Tichys Einblick
Vom Kriegsschock zur Dauerkrise

DIHK-Umfrage: Dauerhafte Wirtschaftskrise droht, Grundstoffindustrie in Existenznot

Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags offenbart großen Pessimismus bei den Unternehmen. Vor allem die deutsche Grundstoffindustrie gerät durch steigende Energie- und Rohstoffpreise in eine Existenzkrise.

Vallourec-Stahlwerk in Duisburg

IMAGO / Rupert Oberhäuser

Aus dem kurzfristigen ökonomischen Schock durch den russischen Angriff auf die Ukraine droht eine lange anhaltende, strukturelle Wirtschaftskrise in Deutschland zu werden. Die Geschäftserwartungen verschlechtern sich jedenfalls massiv, wie eine Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter 25.000 Unternehmen zeigt, die dem Handelsblatt vorliegt. Ein Drittel der Betriebe rechnet demnach in den nächsten zwölf Monaten mit schlechteren Geschäften als ohnehin schon. Nur noch 19 Prozent erwarten eine Besserung.

„Einen solchen Stimmungseinbruch haben wir in der Industrie bislang nur während der Finanzkrise und beim ersten Lockdown 2020 erlebt“, zitiert das Handelsblatt den Hauptgeschäftsführer des DIHK Martin Wansleben. Der Verband erwartet daher nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von einem bis 1,5 Prozent im laufenden Jahr. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung prognostizierte am 30. März noch 1,8 Prozent.

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Zwar wäre die unmittelbare Einbuße im Kriegsjahr 2022 viel geringer als durch die Corona-Pandemie beziehungsweise den dadurch begründeten Lockdown, als 2020 die Wirtschaft um rund fünf Prozent schrumpfte. Aber Corona hatte vor allem direkte Auswirkungen auf Dienstleister, während von der aktuellen Krise vor allem der produktive Kern der Volkswirtschaft, die Industrie betroffen ist. 37 Prozent der Industrieunternehmen erwarten eine Verschlechterung der Geschäfte in den kommenden 12 Monaten, nur 14 Prozent eine Besserung. Vor allem für die Grundstoffindustrie gehe es um die Frage, welche Teile davon überhaupt noch in Deutschland ihr Geschäft machen könnten. „Wir müssen aufpassen, dass hier nicht etwas ins Rutschen gerät und wir Kernbranchen verlieren“, sagt Wansleben laut Handelsblatt.

Es geht dabei um die Industrie am Beginn der Wertschöpfungskette, die Agrarprodukte, Erdgas, Öl, Erze und Metalle, Kohle und Holz unmittelbar verarbeitet. 93 Prozent dieser Betriebe sehen laut DIHK-Umfrage in den gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen das größte Risiko für ihr Geschäft. Durchschlagen werden die Preise erst in den kommenden Monaten, weil die meisten mit langfristigen Kontrakten operieren.

Der Krieg in der Ukraine ist dabei nur ein Verstärker der hohen Energiepreise. Die Klimaschutzpolitik. Der Energie-Ökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum sagt gegenüber dem Handelsblatt: „Bis es genügend Erneuerbare gibt, könnte es noch dauern. Das könnte Teile der Grundstoffindustrie aus Deutschland herausdrängen.“ Wie real solche Befürchtungen sind, zeigte erst am Mittwoch die Ankündigung des französischen Stahlrohrkonzerns Vallourec, seine beiden Werke in Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr zu schließen.

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Einen etwas weniger pessimistischen Eindruck gibt eine ebenfalls heute veröffentlichte Studie des Ifo-Instituts. „Deutsche Unternehmen sind seit Beginn des Krieges wieder etwas unsicherer, wie ihre künftige Umsatzentwicklung verlaufen wird“, heißt es in einer Pressemitteilung. Allerdings: „Der Krieg in der Ukraine hat bisher zu keiner Unsicherheitskrise geführt, wie es zu Beginn der Covid-19-Pandemie der Fall war. Dabei spielt es keine Rolle, wie stark die Unternehmen durch einen etwaigen Gaslieferstopp betroffen wären“, sagt Ifo-Forscher Manuel Menkhoff, einer der Autoren der Studie. Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe sehen ihre Umsatzaussichten demnach für das zweite Quartal 2022 etwas negativer als die Dienstleister.

Der mögliche Ausfall von Gaslieferungen spielt laut der Ifo-Analyse offenbar keine Rolle bei der Beurteilung der Umsatzsituation: Würden die Gaslieferungen an die Unternehmen durch ein Embargo der EU oder durch einen Lieferstopp Russlands um 10 Prozent verringert, schätzen die Befragten den Produktionsausfall im Schnitt auf 7 Prozent. „Möglicherweise schauen die Unternehmen derzeit eher auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und halten einen Ausfall der Gaslieferungen derzeit für unwahrscheinlich“, sagt Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame, USA, ebenfalls Mitautor des Beitrags.

Die Ergebnisse beruhen auf Angaben der Unternehmen zu einer mittleren Umsatzprognose und zu Umsatzerwartungen für das zweite Quartal 2022 im besten und schlechtesten Fall. Darüber hinaus wurden Unternehmen im April 2022 gefragt, welche Produktionsminderungen sie bei einem Gasausfall von 10 Prozent bzw. 50 Prozent erwarten, sowie welchen Anteil Gas an ihren Energiekosten hat.

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