Tichys Einblick
Das Steuerprogramm der FDP

FDP: eine Partei, die nicht rechnen kann

Das Steuerprogramm der FDP ist eine Mogelpackung. Die Obergrenze soll nur für direkte Steuern gelten (dazu zählen insbesondere Einkommen- und Vermögensteuer), nicht für die zahlreichen indirekten Steuern (zum Beispiel Umsatz-, Strom- und Energiesteuer). ((Mit neuem Anhang.))

© Steffi Loos/Getty Images

Mit dem Titel „Politik, die rechnen kann“ überschreibt die FDP ihre steuerpolitischen Vorstellungen im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 (S. 63-65, 75), das sie auf dem Bundesparteitag in Berlin vom 28. bis 30. April 2017 beschlossen hat. Anders als bei früheren Programmen steht die Steuerpolitik allerdings nicht mehr im Vordergrund, sondern ist nur noch ein zweitrangiges Politikfeld. Das ist vielleicht auch ganz gut so, denn dadurch fällt nicht so leicht auf, daß die FDP eines jedenfalls nicht kann, nämlich rechnen.

Dabei ist zunächst positiv herauszustellen, dass das Programm einige Forderungen enthält, die jeder begrüßen kann, der die zunehmende Umverteilung vom Bürger zum Staat beenden will. Zu Recht beklagt die FDP nämlich, dass von 2005 bis 2015 die Steuereinnahmen des Staates um fast 50 %, die Löhne hingegen durchschnittlich nur um ca. 23 % gestiegen sind. Und man kann hinzufügen, auch die Hartz-IV-Sätze, die Inflation und das Bruttoinlandsprodukt sind sehr viel weniger als die Steuereinnahmen gestiegen.

Begrüßenswerte Steuerentlastungsforderungen …

Die FDP lehnt demzufolge die Einführung neuer Steuern wie der Vermögensteuer oder Finanztransaktionssteuer ab, wendet sich gegen die (un)heimlichen Steuererhöhungen aufgrund der kalten Progression, sie will den Solidaritätszuschlag abschaffen und den sogenannten Mittelstandsbauch bei der Einkommensteuer beseitigen und den Einkommensteuertarif so verschieben, dass Durchschnittsverdiener nicht mehr fast den höchsten Steuersatz zahlen müssen, sie will zudem den einkommensteuerlichen Pauschbetrag für Arbeitnehmer und die Kinderfreibeträge erhöhen sowie einen Freibetrag von 500.000 € bei der Grunderwerbsteuer einführen und die Stromsteuer auf die EU-Mindestsätze senken.

… rechnerisch nicht in Einklang zu bringen mit 7,5 Milliarden Entlastungsvolumen pro Jahr

Als Zielgröße strebt die FDP ein Entlastungsvolumen von 30 Milliarden an. Diese Größenordnung erscheint der FDP als angemessen „gerade vor dem Hintergrund des von der Steuerschätzung vorhergesagten zusätzlichen Steueraufkommens von mehr als 110 Milliarden Euro bis zum Ende der Wahlperiode 2021“. Es ist nicht ganz klar, ob die FDP das Volumen von 30 Milliarden als jährliche Entlastung oder als Gesamtentlastung für die gesamte Wahlperiode bis 2021 versteht. Der Sachzusammenhang legt nahe, dass es sich um das Volumen für die gesamte vierjährige Wahlperiode handelt. Denn die FDP macht den ausdrücklichen Vorbehalt, dass Entlastungen von dem tatsächlichen Eintreffen dieser prognostizierten Steuermehreinnahmen abhängig sein sollen.

Geht man also von einem Gesamtvolumen von 30 Milliarden für die Wahlperiode aus, sind das pro Jahr gerade einmal 7,5 Milliarden Euro Entlastung. Dieses Volumen lässt sich jedoch rechnerisch nicht mit den zahlreichen Steuerentlastungsforderungen der FDP in Einklang bringen. Denn allein der Solidaritätszuschlag hat ein Volumen von fast 17 Milliarden Euro jährlich. Dessen Abschaffung strebt die FDP mit dem Auslaufen des Solidarpakts 2019 an. Dadurch würden die Bürger allein 2020 und 2021 mit über 30 Milliarden Euro entlastet, und das von der FDP anvisierte Entlastungsvolumen von 30 Milliarden wäre bereits übertroffen. Auch die Beseitigung der kalten Progression überstiege schon für sich genommen das Entlastungsvolumen deutlich, da diese nach einer Studie des IFO-Instituts, auf die sich die FDP im Wahlprogramm bezieht, zu Mehrbelastungen von 42,1 Milliarden Euro im Zeitraum 2018-2021 führt. Und damit nicht genug: die FDP will ja noch zahlreiche weitere Entlastungen bei Einkommen-, Strom- und Grunderwerbsteuer.
FDP – etatistisch wie die anderen Parteien

Ohnehin entspricht das von der FDP angestrebte jährliche Entlastungsvolumen von 7,5 Milliarden Euro nur etwa 1 % des jährlichen Gesamtsteuervolumens. Das ist nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, vor allem wenn man bedenkt, dass der Staat in 2015 ca. 221 Milliarden Euro bzw. um die Preissteigerung bereinigt 151 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen zur Verfügung hatte als 2005. Auch die FDP erklärt nicht, warum der Staat Mehreinnahmen von 151 Milliarden Euro benötigt, obwohl damit zwischen 2005 und 2015 weder die sogenannte soziale Gerechtigkeit, die Infrastruktur, das Bildungswesen oder die innere Sicherheit verbessert worden sind. Auch die FDP traut sich nicht an die Reduzierung der Staatsausgaben heran, ja sie will sogar mit einem neuen Ministerium für Digitales den Staatsapparat weiter ausbauen. Insofern ist zu konstatieren, dass sich die FDP nicht von den im Bundestag vertretenen etatistischen Parteien unterscheidet.

Die FDP-Obergrenze für Steuern und Sozialabgaben: ein Freudenfest für Steuererhöhungspropagandisten

Nicht nur um Steuerentlastungen geht es der FDP, sie will auch eine Obergrenze für direkte Steuern und Sozialabgaben im Grundgesetz festschreiben. Bei 50 % soll diese Obergrenze liegen. Was sich auf den ersten Blick als bürgerfreundlich darstellt, erweist bei genauerer Betrachtung als Mogelpackung. Denn die Obergrenze soll nur für die direkten Steuern gelten (dazu zählen insbesondere Einkommen- und Vermögensteuer), nicht für die zahlreichen indirekten Steuern (zum Beispiel Umsatz-, Strom- und Energiesteuer). Damit lässt es die FDP zu, dass der Staat die Belastung der Bürger durch Erhöhung und/oder Neueinführung indirekter Steuern unbegrenzt steigern könnte. Hinzu kommt, dass die 50%-Grenze nicht einmal Schutz vor Erhöhung der direkten Steuern und Sozialabgaben bietet. So beträgt zum Beispiel die Steuer- und Abgabenbelastung eines Arbeitnehmers mit 5.000 Euro Bruttoverdienst derzeit 41,66 % – genug Spielraum also für etwaige Steuer- und Abgabenerhöhungen trotz FDP-Obergrenze. Die Steuererhöhungspropagandisten aller (Bundestags)parteien dürften ihre helle Freude an solchen FDP-Vorstellungen haben.

Echte Steuer-und Abgabenbremse muß sämtliche Steuern und Abgaben erfassen

Eine echte Steuer- und Abgabenbremse muss daher sämtliche Steuern und Sozialabgaben erfassen. Nur auf diese Weise kann ein unbegrenzter Zugriff des Staates auf die Einkommen und Vermögen der Bürger verhindert werden. Insofern sollte sich eine Steuer- und Abgabenbremse am Bruttoinlandsprodukt (oder einer vergleichbaren Bezugsgröße) orientieren. Nach Angabe des Bundesfinanzministeriums betrug 2016 die Steuer- und Abgabenquote 40 % des Bruttoinlandsprodukts (und lag damit um 0,6 % höher als 2015). Eine Festschreibung auf dem heutigen Niveau von 40 % oder darunter würde Steuer- und Abgabenerhöhungen in beliebiger Höhe künftig ausschließen. Dennoch könnten die Einnahmen aus Steuern und Abgaben entsprechend dem Wirtschaftswachstum weiter steigen, und der Politik bliebe ein hinreichender Spielraum auch für etwaige Umverteilungen. Selbst die Vermögensteuer könnte reaktiviert werden, würden zugleich andere Steuern/Abgaben wie beispielsweise die Umsatz- oder Stromsteuer ermäßigt. Eine Steuer- und Abgabenbremse im Grundgesetz könnte daher partei- und lagerübergreifend Zustimmung finden.

FDP: Partei, die nicht rechnen kann

Das steuerpolitische Programm der FDP ist in sich nicht schlüssig. Es passt rechnerisch vorne und hinten nicht. Dazu eine grundgesetzliche Steuer- und Abgabenbremse, die nicht einmal vor Erhöhungen der direkten Steuern und Abgaben schützt und die indirekten Steuern gleich ganz außen vor lässt und damit überflüssig ist. Der steuerpolitische Sachverstand scheint der FDP abhanden gekommen zu sein. Fazit: FDP – eine Partei, die nicht rechnen kann.

Anhang:

Als Reaktion auf meinen Artikel, teilte der FDP-Politiker Karl-Heinz Paqué mit, dass das Entlastungsvolumen von mindestens 30 Milliarden Euro als jährliche Zielgröße gemeint sei. Dies ergebe sich sich allein schon aus der geforderten Abschaffung des Solidarzuschlags, der pro Jahr 16 Milliarden Euro ausmache.

Dazu ist auf den Wortlaut des FDP-Textes hinzuweisen:

„Dabei halten wir ein Entlastungsvolumen von mindestens 30 Milliarden Euro für eine angemessene Zielgröße – gerade vor dem Hintergrund des von der Steuerschätzung vorhergesagten zusätzlichen Steueraufkommens von mehr als 110 Milliarden Euro bis zum Ende der Wahlperiode 2021. Wir wollen dabei eine seriöse Steuer- und Haushaltspolitik verantworten. Deshalb knüpfen wir die Umsetzung unserer steuerlichen Forderungen an das tatsächliche Eintreffen der durch die Steuerschätzung prognostizierten Steuermehreinnahmen.“

Ein jährliches Entlastungsvolumen von mindestens 30 Milliarden Euro ergibt ein Gesamtentlastungsvolumen von mindestens 120 Milliarden Euro für die Wahlperiode. Das wäre mehr als die prognostizierten 110 Milliarden Euro Mehreinnahmen, an deren tatsächlichem Eintreffen die FDP aber unter Hinweis auf eine seriöse Steuer- und Wirtschaftspolitik die Entlastung knüpfen will. Es bleibt dabei, das das Programm der FDP in sich unklar ist.

Hinzu kommt die Schwierigkeit, diese Entlastung von 30 Milliarden Euro jährlich in die Tat umzusetzen. Wenn nämlich die FDP den Solidaritätszuschlag erst ab 2020 abschaffen will, der ein Volumen von ca. 16/17 Milliarden hat, nicht aber für 2018 und 2019, dann müsste für 2018 und 2019 die Entlastung insbesondere bei der Einkommensteuer geschehen. Fällt dann ab 2020 der Solidaritätszuschlag weg, müsste die Einkommensteuer wieder erhöht werden, um das Volumen von 30 Milliarden nicht allzu sehr zu überschreiten. Oder das Entlastungsvolumen müsste sich ab 2020 durch den Wegfall des Solidaritätszuschlags drastisch erhöhen. Auch insofern scheint das Programm der FDP nicht bis zu Ende durchdacht zu sein.

Dennoch ist die Klarstellung des FDP-Politikers Paqué erfreulich. Damit ist das Entlastungsvolumen deutlicher höher als zunächst angenommen. Allerdings sind auch das gerade einmal etwa ca. 4 % des Gesamtsteueraufkommens. Etwas polemisch könnte man formulieren, dass〈 die FDP nicht mehr nur zu 99 %, sondern nur noch zu 96 % etatistisch ist.