Tichys Einblick
Zum Anschlag in Halle

Nach dem Anschlag von Halle: Deutsche, Juden und Israel

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle müssen wir über das Verhältnis der Deutschen zu Juden und zu Israel reden. Abscheu und Entsetzen zu äußern, ist notwendig. Aber es reicht nicht. Denn die Probleme sitzen tief, sehr tief.

Jens Schlueter/Getty Images

Der erste schmerzhafte Befund muss lauten: Ja, es gibt einen tiefsitzenden Antisemitismus in Deutschland. Er ist nicht verschwunden mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945. Sicherlich hat die Auseinandersetzung und das Entsetzen über Auschwitz viele, sehr viele Deutsche bekehrt, aber längst nicht alle. Der Judenhass lebte weiter, wurde weitergegeben in den Kinderzimmern und Stammtischen: meist geflüstert, oft laut und schenkelklopfend; mal offen, mal als dummer, gedankenloser Witz. Staat und Gesellschaft haben dagegen gehalten. Mehr recht als schlecht, bemüht, das sollte unbestritten sein. Aber offizielle Politik bewirkt nicht alles gegen dumpfen, tief verankerten Hass.

Der zweite Befund: Deutschland und Israel – das ist ein zwiespältiges Verhältnis mit vielen Brüchen. Als Bundeskanzler Ludwig Erhard 1965 mit Israel diplomatische Beziehungen aufnahm, war das trotz schon vorher geleisteter heimlicher Hilfe für Israels Aufrüstung ein umstrittener Vorgang. Der Bundesverband der Deutschen Industrie bekämpfte die Entscheidung aufs Entschiedenste; der Absatzmarkt der arabischen und moslemischen Länder schien vielversprechender. Dieses Verhalten wiederholt sich sich bis in die Gegenwart. Trotz unserer Geschichte und trotz dieser Verwerfungen.

Viele Deutschen haben Israel bewundern gelernt. Das Entstehen eines demokratischen Staates und einer florierenden Wirtschaft aus der elenden Subsistenzwirtschaft Palästinas wird anerkannt. Mit Ephraim Kishon kam ein Stück Liebe zum Witz dazu. Er hat mit seinem „Blaumilchkanal“ in den 70ern einen Kanal der Verständigung gegraben. Viele Jugendliche haben den Sozialismus in Westentaschenformat als Teilzeit-Kibbutznik erlebt.

Geschichte ist oft dialektisch oder voll ironischer Wendungen. Selbst die alten deutschen Landser haben Israels Militär bewundern gelernt. Dessen Doktrin erschien ja in manchen Teilen irgendwie bekannt: Luftschläge gegen einen überlegenen Gegner, vorpreschende Panzer, die kühne Eroberung des Tempelbergs durch Fallschirmjäger – General Mosche Dajan mit der Augenklappe und Ariel Sharon mit seiner „Einheit 101“ erschienen wie die Reinkarnation deutscher Blitzkriegs-Generäle. Die israelischen Troupiers als die besseren Deutschen? Die alten Nazis schätzten die Israelis und hassten die Juden, auch wenn das nicht zusammenpasst. Das ist bitterste Ironie. Aber auch das: Die Söhne der Deutschen wendeten sich ab. Von ihren Vätern wie von Israel.

Sie erkannten in den terroristischen Organisation der Palästinenser die Opfer, nicht in den Juden. Sie wandten sich Yassir Arafat zu, und sein Halstuch wurde zum Erkennungsmerkmal. Mit Rainer Werner Fassbinder wuchs eine neue Form des Antisemitismus. In der Figur des jüdischen Immobilienspekulanten in seinem Theaterstück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ glaubten viele Ignatz Bubis erkennen zu können. Der spätere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland war Anfang der 1970er Jahre in die Auseinandersetzungen um die Sanierung des Frankfurter Westends als Investor verwickelt. Dort liegen auch die Ursprünge der Frankfurter „Putztruppe“. Ein Mitglied trat später den Grünen bei und wurde Bundesaußenminister – nach Tagungen, die der Vernichtung Israels gewidmet waren.

Wieder vermischte sich tiefgründiger Antisemitismus mit alten Argumenten zu einer gefährlichen Mischung nach Zeitgeist-Art. Jedenfalls waren die Helden der Jungen jetzt nicht mehr Israelis oder Juden sondern Palästinenser. Die Rote Armee Fraktion trainierte in den Ausbildungslagern der Fatah. Ulrike Meinhof wollte vor dem Untertauchen ihre Kinder in einem Palästinenser-Lager in Jordanien unterbringen – einem Lager, in dem sie den Tod gefunden hätten, als König Husseins Beduinen-Armee diese Lager später buchstäblich ausradierte. Heute darf dieses kleine und fragwürdige Königreich deutsche Tornados beheimaten.

Seither gehört die Unterstützung des palästinensischen Terrors zum politischen ABC der Linken; sie hat sich davon nicht gelöst. Schließlich ist Israel der Flugzeugträger der verhassten USA im Mittelmeer und der israelische Wirtschaftserfolg eine Folge des Kapitalismus, den man bis aufs Blut bekämpfen will. Der linke Antizionismus und Antisemitismus ist letztlich auch ein Kampf gegen die Moderne. Der Kampf einer grün-roten Ideologie, die sich eher am gestern orientiert und nicht an der technologischen Bewältigung der Zukunft, woran israelische Start-Ups deutlich höheren Anteil haben als deutsche Technologieverweigerer im Klimabüßerhemd. Israel ist diesen Rückwärtsgewandten zu modern.

Daraus folgt der dritte bittere Befund: Deutschland beschwört seine Verbindung und Verantwortung für die Juden und Israel – und bekämpft Israel gleichzeitig, vor allem seit eine rot-grün gefärbte Regierung amtiert, die von der romantischen Liebe zu palästinensischem Terror geprägt ist. Dabei dürfte eigentlich jedem klar sein, dass es ohne Israel kein Judentum mehr gäbe; dass die Rache-Kommandos des Mossad nach den Morden anläßlich der olympischen Spiele von 1972 in München und die militärische und geheimdienstliche Fähigkeit, Juden zu schützen, wo fast immer sie sich befinden, die wirksamsten Waffen gegen eine Wiederholung des Holocaust sind – wirksamer als die blutleeren wie rituellen Bekenntnisse deutscher Politiker in der  Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Dort tragen sie die Kippa und wackeln mit dem Kopf, ehe sie weiter in die Palästinensergebiete reisen und dort ihre finanzielle und politische Unterstützung für den Kampf gegen Israel austeilen – wie Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier. Den Höhepunkt bildet die Erklärung von Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas zum Chef der iranischen Revolutionsgarden: Hussein Salamis Aufforderung, den Judenstaat auszulöschen, sei lediglich als “anti-Israelische Rhetorik”, aber nicht antisemitisch zu verstehen.

Komisch nur: Wer wird denn ausgelöscht, wenn Israel zerstört wird? Möglicherweise Juden? Aber da ist sie eben wieder, die Fortsetzung der deutschen Wirtschaftsinteressen. Lieber drückt Berlin, verführt von lockenden Exportaufträgen des Iran, beide Augen vor der Tatsache zu, dass der Iran an der Atombombe zur Vernichtung des Judenstaates bastelt. Ist es da ganz falsch, von offiziellem Antisemitismus zu sprechen? Zudem bei Abstimmungen in der UNO Deutschland immer öfter auf der Seite der Judenhasser zu finden ist? Die Politiker heute geben vor, die Juden zu schätzen und hassen die Israelis, das passt genau so wenig zusammen wie die Schizophrenie ihrer Väter nur diesmal anders herum.

Und ein letzter, ebenso schmerzhafter Befund ist, dass genau diese Regierung es zugelassen hat, dass mit der muslimischen Zuwanderung ein wilder Antisemitismus eingewandert ist. Seither gehören antisemitische Demonstrationen geradezu zum Berliner Alltag, werden israelische Fahnen verbrannt und werden Rufe wie „Juden ins Meer“ skandiert.

Höhepunkt des Leugnens des zugewanderten Antisemitismus ist jener Vorgang in der Berliner Synagoge – gerade eine Woche vor dem Mordanschlag von Halle: Da dringt ein 23jähriger Syrer mit den unter Terroristen üblichen Anrufungen Allahs messerschwingend in die Synagoge ein, wird festgenommen – und umgehend wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Motiv sei nicht erkennbar, so der Polizeisprecher.

Da bleibt man fassungslos, wenn man jetzt die Beileidsbekundungen hört. Es klingt nach schlechtem Gewissen einer Politik, die sich längst eines Antisemitismus befleißigt und jetzt so tut, als habe sie das nicht so gemeint. Leider ist der Täter von Halle kein „Einzeltäter“. Genauso wenig wie andere angebliche „Einzeltäter“, die eben nicht einfach so morgens aufwachen, in einen LKW steigen und erfolglos oder sehr erfolgreich versuchen, Menschen zu töten. Diese „Einzeltäter“ sind eingebunden in ein gedankliches Netzwerk, das im Internet seine physische Manifestation gefunden hat.

Eine neue Position zu Israel und zum Judentum ist notwendig

Nach den Lippenbekenntnissen der Betroffenheit und dem Ausdruck schlechten Gewissens in zur Schau getragener Aggression muss die deutsche Politik sich neu zu Israel und zum Judentum positionieren. Sie muss jeden einzelnen Fall von Antisemitismus bekämpfen, auch den von ihr so geschützten arabischen und muslimischen Antisemitismus, den sie so gerne sogenannten Rechten in die Schuhe schieben will, indem jede entsprechende Straftat mit trickreicher Statistik behandelt und verfälscht wird.

Es kann nicht sein, dass auf deutschen Straßen über Polizeilautsprecher zur Vernichtung des Judentums aufgerufen wird.

Es kann nicht sein, dass wie in Berlin versuchter Terrorismus nicht strafrechtlich verfolgt, und der Betreffende nicht umgehend abgeschoben wird.

Es darf nicht weiter sein, das Antisemitismus parteipolitisch instrumentalisiert wird.

Es darf nicht sein, dass Synagogen nicht polizeilich bewacht werden wie in Halle, wo ein größeres Blutbad nur dank solider Türen verhindert werden konnte.

Es darf nicht sein, dass Antisemitismus aufgerechnet, damit kleingeredet und hin- und her gewendet wird. Er muss bekämpft werden, wo er sich zeigt.

Dafür trägt Deutschland Verantwortung.

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