. Vor allem die einseitige Klimadebatte zulasten der Automobilindustrie schafft zusätzlich Unsicherheit. Die Brose-Gruppe hat demzufolge deutliche Ergebniseinbrüche zu bewältigen. „Der globale Wettbewerb zwinge das Unternehmen … auch zur Verlagerung von Arbeit in Niedriglohnländer. Brose plant bis Ende des Jahres 2022 die Anzahl der aktuellen Arbeitsplätze in Deutschland um rund 2.000 zu reduzieren, mehrheitlich in den Zentral- und Geschäftsbereichen. Im Wesentlichen sind die Standorte Bamberg, Hallstadt, Coburg und Würzburg betroffen. Brose wird die Fertigung von Schließsystemen von Wuppertal, wo derzeit rund 200 Mitarbeiter beschäftigt sind, verlagern. In den Werken Coburg, Würzburg, Hallstadt und Berlin sollen insgesamt rund 600 Arbeitsplätze entfallen“. 

Auch der Reifen- und Zulieferer-Konzern Continental ist vom Wandel in der Automobil-Industrie betroffen. Weltweit wird Continental bis 2023 rund 15.000 Arbeitsplätze abbauen, davon etwa ein Drittel in Deutschland. Bis 2029 dürften weltweit sogar 20.000 Stellen betroffen sein – also bis zu 7000 der rund 62.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Zugleich will Conti in Wachstumsbereichen wie der Elektromobilität wachsen und Personal einstellen. Investitionen also in eine nicht wettbewerbsfähige Technologie, die dennoch als zukunftsweisend betrachtet wird. 

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 Wegen einer milliardenschweren Sonderbelastung dürfte Continental voraussichtlich in die Verlustzone schlittern, meldet die F.A.Z. Diese seien in der Annahme begründet, dass sich die derzeitige Weltproduktion von PKW und leichten Nutzfahrzeugen in den kommenden fünf Jahren „nicht wesentlich verbessern“ werde. Continental kündigte zugleich an, seine Antriebssparte Vitesco als Ganzes abspalten und an die Börse bringen zu wollen. 

Dies ist nun offenbar gelungen. Continental wird seine Antriebssparte komplett ausgliedern und später an die Börse bringen. In Vitesco werden das Geschäft mit Verbrennungsantrieben, aber auch der Zukunftsbereich mit Hybrid- und Elektroantrieben sowie alle Batterieaktivitäten gebündelt. Statt eines Teilbörsengangs, den der DAX-Konzern lange Zeit verfolgt hat, werde nun allein eine Abspaltung von 100 Prozent des unter dem Namen Vitesco Technologies firmierenden Geschäfts angestrebt. Anschließend sei der Gang aufs Börsenparkett geplant, teilte die Continental AG mit. 

Über die Streichung von 850 Stellen verhandelt auch der Gasekonzern Linde mit der Arbeitnehmervertretung, nachdem er 2018 mit dem amerikanischen Konzern Praxair fusionierte. Besonders sprechend: Die Konzernzentrale in München soll dicht machen. Das dortige Personal, also nicht zuletzt auch das Topmanagement, muss an den Standort Pullach, außerhalb Münchens, umziehen. Der ist vermutlich billiger. Zahlreiche Stabsstellen des fusionierten Konzerns sitzen schon in der Praxair-Zentrale in Danbury in den USA.

Die nächsten großen Meldungen über Arbeitsplatzverluste in Deutschland könnten vielleicht schon bald von Opel kommen. Die deutsche Automarke, die 2017 erst von General Motors an Peugeot (PSA) verkauft wurde, folgt nun mit ihrer neuen französischen Mutter in die Fusion mit dem amerikanisch-italienischen Fiat-Chrysler-Konzern. Die Motivation für die Schaffung des neuen Auto-Riesen ist nach einhelliger Analystenmeinung die Abfederung der anstehenden Kosten für die Transformation der Antriebe von Verbrennung auf Elektro. Das dürfte unterm Strich deutlich weniger Mitarbeiter bedeuten. Und weder amerikanische oder italienische und schon gar nicht französische Topmanager dürften dabei ihre deutschen Mitarbeiter unter besonderen Schutz stellen. Seit Opel zu PSA gehört sank die Mitarbeiterzahl von rund 38 000 auf rund 30 000.

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