Tichys Einblick
Partei ohne Bodenhaftung

Viel bleibt der SPD nicht mehr: Kein Stolz, keine Wähler und die Bürger vergrault

Ein Blick von Innen auf den Zustand der SPD: Eingesponnen in den Kokon der Pfründe wird an den Wählern vorbei Politik gemacht. Die Funktionäre torkeln der eigenen Altersvorsorge entgegen.

Lukas Schulze/Getty Images

Die Einstimmung auf die GroKo, Teil Zwei, in der Provinz, war bereits eine Farce. In einer traditionellen Gaststätte mit sehr nettem Personal, in einem sehr stickigen Raum, traten die neue SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier und der Bundestagsabgeordnete sowie Staatssekretär für Justiz und Verbraucherschutz Christian Lange auf. Lange, ein emsiger aber etwas farbloser „Genosse“, von dessen Privatleben kaum jemand etwas weiß, außer, dass er seit Juli 2013 Träger des „Ordens des Infanten Dom Henrique der Portugiesischen Republik“ sowie im Bundesvorstand des Vereins Atlantik-Brücke ist, und auch sonst etliche Mitgliedschaften bei sozialen Trägern inne hat. Seit 1998 ist Christian Lange im Bundestag und ist für einen Mitfünfziger fast schon ein Methusalem.

Es geht immer noch schlimmer
Nach der nächsten Runde ist Nahles rücktrittsreif oder Seehofer
Innerhalb der SPD gehört Lange den Netzwerkern an. In einem kleineren Ortsverein, gerade einmal elf Genossen und Genossinen fanden sich ein, redete Lange einige Tage zuvor frei von der Leber weg. Darüber, wie es um die SPD steht, und dass die „AfD einfach unsäglich sei“. Plötzlich säße er, Christian, neben solchen Neonazis. Und er schüttelte sich bildlich. Während Lange locker parlierend dasaß, und nebenbei seinen schwäbischen Wurstsalat genoss, wurde man aber den Verdacht nicht los, dass er mit diesem Bild der AfD auch kokettierte. Seht her, „ich armer Minister des Bundes“ muss mich mit diesen Monstern abgeben. Aber dann, und ein paar Genossen wurden kreidebleich, sprach der MdB: „Natürlich müsse Andrea (Nahles) die Wahl intern zur Vorsitzenden gewinnen …“, Entschuldigung, setzte er weiter an, „Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht lächerlich machen mit diesen Bewerbern…“, und sprach im weiteren Simone Lange und deren Vita politische Erfahrungen ab – immerhin ausgebildete Kriminalbeamtin und lange in diesem Beruf tätig, zudem jetzige Oberbürgermeisterin von Flensburg. An diesem Abend ahnten viele, die SPD bewegt sich in anderen Sphären, nur nicht mehr in der Zustimmung der Wähler.

Wieder einige Tage später, zurück zur GroKo-Einstimmung im traditionellen Lokal, dem „Reichsadler“ von Mögglingen (in der Ostalb). Hier versuchten nun Leni Breymaier und Lange das Steuer in beinahe hysterisch schreiender und an Andrea Nahles erinnernde Einlagen, herumzureißen. Eigentlich gehören beide unterschiedlichen Strömungen an, („Mit uns wird es nie eine Groko geben“, so Breymaier noch Wochen zuvor nach der vergeigten Wahl, der Gang in die Opposition sei nun ein „Muss“). Breymaier, gelernte Einzelhandelskauffrau, aber längst schon als Gewerkschaftssekretärin in den Mühlen des DGB und der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft gefangen. Nun konnte man erleben, dass auch Breymaier ihren Kurs „pro Groko“ änderte, und Lange vielsagend dazu lächelte. Es wurden wieder die Floskeln bemüht, man sei in der Partei, um die Politik und die Welt zu verändern – aber doch nicht die Partei, dies müsse nebenbei passieren. Nur am Rande sei bemerkt, dass sehr gute Wortbeiträge auch von älteren, erfahreneren Genossen fast schon ins Lächerliche gezogen wurden.

Aus Chemnitz kann man lernen - ABER NICHT SO!
Wie sich die Sozialdemokratie selbst demontiert
Schon hier merkte unsereiner: Es geht nicht mehr ums Mitregieren, auch wenn die SPD vorgibt, der Koalitionsvertrag trage wiederum „echte sozialdemokratische Inhalte“. Es ging vielmehr um das Absichern eigener Pfründe. Die berühmt-berüchtigte „Schwertgosch“ der Leni, an sich eine Auszeichnung für wortgewandte Schwaben, wandte diese quasi gegen die eigenen Genossen an, und kippte um. Von Kontra also zur Pro-GroKo-Verfechterin. Wenn schon Leni „umfällt“, so einige Genossen, dann wisse man, wie es um die SPD und den inneren Zirkel bestellt sei.

Schon lange artikulierten Genossen wie Genossinnen, oft aus dem gutbürgerlichen und pädagogischen Milieu, die SPD sei nur noch eine Partei der „Entrepreneure“ und gehobenen Mittelschicht sowie Freiberufler und Intellektuellen. „Die Kassiererin von Aldi?“, fragte ein Urgenosse rhetorisch, ohne rot zu werden: „Die ist doch nicht unser Klientel“, in vollster Überzeugung.

Wir hatten das „Vergnügen“ einen Abend der „Kamingespräche“ zu moderieren, und mussten zumindest da deutlich widersprechen.

SPD ade
Das Ende des Anstands bei der SPD
Dass immer mehr Politologen, darunter auch tiefe SPD-Kenner wie Professor Franz Walter, die Ursachen der sozialdemokratischen Krise offen legten, die Bürger würden nicht mehr folgen, da „die Regierungspolitik jedoch in vielen Augen im schroffen Kontrast dazu stand, verlor die SPD innerhalb weniger Jahre in ungewöhnlich drastischer Weise an innerer Substanz, an Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Anhängern und Wählern.“ Und was macht die SPD mit solchen Analysen? Weiter wie bisher.

Sie hat erfahrene Politiker wie Martin Schulz verschlissen (am Ende er sich selbst), junge Talente wie Kevin Kühnert fast „mundtot“ gemacht, bzw. „gekauft“, und der leicht ins infantil abdriftende Bundesvorstand unter Andrea Nahles zieht und zögert einen Neuanfang weiter hinaus.

Dunkle Stunde des Parlaments
Im Bundestag entgleist der voll besetzte Schulz-Zug
Wie schon bei der „Werbeveranstaltung“ in der schwäbischen Provinz, bei der man Gegenargumente wegwischte wie Krümel vom Tisch und ausschließlich pro GroKo gebürstet war, fragten einige Genossen klipp und klar: Wie sollen uns die Leute einen Neuanfang abnehmen, wenn „Neuer Wein durch alte Schläuche“ fließt? Die Mandatsträger stellten ihre Ohren auf Durchzug. Am Ende stand die GroKo doch wieder – und die Regierung ist in der größten anzunehmenden Krise. Anstatt dass die SPD, wir erwähnten es schon mehrmals, glaubhaft und sozial als Kontrolleur der Kanzlerin aufträte, gibt sie sich seit 2015 äußerst devot.

Das merken Sympathisanten, Genossen und Wähler. Auch der größte „Sorgenbürger“, das sagten Genossen intern immer wieder, ist nicht gegen Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, sondern gegen eine unkontrollierte Zuwanderung unter dem Deckmantel „Asyl“. Aber auch da duckten sich die Sozialdemokraten weiter und weiter weg.

Schmähen ist nicht nachhaltig
Der SPD-Mann mit dem schon lange verlorenenen Anstand
In der Causa Hans-Georg Maaßen zeigt sich derweil das ganze undemokratische Spiel, das aber eigentlich gleich nach Chemnitz begann, als führende SPD-Abgeordnete von 3.000 Rechtsradikalen gleichsam auf alle Bürger schlossen, die sich nicht „irgendwie erkennbar“ distanzieren. Diese große Diskrepanz – das Beharren auf „Einzelfällen“ bei kriminellen und abgelehnten Asylbewerbern, bei dem man nie von einem auf alle anderen schließen dürfe einerseits und die Generalverurteilung eines ganzen Bundeslands andererseits, hinterlässt immer mehr Bürger völlig fassungslos. Ist das bereits eine Gesinnungsdiktatur, obwohl querbeet eindeutig Kontext im „Kampf gegen Rechts“ besteht? Man kann nicht immer die Nazi-Platte auf Wiederholung setzen und eine stetig zunehmende Bedrohung durch Islamismus und Terror gegen Einzelne verharmlosen. Das nimmt der gebildete Wähler nicht als Transparenz wahr. Und nun zum Dilemma der SPD:

Es ist einfach, sich Verfassungspräsidenten Maaßen als „Hassobjekt“ und Trophäe vorzunehmen, um wenigstens ein bisschen davon abzulenken, dass die Sozialdemokraten seit 2005 an allen Problemen der Gesellschaft, an der Schere zwischen Arm und Reich, an der Kinder- wie Altersarmut beteiligt sind. Man bekommt den „Turn-Over“ mit diesen Politikern des alten Systems um Andrea Nahles einfach nicht hin. Der deutsche Bürger, und der Agenda-2010-Betroffene, sind zu kritisch, wenn nie „geliefert“ wird.

Dass sich dann aber auch noch über Probleme der Migration seit 2015 ausgeschwiegen wird, verzeiht dieser SPD momentan keiner; im Gegenteil, mit den Bürgern legt sie sich immer offensiver an.

Seine Überheblichkeit
Sigmar Gabriel: Die Zäune im Kopf des Nichtregierungspolitikers (NRP)
Da wird ein skurriles Video von Kanzlerin als Grundlage einer sich anbahnenden Krise als Beweis herangezogen, wobei allein der Name und die ominöse Quelle mehr als genug Anlass zu längerer Analyse geliefert hätten. Einer wahren Demokratie und eines Staates mit einer parlamentarischen Demokratie einfach unwürdig. Und ein Experte darf nicht seine Zweifel daran äußern? Die Regierung muss keine Beweise vorlegen, wenn sie solch ein Video als Bewertungsgrundlage heranzieht, worüber sich zahlreiche Bürger wundern, im Ausland geschmunzelt wird? Und die SPD? Sie jagt, Maaßen, ohne Sinn und Verstand.

Wo sind in der SPD momentan die Charaktere und Charismatiker, wo die Politiker, die etwas Dampf rausnehmen, (Ministerin Franziska Giffey kritisierte wenigstens Schulz‘ Rede) und versuchen authentisch und ehrlich die Lage zu analysieren.

Wir stimmten zuletzt absolut gegen Sigmar Gabriel, aber mit etwas Abstand von der Tagespolitik glaubt man beinahe, dass sogar der Kurzzeit-Außenminister die Lage besser im Blick hat. So sagte Gabriel gegenüber der WELT, „Die Bevölkerung, sagt Gabriel, ticke in ihrem Alltag ganz anders, pflege diesen Rigorismus nicht.“

Wie weit sind wir in Deutschland und in der SPD bereits, wenn ein Generalsekretär wie Lars Klingbeil im ZDF-Sommerinterview treuherzig in die Kamera sagt: „Maaßen muss weg, weil er der Kanzlerin widersprochen hat.“? Den Zuschauer schüttelt es heftig.

Es lässt dieser Tage wirklich nichts Gutes erahnen, weder für Maaßen, noch für diese Regierung, und schon gar nicht für die SPD, einer Patientin in Agonie.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.