Tichys Einblick
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Lars Feld oder Wissenschaftler als Laufburschen der Politik

Wissenschaftler in Deutschland spielen immer häufiger den Laufburschen der Politik. Das liegt am mangelhaften Selbstverständnis, wirtschaftlicher Gier – und einer zunehmend übergriffigen Politik.

IMAGO / Reiner Zensen

Der jüngste Fall ist Lars Feld, der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage. Ihm wird keine weitere Amtszeit als Vorsitzender dieses Gremiums gewährt, dessen Mitglieder meist als „Wirtschaftsweise“ tituliert werden. Die SPD blockiert das; sie will lieber Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf diesem Posten.

Auch vorauseilende Anpassung hat nicht geholfen

Muss man Mitleid mit Lars Feld haben? Er ist keineswegs der stramme Ordnungspolitiker, als der er jetzt bei seinem Abgang beschrieben wird. Spätestens mit ihm hat der Sachverständigenrat längst den Weg in die inhaltliche Bedeutungslosigkeit beschritten. Waren in früherer Zeit die Jahresgutachten ein wichtiger Debattenbeitrag, eine Art Zeugnis für die Wirtschaftspolitik, so hat sich das Urteil unter Lars Feld spürbar gemildert.

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So wurde unter seiner Präsidentschaft 2019 ein „Sondergutachten“ zur Klimapolitik vorgelegt. Es ist das, was man als Larifari-Gutachten bezeichnen kann: Merkels Regierung macht alles richtig, nur ein bisschen mehr CO2-Zertifikate sollen an die Stelle bürokratischer Regelungen treten. Die gewaltigen volkswirtschaftlichen Kosten, wachsende Arbeitslosigkeit und Verlust internationaler Wettbewerbsfähigkeit, zu hohe Energiekosten – alles, was Merkel nicht hätte gefallen können, wurde ausgeblendet. Man spürte beim Lesen neben dem inhaltlichen Unbehagen über die Dünnbrettbohrerei: Es war nicht nur eine bestellte Arbeit, sondern mehr noch eine, die Lars Feld als Sprungbrett benutzen wollte, um nur ja die nächste Amtszeit zu erklimmen.

Dass er für sein zwar tadelndes, aber harmloses Du-Du-Du nicht angemessen belobigt wurde, zeigt: Unabhängigkeit und Wissenschaftlichkeit sind längst nicht mehr gefragt, sondern Bestätigung des Regierungshandelns, und das bitte vorauseilend und ohne Verwerfungen. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist da schon weiter: Wachsende Staatsverschuldung und Inflationsvorbereitungspolitik der Europäischen Zentralbank sind voll in Ordnung, predigt er ungefragt. Sowas liebt die SPD. Dass Lars Feld ihn nicht noch links überholen konnte, ist kein Verdienst. Zwischen Fratzscher und dem Abgrund wissenschaftlichen Elends ist einfach kein Platz für den wendigen Feld. Die Zukunft gehört den Parteibuch-Wissenschaftlern, die in Treue stehen und auf Dauer Berechenbarkeit garantieren.

Keine knorrige Eigenständigkeit erwünscht

Wenn jetzt CDU-Chef Armin Laschet eine Koalitionskrise ausruft, weil Feld nicht berufen wurde, dann zeigt das nur: Mit bloßem Herumkurven und der Hoffnung auf eine Gnaden-Bergung ist es nicht mehr getan. Wissenschaft hat die Dienerin der Politik zu sein, nicht Ratgeber mit knorrigem Selbstverständnis, wie es die Vorgängergeneration noch praktiziert hat.

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Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina führt einen dröhnenden Namen. Unter dem legte sie im Dezember ein piepsiges Gutachten zur Corona-Politik vor, dass alle erkennbaren Fehler der Bundes- und ihrer Landesregierungen ausblendete. Dafür plädierte die Forschergemeinschaft für einen harten Lockdown nach irischem Muster über Weihnachten und Neujahr. „Ein ganz eindeutiges Beispiel von politischem Missbrauch von Wissenschaft“, kritisiert ihr Mitglied Michael Esfeld und trat aus Protest aus. „Wissenschaft kann herausfinden, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs gibt. Aber zu schlussfolgern, dass niemand mehr rauchen soll, ist nicht Aufgabe der Wissenschaft“. Die Regierung hole derzeit ohnehin nur von jenen Wissenschaftlern Rat ein, die auch das sagen, was die Regierung hören will.

Esfeld listete auf, dass die Meinung der Wissenschaftler keineswegs so einhellig ist, wie die politisierte Leopoldina in vorauseilendem Gehorsam predigt: Der Seite von Virologen und Epidemiologen, die scharfe politische Maßnahmen fordern, stehe eine andere Seite von Virologen und Epidemiologen gegenüber, die mit Gründen einen auf die Risikogruppen fokussierten Schutz empfehlen.

Aber Politik sucht längst keine Beratung mehr, sondern Bestätigung. Der Streit knüpft an einen Vorfall aus Bayern an: Der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge wurde aus dem Bayerischen Ethikrat entlassen, nachdem er wiederholt die Corona-Politik des Freistaats kritisiert hatte.

In Merkels Beraterkreis tummeln sich Ratgeber, die extreme Positionen vertreten und über die Total-Stilllegung des Landes das Virus „ausrotten“ wollen. Eine abgewogene Politik, die auch die Nebenwirkungen berücksichtigt, kann da nicht zustandekommen – und soll es auch nicht.

Horst Seehofer lässt Repression wissenschaftlich begründen

Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung verdanken wir Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Auf Wunsch des Innenministers drehten führende Forschungsinstitute im März so lange an den Corona-Daten, bis die gewünschten Horrorszenarien breiter tödlicher Bedrohung und eines wahrscheinlichen Massensterbens wenigstens auf dem Papier zu Tage traten. Erklärtes Ziel: Mit dieser Manipulation die Durchsetzung „repessiver Maßnahmen“ in der Bevölkerung zu erleichtern. Beteiligt an dem großen Wissenschaftsschwindel waren das Institut der Deutschen Wirtschaft, das RKI, das RWI und die Stiftung Wissenschaft und Politik. Die entstehende Kritik wurde medial leise gehalten. Von den Instituten gibt es kaum ein Wort dazu. Hand aufhalten und Schweigen, so scheint die Formel der wissenschaftlichen Omerta bei Staatsaufträgen zu lauten. In dem Fall kommt noch dazu: Seehofer beauftragte einen fragwürdigen, mit seiner Liebe zum Maoismus Bekanntgewordenen mit der stilistischen Zuspitzung und rhetorischen Effekthascherei. So wird Wissenschaft zum Machtinstrument – auf falschen Grundlagen fehlerhafte Schlussfolgerungen – und dann noch zugespitzt für die Dummen im Land. Keiner der beteiligten „Wissenschaftler“ protestierte oder distanzierte sich bis heute davon.

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Aber warum ist Wissenschaft so gefällig? Viele Professoren haben nur noch Verträge auf Zeit und kleine Institute; sie sind auf Forschungsaufträge angewiesen, um Mitarbeiter und Reisen zu finanzieren. Die Berufung in Fachkommissionen lockt und wird entlohnt, fördert das Prestige und weitere Beschäftigung. Die Unabhängigkeit der vielen Forschungsinstitute steht nur auf dem Papier; faktisch sind sie von Sonder- und Konjunkturgutachten abhängig, von Aufträgen, mit denen die Politik die wissenschaftliche Landschaft düngt, auf dass ihr gefällige Erkenntnisse erwachsen.

Politische Entscheidungen, die im kleinen Kreis längst gefällt sind, werden mit entsprechendem Papieren untermauert. Kommissionen verteilen Geld für gefälligen Rat. Mit einer „Ethik-Kommission“ hat Merkel ihren Atom-Ausstieg begründen lassen; eine Kohle-Kommission ist eine Werbeveranstaltung für den Kohleausstieg. Wer einmal ins Karussell eingestiegen ist, für den dreht es sich immer schneller. Aus der Fachkommission gelingt der Aufstieg in Forschungsinstitute, von denen es Dutzende gibt und bei denen Ministerien mitbestimmen. Nicht mehr um Beratung geht es, sondern Bestätigung wird honoriert, Widerspruch abgestraft. So erging es auch der Wissenschaftlerin Lamia Messari-Becker.

Sie widersprach in einem Sondervotum im Sachverständigenrat für Umweltfragen dem Vorhaben, zukünftig am Parlament vorbei eine Art Räte-System zur Durchsetzung der „Großen Transformation“ einzuführen, wobei diese eine Erfindung des Wissenschaftlichen Beirats für Umweltfragen ist. So bestätigt ein Gremium das andere und schafft scheinwissenschaftliche Relevanz. Flugs wurde Messari-Becker nicht wieder berufen. Eine neue Amtszeit hingegen gab es für die für ihre Regierungsgefälligkeit bekannte Pseudo-Ökonomin Claudia Kemfert, die praktischerweise am DIW residiert, womit ein dritter Wissenschaftsladen im Reigen mittanzt. Kemferts Vorhersagen über die Entwicklung der Energiewirtschaft haben sich samt und sonders nicht nur als falsch, sondern als blühender Unsinn erwiesen. Aber sie rät, was Umweltministerin Svenja Schulze gerne hört, und ein Sondervotum ist von ihr schon gar nicht zur erwarten.

Glaubenssätze statt Wissenschaft

In dem Maße, in dem sich Wissenschaft zum Laufburschen der Politik degradiert, steigt aber auch der Druck, vorübergehende wissenschaftliche Erkenntnisse als neuen Glaubenssätze auszugeben, die nicht hinterfragt werden dürfen.

Forschungsergebnisse zu Corona und Klima seien „zu Recht nicht diskutierbar“, meint beispielsweise ein Zeit-Redakteur. Er knüpft an die Aktion „Unite behind Science“ an, die suggeriert, es gebe unumstößliche Erkenntnisse der Wissenschaft zum Klimawandel, die keinesfalls auch nur noch diskutiert, geschweige denn in Frage gestellt werden dürfen.

Karl Poppers Falsifikationstheorie fasst die entscheidenden Gegenargumentation am griffigsten zusammen: Eine wissenschaftliche Theorie ist, was sich grundsätzlich widerlegen lässt. Übersteht eine Theorie Widerlegungsversuche, kann sie vorläufig gelten.

„Letztgültig ist in der Wissenschaft demnach nichts, höchstens unwiderlegt. Ein empirisch-wissenschaftliches System“, so Popper, „muss an der Erfahrung scheitern können“. Der Satz: „Die Lichtgeschwindigkeit kann nicht übertroffen werden“ steht einer Widerlegung offen. Der Satz „Gott ist groß“ nicht (schon deshalb, weil es sich bei „groß“ nicht um einen sinnvoll definierbaren Begriff handelt). Aussagen, die sich ihrer Natur nach nicht widerlegen und damit diskutieren lassen, aber trotzdem eine Gültigkeit beanspruchen, wollen letztgültig sein. Jeder Versuch, gegen sie etwas vorzubringen, ist nach ihrer Eigenlogik unsinnig. Diese Letztgültigkeit gehört in die religiöse Sphäre, in der etwas entweder geglaubt oder nicht geglaubt, aber nicht mehr diskutiert werden kann,“ so Alexander Wendt.

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Aber solcherart Wissen kann Politik nicht brauchen. Sie stützt sich auf die schlichte Wirtshauslogik: Wer zahlt, schafft an. Und sie beschafft sich auf diese Weise Wissenschaft zum Hausgebrauch.

Volkswirtschaftslehre war in diesem Sinne schon immer gefährdet. Ihre Erkenntnisse sind notgedrungen stärker ideologiegefährdet als Naturwissenschaft, deren Erkenntnisse im Labor nachvollzogen, überprüft, bestätigt oder verworfen werden können.

Insofern ist die Nicht-Berufung von Lars Feld nur folgerichtig: Warum soll sich eine Politik, die mit Hilfe der Notenbank Schulden macht, auch wirklich beraten lassen? Und deshalb eignet sich sein Fall für eine Schärfung des Profils im anlaufenden Bundestagswahlkampf. Inhaltlich ist da wenig zu erwarten. Politik ist längst übergriffig geworden. Eigentlich gelten voneinander unabhängige Systeme als Merkmal und Garanten einer pluralistischen Demokratie; nur in totalitären Systemen beherrscht die Politik flächendeckend alle Lebensbereiche. In offenen, demokratischen Systemen differenzieren sich die Bereiche und schaffen damit Fortschritt und Spezialisierung. Wissenschaftler drehen ihre Runden im Rahmen ihrer Erkenntnis-Arena, Wirtschaft ist staatsunabhängig, Schulen sind der Bildung und Universitäten der Forschung verpflichtet; Mediziner folgen ihrer Profession, die eine andere ist als die von – sagen wir: Bankkaufleuten. Nur die Politik kann alles und beruft den gelernten Bankkaufmann Jens Spahn zum Gesundheitsminister; die Wissenschaftsministerin war Mittelständlern und die Digitalministerin eine lustige Betriebsnudel der CSU ohne tiefere Erkenntnis.

So sind dann allerdings auch die Ergebnisse.

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