Tichys Einblick
Sperrfreie Spaßzone vs. spaßfreie Sperrzone

Siegt Anarchie über Bürokratie im Kölner Kontrollkarneval?

Die Spaziergänge der Kölner Bürger gegen die Corona-Politik mutieren langsam, aber sicher zum Straßenkarneval – der ist entstanden aus Protest gegen die preußische Besatzungsmacht. Parallelen sind historischer Zufall. Kehrt der Karneval zu seinen Ursprüngen zurück?

Bekanntlich feiert man in Köln nicht nur spießig in Sälen – kontrolliert bis hin zum erlaubten Lachen nach amtlichem Tusch –, sondern besonders anarchisch und ausgelassen in den Straßen und Kneipen; nicht einmal Büros und Fabriken bleiben vor den Narren sicher, und rote Nasen werden überall geduldet. Aber darf man auch zu Corona-Zeiten: lustig sein – einfach so? Schunkeln und bützen, also küssen, was die Jecken hergeben? Feiern ohne Polizei, und wie wird sichergestellt, dass das Virus nicht morgen die ins Grab holt, die heute noch auf den Tischen tanzen?

Schwierige Frage. Rechtzeitig mussten sich die Verantwortlichen also ausdenken, wie man diese feuchtfröhlichen Narren bändigen und Corona-konform feiern lassen kann. Den Karneval kontrollieren, ein Widerspruch in sich selbst. Aber es scheint zu klappen, die kölsche Fröhlichkeit auszurotten und in geordnete Bahnen zu lenken, auch wenn es nicht ganz einfach ist.

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Richtete man für den Sessionsauftakt am 11.11. noch zwei Sperrzonen ein – Anwohner konnten sich für den Tag einen Passierschein ausstellen lassen: von einem Karnevalsverein (!) –, erklärt man für die kommenden jecken Tage der Einfachheit halber das gesamte Stadtgebiet zur „Brauchtumszone“: von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch.

Rein in die Zone dürfen im Kontroll-Karneval nur „Feierwillige“, die die 2G-plus-Regel erfüllen. „Zusätzliche Feier-Anreize“ sind verboten, um nicht Menschen anzulocken. Kneipenkarneval ist erlaubt. Zwar sind Tanzveranstaltungen und Partys in Corona-Zeiten verboten, aber für Kölns Oberbürgermeisterin Reker ist Kneipenkarneval keine Tanzveranstaltung. Sie will das Ordnungsamt entsprechend anweisen. Definitionen und neue Wortschöpfungen sind die neue Lachnummer.

Kuriose Rechenbeispiele

Allerdings scheint es mit dem Kontrollkarneval doch etwas kompliziert zu sein. Der Kölner Stadt-Anzeiger vom 15.02.22 weiß jecken Rat:

„Grundsätzlich gilt: Mehr als 750 Leute dürfen auch im größten Saal nicht zusammen Karneval feiern. Die Auslastung bemisst sich dann nach schwer zu überblickenden Regeln Bis zu einer Personenzahl von 250 Gästen ist es noch einfach, hier muss keine weitere Kapazitätsgrenze beachtet werden. Geht die absolute Zahl jedoch über 250 hinaus, darf die zusätzliche Auslastung des Saals bei maximal 50 Prozent liegen. An der Stelle fängt das Rechnen an: Denn die 250 Personen gelten als gesetzt. Von der Höchstkapazität des Saals werden sie abgezogen, von der Differenz darf dann die Hälfte draufgerechnet werden.“

Nicht verstanden? Ein Rechenbeispiel:

„Hat ein Saal oder ein Brauhaus eigentlich eine Höchstkapazität von 1000 Personen, dürfen an Karneval 625 rein. Zu den 250 darf die Hälfte von 750 (die Differenz zu den Tausend) kommen, also 375. Sollte der Saal größer sein und die Hälfte der Auslastung plus 250 Festplätze den Schwellenwert von 750 überschreiten, sind nicht mehr Gäste möglich.“

Immer noch nicht? Jedenfalls: „Die 750 Plätze dürfen also nicht an jedem Veranstaltungsort ausgereizt werden.“

Es wird sogar beantwortet, wie ausgelassen in den Kneipen gefeiert werden darf: „Wie viel in der Kneipe tatsächlich geschunkelt und gesprungen wird, dürfte kaum überprüft werden.“ Das ist eine etwas unbefriedigende Antwort; vermutlich werden Verwaltungsgerichte Dauerkarneval feiern müssen. Und was passiert, wenn jemand die 2G-plus-Regel nicht erfüllt, trotzdem feiert und dabei erwischt wird? Der „riskiert ein Bußgeld von mindestens 250 Euro. Wenn ein Wirt oder eine Wirtin die Regel nicht kontrolliert, drohen sogar 5.000 Euro Strafe.“ Wer einmal Karneval in Köln erlebt hat, weiß: Es könnte gefährlich werden – für die Kontrolleure.

Beim Spaß hört der Spaß auf in Köln!

Es geht also um die Regelung, wer wie wo Karneval feiern und wer nicht mitfeiern darf. „Drink doch ene met“ und „mer stonn zesamme“ gilt noch – aber geordnet, geregelt und Ja: nicht für alle. Köln grenzt aus – nämlich dieses unbelehrbare, ungeimpfte Drittel. Dem wird das Feiern amtlicherseits untersagt.

Vorsicht Glosse
Corona macht den Karneval in Köln so preußisch wie lange nicht mehr
Das Ganze hat nur einen Haken: Was tun mit den ungeimpften Personen, die im Kölner Stadtgebiet arbeiten und wohnen? Einsperren? Auch hier klärt die Zeitung großzügig auf: Anwohner und Beschäftigte dürfen „selbstverständlich jederzeit“ das Haus verlassen. Das werden die Leser dankbar zur Kenntnis nehmen. Feiern dürfen sie allerdings nicht – da gelten für sie besondere Vorschriften – feiern, das dürfen Ungeimpfte im öffentlichen Raum nämlich nicht. Für Ungeimpfte hört der Spaß schnell auf. Aber ab wann genau?

Wann „wohnt“ ein Anwohner nur und wann „feiert“ er schon? Wann mutiert ein „wohnender Ungeimpfter“ (erlaubt) zum „Feiernden“ (unerlaubt)? Fallbeispiele: Wenn ein Anwohner vor seinem Haus sein Auto wäscht, dabei Radio Köln hört und lautstark „Mer losse d’r Dom en Kölle“ singt, gilt das dann schon als feiern? Und was ist, wenn sich eine Nachbarin von der Musik angezogen fühlt, etwas zu trinken mitbringt, und beide anfangen, gemeinsam zu singen und vielleicht sogar zu schunkeln? War das dann schon ein „zusätzlicher Feier-Anreiz“?

Jecke Regeln für jecke Bürger

Zum Glück erklärt die Zeitung genauer in einem Artikel vom 11.02.22 mit der Überschrift: „Welche Regeln für Jecke gelten“. Und das geht so: Die Brauchtumszone gilt „wohlgemerkt nur für die, die Karneval feiern wollen“ – im Verwaltungsdeutsch der Corona-Schutzverordnung: für alle, die sich zum „Zweck des geselligen Zusammenseins“ treffen. „Mit Hütchen einkaufen oder im Kostüm zur Arbeit gehen darf jeder“, also auch der Ungeimpfte. Wer aber beispielsweise „biertrinkend zusammensteht, egal ob mit oder ohne Kostüm, muss einen 2G-plus-Nachweis erbringen“.

Explizit wird vom Land NRW nochmal darauf hingewiesen, dass die Regeln nicht im privaten Bereich gelten. Gut zu wissen: Im Wohnzimmer darf man also im Clowns-Kostüm Karnevalslieder singen, vielleicht sogar ein Kölsch trinken, auch ungeimpft, aber: nur mit Angehörigen des eigenen Haushalts und nicht mit mehr als zwei Personen eines weiteren Haushalts.

Ganz wichtig, denn die Kölner sind immer sehr bedacht darauf, niemanden auszugrenzen – außer Ungeimpfte: Die Vorschriften gelten nicht nur für Kölner Bürger. Der Stadtanzeiger weist auch darauf hin: „Wenn also ein Düsseldorfer an Weiberfastnacht ein Kölner Museum besuchen will, braucht er dafür zumindest draußen im öffentlichen Raum keinen Nachweis.“ Merke: Auch eine Düsseldorferin darf offiziell lustig sein in Köln – mit 2G-plus.

Der SPD geht diese Lockerung entschieden zu weit. Diese „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“-Politik werde das gesamte Umland einschließlich Düsseldorf als Einladung verstehen, nach Köln zu kommen. Die Grünen finden dagegen, dass die Regeln ein pragmatischer Umgang mit Karnevalsfeiern seien. Sie appellieren an die Eigenverantwortung der Jecken: „Jede und jeder einzelne Feiernde trägt mit dem Kostüm auch jede Menge Verantwortung.“ So einfach ist das in der Welt der Grünen, Verantwortung abzugeben: Man zieht einfach sein Kostüm aus. Aber ist man dann noch Feiernder? Oder schon Trauernder angesichts dieser zwanghaften Bürokratie?

Karneval der Ungeimpften

„Antirassismus-Initiative“
Kölner Politiker und Prominente appellieren an Solidarität – Wie glaubwürdig ist das?
Karneval steht eigentlich für Aufmüpfigkeit gegen die Obrigkeit. Doch bei den offiziellen Karnevalisten und Kölner Prominenten ist nichts von Aufmüpfigkeit zu spüren. Im Gegenteil: Sie versuchen gemeinsam mit der Stadtverwaltung diejenigen, die aufmüpfig werden und seit einigen Wochen demonstrieren, davon abzuhalten, weiter aufmüpfig zu sein – und zwar mit seltsamen Solidaritätsbekundungen und der Methode, die in Köln üblicherweise besonders gut funktioniert: einer Antirassismus-Initiative (sie nennen sie: „Kölner Corona-Aufruf“).

Doch die Aufmüpfigen lassen sich nicht davon abhalten, aufmüpfig zu sein. Sie werden immer mehr, immer lauter, immer lustiger und immer bunter, vor allem montags. Nicht auszudenken: Am Rosenmontag könnten sie nicht nur bunt gemischt, sondern auch noch bunt verkleidet, und womöglich sogar entlang des traditionellen Zugwegs spazieren – könnte das schon Feiern sein? Ganz solidarisch Geimpfte mit Ungeimpften gemeinsam? Was wäre das für eine Blamage für die paar eingesperrten, hauptamtlichen Karnevalisten im Fußball-Stadion hinter ihren Masken! Und es wäre der endgültige Sieg der rheinischen Anarchie über die spaßbefreite Verwaltung und das bierernste Festkomitee mit seiner Unterwürfigkeit und seinem Karnevals-Kontrollwahn.

Die offiziellen Karnevalisten haben sich ihren Zug nämlich verbieten lassen und ihn ins FC-Stadion verlegt – aus Solidarität natürlich. Mit mageren 4.700 Teilnehmern sowie vereinzelten 8.800 Zuschauern auf den weitgehend menschenleeren Tribünen, die im normalen Spielbetrieb bis zu 50.000 Zuschauer fassen können. Das Ganze mit Maske, dafür aber ohne Ungeimpfte, aus lauter Solidarität eben. Wenigstens gibt es Kamelle. Ungeklärt die Frage: Darf man die Maske ausziehen, wenn man Kamelle isst? Oder zum Bützen? Darf man ein Kölsch trinken auf den Tribünen? Der Karneval wird zu einer sehr ernsten Angelegenheit im offiziellen Köln. Und die ganze Stadt wird zu einer spaßfreien Sperrzone. – Es brodelt unter der bunten Narrenkappe. Die Jecken wollen ihre sperrfreie Spaßzone zurück.

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