Tichys Einblick
Warten auf Merkels Wort

Weder Laschet noch Söder: Baerbock ist Merkels Kanzlerkandidat

Merkels Politik, besonders in der zweiten Hälfte ihrer Kanzlerschaft, baute, gewollt oder nicht, die Union ab und die Grünen auf. Vielleicht ist Annalena Baerbock längst ihre Wunschnachfolgerin. Denn was uns unter einer grünen Kanzlerin erwartet, könnte Merkel nostalgisch stimmen.

Angela Merkel und Annalena Baerbock im Januar 2020

picture alliance/dpa

Einst, als man noch wusste, wofür die Union steht, warnte Franz-Josef Strauß, an den sich Markus Söder kaum noch erinnern dürfte, davor, dass Deutschland zum „buntgeschmückten Narrenschiff Utopia“ werden könnte „mit einem Grünen und zwei Roten als Faschingskommandanten“, was den Wohlstand und die Bürgerlichkeit der Republik zerstören würde. Vermutlich ahnte Strauß selbst nicht einmal, wie hellsichtig und prophetisch seine Worte waren. Noch vor einem Jahr hätten das viele auch nicht für möglich gehalten – und wenn Angela Merkel nicht an einem grünen Wahlsieg arbeitete, hätte selbst sie, die angeblich immer vom Ende her denkt, das auch nicht vorausgesehen. Merkels Politik, besonders in der zweiten Hälfte ihrer Kanzlerschaft, baute, gewollt oder nicht, die Union ab und die Grünen auf. 

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In der letzten Umfrage von INSA vom 29. März kam die CDU/CSU nur noch auf 26 %, die SPD auf 18 %, die Grünen auf 21 %, die FDP auf 10,5 %, die Linke auf 7 % und die AfD auf 11 %. Man darf Angela Merkel gratulieren, die Grünen werden aus heutiger Sicht am Regierungstisch sitzen, vielleicht sogar die Regierungschefin stellen. Ihre großen Chancen liegen darin, dass ein Großteil der Medien sich seit geraumer Zeit und immer stärker als Pressesprecher der Grünen verstehen. Bei manchem Medienschaffenden dürfte ein Ehrgeiz ausgebrochen sein, die Grünen zum Wahlsieg zu framen und zu schreiben. Obwohl die Grünen einen nicht geringen Anteil an der katastrophalen Corona-Politik der Regierung haben, treten sie geschmeidig zurück und überlassen der CDU den ganzen „Ruhm“, was die SPD auch versucht, obwohl ihr das insofern nicht gelingt, weil sie mit am Regierungstisch sitzt und die Bundeskanzlerin den Eindruck erweckt, als hieße ihr Gesundheitsminister nicht Jens Spahn, sondern Karl Lauterbach. 

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Da Angela Merkel beim Tore-Erzielen sich inzwischen auf Eigentore spezialisiert hat, und die CDU die Klärung der Kanzlerkandidatenfrage weiter hinauszögert, so dass es fast aussieht, als mieden alle dieses Amt, führt die CDU gerade Wahlkampf vor allem gegen sich selbst. Was könnte auch ein Kanzlerkandidat Armin Laschet oder Markus Söder schon erreichen, außer derjenige zu sein, der nach glänzenden Merkel-Siegen die Schmach der Wahlniederlage einfahren würde? Zumal die Kanzlerin ihre Nachfolge schon geregelt zu haben scheint. Ganz im Sinne ihres Strebens nach planetarischer Gerechtigkeit mag die absolute Kanzlerin meinen, dass nun auch mal wieder die anderen dran seien, die nette Frau Baerbock zum Beispiel. 

Für die Union existiert nur noch ein einziger Weg, wenn überhaupt, die Wahl im Herbst zu gewinnen: Sie müsste erstens sich schnell auf einen Kanzlerkandidaten einigen, der zweitens ein deutlich bürgerliches Profil zeigt – und der sich drittens klar von den Grünen und „ihrer Frau Merkel“ abgrenzt. Um es unmissverständlich zu sagen: von den Grünen und von der Kanzlerin. 

Für die Union sind die Grünen der Hauptgegner im Wahlkampf, eine Union, die das nicht begreift, braucht eigentlich erst gar nicht zur Wahl anzutreten, denn sie würde auf Platz und nicht auf Sieg spielen. Platz könnte zweierlei bedeuten, entweder die Fußbank in der Regierung als Juniorpartner der Grünen, oder zweitens die Oppositionsbank. Die Regierung würden dann, wie Franz-Josef Strauß prophezeit hatte, die Grünen, Roten und – was er nicht ahnen konnte – die Dunkelroten, oder die Grünen, Roten und Gelben bilden. 

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Der Kanzlerkandidat der Union müsste sich gegen die Bionade-Bourgeoisie der Grünen stellen, er müsste die soziale und die wirtschaftliche Frage in den Mittelpunkt rücken, er müsste für die Arbeitnehmer, vor allem für die Arbeiter und Gewerbetreibenden, für die Bauern und die Unternehmer, für die Handwerker und für die Familien und nicht für die diversen Staats-NGOs und ihre alimentierten Aktivisten, nicht für die EEG-Millionäre, nicht für Politikwissenschaftsstudenten und Professorinnen der Gender Studies, nicht für Funktionäre der GEW, nicht für Identitätspolitiker und Klimaapokalyptiker, sondern für die, die in diesem Land Werte schaffen, die den Laden am Laufen halten und die in der Wirklichkeit und nicht in Traumwelten leben, eintreten. 

Natürlich bräuchte dieser Kanzlerkandidat, der mindestens ein Kämpfer wie Gerhard Schröder sein müsste, nicht nur eine realistische Agenda, sondern er benötigte auch eine innovative Medienstrategie, denn er wird seinen Wahlkampf gegen die Hybris deutscher Medien durchzusetzen haben. 

Die Hoffnung, dass dies geschieht, ist indes gering, denn hört man Markus Söder oder Armin Laschet, den beiden Kanzlerkandidatenkandidaten, zu, dann fragt man sich besorgt, ob beiden Politikern noch bewusst ist, dass zwischen ihre austauschbaren Phrasen eigentlich kein Gedanke, keine Idee mehr passt. 

Soviel ist sicher: Angela Merkel hat ihren Platz im Geschichtsbuch gesichert, genauso sicher ist aber auch, dass sie um diesen Platz niemand beneiden wird. Am grünen Wahlprogramm dürfte sie keinerlei Kritik haben, hat sie doch der grünen Republik den Weg geebnet.

Diese grüne Republik wird laut Wahlprogramm folgende Gestalt annehmen: Sie wird politisch eine jakobinistische Gemeinwohldemokratie und ökonomisch eine grüne Kommandowirtschaft werden. Das geht zweifelsfrei aus dem grünen Wahlprogramm hervor. Grundmaxime dieses neuen, alt vertrauten Staatswesens wird die Abschaffung des Bürgers sein, denn der Bürger wird auf den stets erziehungsbedürftigen Menschen reduziert, von dem ein ständiges „Mea culpa, mea maxima culpa“, das Ritual der Selbstkritik erwartet wird, denn schuldig ist der deutsche Mensch, weil er Deutscher oder weil er weiß, oder weil er Mann, oder weil er heterosexuell ist, weil er beim Atmen CO2 ausstößt, weil er Auto fährt oder kein Vegetarier ist. Um den Menschen zu erziehen, wird die Schaffung von steuerfinanzierten, allmächtigen NGOs forciert, die alles und jeden kontrollieren werden. Um die Parzellierung der Gesellschaft fortzusetzen, wird man ein eigenes Ministerium für Migration und für Deutsche mit Migrationshintergrund bilden, Antidiskriminierungskommissare werden die „positive“ Diskriminierung vorantreiben.

Hört die Signale
Von der Union bis zur Linkspartei – alle träumen vom Umbau der Gesellschaft
Um die Wirtschaft pädagogisch auszurichten, will man analog zum Jahreswirtschaftsbericht den Jahreswohlstandsbericht schaffen, der den Jahreswirtschaftsbericht marginalisieren soll. Wohlstand ist, was grüne Ideologen unter Wohlstand verstehen. Der Lebensstil der neuen Spießer, der Bionade-Bourgeoisie wird in vereinfachter Form als verpflichtend für alle im neuen grünen Disneyland erklärt. Märkte werden reguliert, Wirtschaft ideologisch ausgerichtet. Der Ausstieg aus der Atomenergie soll 2022 vollzogen sein und Deutschlands steigender Energiebedarf vollständig durch erneuerbare Energie gedeckt werden. Zur Steigerung des Bedarfs an Elektroenergie wird der Umstieg auf die E-Mobilität und auf Wärmepumpen statt Öl- oder Gasheizungen enorm beitragen. Fleisch wird Luxus und Urlaubsreisen auch. Die Migration in die deutschen Sozialsysteme wird nicht gebremst, sondern beschleunigt und erhöht.  

Wenn die Grünen abgewirtschaftet haben, werden wir uns glücklich preisen dürfen, wirtschaftlich noch ein Land mit der Wirtschaftskraft der DDR im Jahr 1988 vorzufinden.

Vielleicht empfindet Angela Merkel aber auch nur Ostalgie. Für die CDU heißt das jedoch, wenn sie die Regierungsbank räumt, droht ihr das Schicksal der Democrazia Cristiana. Vielleicht empfände sie das inzwischen auch als Erlösung.