Tichys Einblick
Zur Verlängerung von Steinmeiers Amtszeit:

Präsident der politischen Klasse?

Steinmeier gelang es nicht, sich aus der Parteipolitik zu verabschieden und eine überparteiliche Position einzunehmen. Er wurde zum Präsidenten der Linken, Rotgrünen und Merkelianer in der CDU. Die Wahl heute ist unspannend, das Ergebnis steht fest. Es ist auch nicht fraglich, was aus der Wahl resultiert, nämlich ein weiter so.

IMAGO / Sven Simon

Im Artikel 55 des Grundgesetzes heißt es: (1) Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören. (2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.

Er sollte auch nicht ideell einer parteipolitischen Vereinigung angehören, denn der Bundespräsident sollte nach dem Geist des Grundgesetzes über den Parteien stehen, er sollte die große Integrationsfigur sein, er sollte das Volk einen, wenn die politischen Auseinandersetzungen eine Schärfe erreichten, dass sie den demokratischen Umgang gefährden. Er sollte Maß und Mitte verkörpern und für Ausgleich sorgen. Es gab Bundespräsidenten wie Theodor Heuss, Gustav Heinemann, Richard Weizsäcker, Roman Herzog oder Horst Köhler, die dieser Aufgabe gerecht geworden sind, Frank-Walter Steinmeier zählt nach seiner ersten Amtszeit nicht dazu. Er war und ist der Präsident des rot-grünen Mainstreams, er ist der Präsident der politischen Klasse.

Keine Bundespräsidentenwahl
Steinmeier oder die peinliche Veranstaltung einer verängstigten Demokratie
Demzufolge hat die politische Klasse dafür gesorgt, dass Frank-Walter Steinmeier eine zweite Amtszeit erhält. Die Bundesversammlung besteht aus allen Bundestagsabgeordneten und der gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden. Das hört sich demokratisch an, doch in der Konsequenz bedeutet das, dass letztlich die Parteien über Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten entscheiden. Das muss nicht unbedingt von Nachteil sein, wenn der Bundespräsident sich von seiner zumeist parteipolitischen Herkunft freimacht und überparteilich das Amt wahrnimmt.

Auch wenn die Linke, die AfD und die freien Wähler tapfer eigene Kandidaten aufgestellt haben, haben diese Kandidaten gegen den Block aus SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU, die als angeblich größte Oppositionspartei keinen eigenen Kandidaten benannt hat, keine Chance. Nicht die Größe der Fraktion von CDU und CSU ist angeblich, fraglich ist hingegen, ob sie wirklich Opposition zur Regierung oder lieber Opposition zur AfD sein möchte. Diese Antwort ist die CDU/CSU bisher schuldig geblieben. Der Verzicht, mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen zu gehen und sich stattdessen demutsvoll hinter SPD und Grüne anzustellen, lässt hier große Zweifel aufkommen.

Im Grunde hat die classe politique, die längst Züge einer neuen Aristokratie trägt, ihren Bundespräsidenten bestimmt. Die Meinung der Bürger interessiert sie nicht, die Bürger werden immer mehr zu klima- oder coronaabhängigen „Bauern“, zu Staatseigenen.

Aber auch die Bürger interessieren sich immer weniger für den Bundespräsidenten. Es ist sicherlich auch eine Resultat der ersten Amtszeit von Steinmeier, dass nur noch 53 % der Bürger das Amt des Bundespräsidenten für nötig halten, 37 % könnten darauf verzichten, 10 % sind sich nicht ganz sicher. Ungeachtet dessen, dass sich die Mainstream-Medien viel Mühe geben, in ihrem Aktivismus, in ihrer Propaganda Frank-Walter Steinmeier als „Brückenbauer“´, als einen, der das Land eint, darzustellen, meinen nur 19 % der Bürger, dass es dem Bundespräsidenten Steinmeier gelungen wäre, das gespaltene Land wieder zusammenzuführen, eine große Mehrheit, 65 Prozent, sind nicht der Meinung, dass der Bundespräsident in Zeiten der Corona-Polarisierung die gespaltene Gesellschaft geeint hätte. Dass der damalige Außenminister, der schon in diesem Amt nicht überzeugte, 2017 Bundespräsident wurde, hatte er einem Coup des damaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zu verdanken.

Steinmeier gelang es nicht, sich aus der Parteipolitik zu verabschieden und eine überparteiliche Position einzunehmen, wie der eher aus dem Amt gedrängte Horst Köhler seinerzeit. Steinmeier wurde zum Präsidenten der Linken, der Rotgrünen und der Merkelianer in der CDU, wenn man so will, der Rotgrünen mit dem anderen Parteiabzeichen.

Politisch gewolltes Staatsversagen
Steinmeier: Bundespräsident setzt in Chemnitz auf Konfrontation
Als die Bundesregierung aufgrund eines von der Antifa und eines Zeit-Journalisten hochgespielten und falsch interpretierten Schnipsels eines Handymitschnitts anlässlich einer Demonstration gegen die Migrationspolitik der Regierung in Chemnitz von „Menschenjagden“ sprach, die allerdings, wie TE nachweisen konnte, nur in der Regierungspropaganda stattgefunden hatten, bewarb Steinmeier ein Konzert mit teils linksextremen Musikgruppen, in deren Liedern es hieß: „Ich ramm die Messerklinge in die Journalisten-Fresse“. Unvergessen ist auch Steinmeiers Termin bei dem Fußballspieler Mesut Özil – oder war es umgekehrt? -, der öffentlich bekundet hatte, dass sein Präsident Erdogan hieße. Manche spotteten damals über Steinmeier als „Zweitpräsidenten“.

Keine seiner Reden sprach die wirklichen Probleme des Landes an, im Gegenteil, sie entfernten semantisch aus der Freiheit die Freiheit, aus der Demokratie die Demokratie, wenn es um Demokratie und Freiheit ging. Freiheit wird zunehmend so interpretiert, dass jeder frei und offen das äußern darf, was der rotgrüne Komplex denkt. Andersdenkende werden zunehmend als „Rechte“, als „Schwurbler“, als „Verschwörungstheoretiker“ stigmatisiert. Hätte der Bundespräsident nicht einmal auf die täglich länger werdende Liste von Schimpfworten und Beschimpfungen gegen Konservative, wirklich Liberalen, Kritiker der Regierung, Kritiker der Pandemie-, der Klimapolitik schauen müssen und als guter, als überparteilicher Bundespräsident nicht wenigstens einmal mahnen müssen: oh, Freunde nicht diese Töne?

Demokratie scheint immer mehr nur für diejenigen zu gelten, die eben die Meinung der Regierung teilen, die anderen werden von den Medien als Demokratiefeinde herabgesetzt. So wundert es nicht, dass die Fraktionschefinnen der Grünen in Berlin, Silke Gebel und Antje Kapek, Drostens Entsendung in die Bundesversammlung mit den Worten begründen: „Mit der Entsendung Drostens wollen wir ein Zeichen setzen gegen die verleumderischen Angriffe auf Wissenschaftler*innen.“ Dafür ist dann ja Drosten der richtige Mann.

Schöne Aussichten
Steinmeiers Lehrstücke: Ein Präsident als Spalter
Die ansonsten nicht weiter bemerkenswerte Schauspielerin Fritzi Haberlandt, die von den Brandenburger Grünen in die Bundesversammlung geschickt wird, ist aus folgendem Grund Mitglied der Grünen geworden: „Ich wollte nicht nur hilflos zugucken, wie so viele Menschen um mich herum anti-demokratischen Strömungen folgen.“ Weiß die Schauspielerin, in welche Traditionslinie sie sich damit stellt? „Antidemokratisch“ lautete der Vorwurf, mit dem die SED von 1946 an die demokratische Opposition angriff, die bürgerlichen Parteien gleichschaltete und die Widerständigen verfolgte, vertrieb, einsperrte oder ermordete. Herbert Belter, Student in Leipzig, wurde 1951 in Moskau im Keller der Lubjanka erschossen, weil man ihm „antidemokratische Betätigung“ vorgeworfen hatte. Die Liste der Opfer ist lang.

Es existiert so etwas wie die Metaphysik des Amtes. Man kann ein Amt ausfüllen oder lediglich die Amtsgewalt besitzen. Wird das Amt jedoch zur Hülle, in seinem Wesen verkannt oder ignoriert, so wird es delegitimiert.

Die Kämpfe in der Gesellschaft werden an Heftigkeit zunehmen, und zwar allein schon durch die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auswirkungen der großen Transformation, die vom Übergang von einer freien Marktwirtschaft in eine grüne Kommandowirtschaft und vom Verlust der Freiheit und der Gewaltenteilung bestimmt wird. In Zukunft wird das Amt des Bundespräsidenten als Mittler, als Bundespräsident aller Deutschen immer wichtiger werden. Auf Frank-Walter Steinmeier warten also in der zweiten Amtszeit gewaltige Aufgaben, er wird die Autorität erwerben müssen, alle politischen Kräfte um einen Tisch, um den Tisch unserer Demokratie zu versammeln, ob er dafür die erforderliche Autorität besitzen wird, liegt einzig und allein an ihm, nicht am Amt, das zwar die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung dafür stellt. Er wird beweisen müssen, dass er dafür hinreicht, andernfalls werden nicht nur die noch unischeren 10 % der Bevölkerung, sondern weit mehr zur Überzeugung kommen, dass dass das Amt des Bundespräsidenten nicht mehr nötig ist.

Die Wahl heute ist unspannend, das Ergebnis steht fest. Und wahrlich ist es auch nicht fraglich, was aus der Wahl resultiert, nämlich ein weiter so. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. In Steinmeiers Hand liegt eine große Verantwortung, eine größere, als er möglicherweise vermutet.