Tichys Einblick
Selbstbereicherung in der AWO

Feldmann ist weg, das System bleibt

Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann wurde für einen eher geringen Fall der Vorteilsnahme in Höhe einiger zehntausend Euro abgewählt. Aber der Skandal ist damit nicht ausgeräumt: Unter seiner Ägide wurden in der Frankfurter Wohlfahrt massiv Gelder veruntreut, Tichys Einblick schätzt den Schaden auf 10 Millionen Euro.

AWO in Frankfurt am Main

IMAGO / Fotostand
Die Story kam in einem braunen Kuvert in den Briefkasten von TE. Es handelte es sich um Kopien zweier anonymer Anzeigen, die Monate zuvor bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt eingereicht worden waren. Tichys Einblick arbeitete die Vorwürfe heraus: Vorstände, die sich selbst beraten und dafür Millionen kassieren. 1,3 Millionen Euro Abfindungen, die an ein einziges Ehepaar gezahlt wurden. Architekten, die 600.000 Euro für die Arbeit eines Anderen erhielten. Der Geschäftsführer der AWO Frankfurt, Jürgen Richter verdiente pro Monat 25.000€ – und erhielt eine Entschädigung für die Nichtinanspruchnahme eines Dienstwagens in Höhe von 4.500€. Das Geld erstattete die dienstliche Nutzung seines Jaguars. Einen Dienstwagen hatte er aber auch: bereitgestellt von seinem Vorstandsposten der AWO Wiesbaden.

Der Skandal um die Frankfurter und Wiesbadener AWO war schon länger am Köcheln gewesen. Die Lokaljournalisten Daniel Gräber und Volker Sievert hatten viele Unstimmigkeiten aufgedeckt und ans Licht gezerrt: Doch mal um mal verschwand der Skandal wieder. Unter die Oberfläche gedrückt vom Vorwurf, es handle sich um eine Kampagne rechter AfD-Hetzer gegen die sozialdemokratische Arbeiterwohlfahrt. Und zunächst war es ja um Flüchtlinge gegangen – um Heime und Sportprogramme für junge Flüchtlings-Männer. Wer da kleinlich nach Geld nachfragt, macht sich rechter Umtriebe verdächtig.

Durchsuchungsbeschluss auch gegen den Bürgermeister

Aber die Details der Vorwürfe aus dem braunen Kuvert waren das kleine etwas zu viel: Eine Edelstahlküche entpuppt sich als billige Pressspan-Version. Eine „Sonderbeauftragte“ der Geschäftsführung, Hannelore Richter, die rein zufällig die Ehefrau des Geschäftsführers in Frankfurt war und zudem Geschäftsführerin der AWO Wiesbaden, wurde eine persönliche Assistentin, sowie ein Dienstwagen für die Assistentin bereitgestellt. Dass die Assistentin auf Reisen nach Israel, Atlanta und ins Nobel-Hotel Adlon mitkommt, versteht sich von selbst. Die Staatsanwaltschaft ließ Geschäftsräume und Privatobjekte durchsuchen. Auch für Feldmann wurde deutlich später ein Durchsuchungsbeschluss ausgefertigt. Der Skandal nahm eine neue Wendung: Anstelle gesichtsloser Funktionäre stand das direkt gewählte Stadtoberhaupt im Feuer. Die AWO-Affäre erhielt ein Gesicht. Durchsucht wurde das Rathaus allerdings nicht, der Oberbürgermeister händigte die gesuchten Dokumente selbst aus.

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Peter Feldmanns wirtschaftlicher Vorteil war dabei eher überschaubar. Er erhielt 50 bis 60 Tausend Euro für seinen Wahlkampf 2018. Hannelore Richter, AWO-Geschäftsführerin in Wiesbaden und Sonderbeauftragte des Geschäftsführung Frankfurts sagt, sie habe diese Gelder als SPD-Mitglied für den Parteifreund gesammelt – in Wiesbaden. Hat nichts mit Frankfurt zu tun. Bei einem Abendessen der Familien Richter und Feldmann löste man spontan das angeblich lange köchelnde Problem, wer eine deutsche-türkische Kita leiten könnte: Die spätere Frau Feldmann, Zübeyde Temizel, erhielt direkt den Job als Anschlußverwendung ihres Studiums, übersprang 17 Jahre Gehaltsprogression und wurde kurze Zeit später mit einem Ford Fiesta als Dienstwagen in den Mutterschaftsurlaub verabschiedet.
Es liest sich wie ein Groschenroman

Was sich wie ein Groschenroman liest, wurde zur Stadtaffäre und in deren Gefolge Feldmann nun abgewählt; Ehescheidung läuft, Tochter mittlerweile schulpflichtig, das Ganze nur eine „Liebelei“, sagt Feldmann und nur deshalb folgenschwer, weil Zübeyde Feldmann die von ihm geforderte Abtreibung verweigerte. Eine Woche vor dem Bürgerentscheid ließ Feldmann das von seinem Anwalt im Gerichtsverfahren vortragen – ein herzloser Vorgang, den kein Romanautor perfider erfinden könnte. Die Wähler reagierten. Im Bürgerentscheid stimmten 95% der Wähler gegen ihn. 40% der Wahlberechtigten gingen zur Wahl, das waren 50.000 mehr, als 2018 zu seiner Wahl die Stimme abgegeben hatten.

Feldmann ist über eine Vielzahl von Skandalen gestürzt. Keine gesellschaftliche Gruppe, die er nicht brüskierte. Fußballfans, die Freunde der Oper, Ice Hockey Fans, Kulturaffine, Autofans, Feministen und Unternehmer. Er schuf sich Freunde durch verbilligte Tickets für Schüler im ÖPNV und einer Mietpreisbremse im städtischen Wohnbau; Geschenke auf Kosten des Steuerzahlers. Dankbar hält ihm die Frankfurter LINKE die Treue bis über die Abwahl hinaus.

Feldmanns vielzählige Skandale übertünchen den AWO-Schaden

Also Abwahl – und alles ist gut? Feldmanns Szenen einer seltsamen Ehe und Karriere verdecken sein eigentlich teures und folgenschweres Handeln und vor allem seine Verwicklung in den Frankfurter und Wiesbadener Arbeiterwohlfahrtskandal. Unter seinem Schutz konnte die Frankfurter Arbeiterwohlfahrt Gelder veruntreuen und eine Clique aus oft SPD-nahen Funktionären sich selbst bereichern. Geld wurde aus der Wiesbadener in die Frankfurter AWO verschoben: Auf dem Weg versickerte es. Im Gegenzug flossen Gelder aus Frankfurt nach Wiesbaden: Auch diese versickerten in den Taschen der Geschäftsführung und des Vorstands. Unterfirmen, Verschachtelungen und enge Beziehungen auch zur AWO Offenbach: Geld floss herum und schwappte in die Taschen einer Gruppe SPD-naher Funktionäre. Wobei natürlich auch Grüne und Schwarze bedacht wurden, wo es nötig war. Ein Spiel, das funktionieren konnte, weil die Stadtverwaltungen nicht so genau hinschauten oder es nicht wissen wollten.

Feldmann war Ermöglicher des Systems, Günstling: Und er war auch der letzte Eckstein, der das System zusammenbrechen ließ. Denn die Nachricht von der schönen, jungen Bürgermeistergattin, die ein ungerechtfertigtes Gehalt verdiente, war einfach besser geeignet für Überschriften als die kleinteiligen Veruntreuungen in Flüchtlingsheimen.

Verurteilungen auch für Kleinigkeiten

Jetzt ist Feldmann also abgeräumt. Hannelore und Jürgen Richter, die Architekten des Systems AWO müssen sich genauso wie der Oberbürgermeister vor Gericht verantworten. Auch viele kleinere Fische werden als Beifang mitverurteilt. Die ersten Prozesse haben schon Gehaltsrückzahlungen von 1,2 Millionen Euro zur Folge gehabt. Nach langer Untätigkeit seitens der Staatsanwaltschaft werden nun sogar Dinge wie ein unrechtmäßig geführter Doktortitel Anlass für Verfahren. Jürgen Richter wurde allein dafür zu 100 Tagessätzen verurteilt.

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Doch das System AWO kann jederzeit wieder aufgesetzt werden. Die Prinzipien, die es ermöglicht haben, sind nicht beseitigt und weder AWO-intern noch in Wohlfahrtsverbänden im allgemeinen einzigartig. Die Wohlfahrtsverbände, AWO, ASB, Charitas, gehören zu den größten Arbeitgebern Deutschlands. Sie sind größer als mancher DAX-Konzern. Riesige Unternehmen, die zahllose Zweigstellen und Subunternehmen unterhalten. Dazwischen gemeinnützige Vereine, die minimalen Transparenzpflichten unterliegen. Die Ortsverbände sind meistens autark und so unabhängig, dass Aufsichtsgremien auf Landes- und Bundesebene kaum durchgreifen können. Wenn sie es überhaupt wollen, denn die übergeordneten Instanzen sind oft genug selbst korrumpiert. Der Landesverband Hessen-Süd zum Beispiel, der der AWO Frankfurt übergeordnet ist, hatte zeitgleich einen eigenen Veruntreuungsskandal nach ähnlichem Muster.

Hier müssten lokale Verwaltungen eingreifen, bei denen die Verbands-Wucherungen die Kosten abrechnen. Eine Zusammenarbeit darf nur dann passieren, wenn die Wohlfahrtsverbände sicherstellen, dass sie Wohlfahrt für die Bürger und nicht für die Funktionäre betreiben. Doch der Zugriff auf öffentliche Kassen ist verführerisch, zu eng sind die Verbände mit den Parteien verknüpft. Allen voran die AWO: Theoretisch unabhängig, ist sie in der Praxis eine Vorfeldorganisation der SPD. Die Richters waren Genossen, Feldmann war vor seiner SPD-Kandidatur AWO-Mitarbeiter, Schlüsselpersonen des Skandals mit der SPD verquickt, verschwägert oder langjährige Mitglieder und Funktionäre. Wundert es, dass die SPD-Fraktionsvorsitzende im Frankfurter Rathaus Ursula Busch jene oben erwähnte persönliche Assistentin Hannelore Richters war? Zusätzlich hatte sie noch einen 450-Euro-Job bei der AWO. Dafür sollte Sie im Rahmen von Abend- und Wochenendveranstaltungen der AWO „das Aufräumen sowie die Sicherung der Räume und das Abschließen“ übernehmen, sagte sie der FAZ. Die Staatsanwaltschaft führt sie als Zeugin: Gegen viele Ihrer 450-Euro-Job-Kollegen im gleichen Haus und aus den gleichen Fördermitteln wird wegen Scheinarbeit ermittelt. Zur Verschleierung erhielten in Frankfurt angestellte Mitarbeiter ihr Gehalt häufig von der AWO Wiesbaden – Kontrolle vor Ort ist damit weitgehend unmöglich.

Politiknähe verführt zum Betrug

Diese Verflechtungen erklären, warum es in den letzten Jahren zu so vielen AWO-Skandalen gekommen ist. In Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, in NRW. Die Skandale spielen sich meist lokal ab, der Frankfurt-Wiesbaden Skandal sticht durch die Größe des Schadens und die Komplexität hervor. Dass gleich zwei Verbände korrumpiert werden konnten, die dadurch riesige Geldströme verschleierten, erscheint ungewöhnlich. Die Selbstbedienung der Funktionäre ist Routine.
Die AWO Frankfurt hat zumindest in ihrem Führungspersonal aufgeräumt. Es hat lange gedauert, erst nach Druck durch Presse und Öffentlichkeit: Die Schlüsselfiguren des Richter-Systems sind abgeräumt, viele stehen vor Gericht. Die Verbundenheit zur SPD besteht aber weiter. Die AWO erhält weiterhin Aufträge durch die öffentliche Hand. Das Controlling wurde neu aufgesetzt und die Dezernate stehen unter der Führung neuer, unverdächtiger, Lokalpolitiker. Die Personen, die das System ermöglichten, sind weg, doch die Bausteine des Systems bestehen weiter. Was fehlt, ist einer, der sie aufhebt und neu zusammensetzt.

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