Tichys Einblick
Deutschland im Jagdfieber

Seehofer und Maaßen sollen „zur Strecke gebracht“ werden

Die Kanzlerin nutzt die Ereignisse in Chemnitz als Chance, die öffentliche Debatte von den Gefahren ihrer Migrationspolitik auf die Gefahren eines neuen Nationalsozialismus umzulenken. Ihr Innenminister und ihr Verfassungsschutzchef stehen dem im Wege und sollen deswegen entlassen werden.

German Interior Minister Horst Seehofer (R) and Hans-Georg Maassen, President of the domestic intelligence service of the Federal Republic of Germany (Bundesamt fuer Verfassungsschutz, BfV), arrive to give a press conference to present the annual report on the protection of the constitution on July 24, 2018 in Berlin.

TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Wie schon im Jahr 2015 tobt in Deutschland erneut ein öffentlicher Meinungskampf um die Folgen der von Kanzlerin Merkel betriebenen Migrationspolitik. Im Sommer 2015 ging es dabei um die von ihr entschiedene bedingungslose Grenzöffnung, im Sommer 2018 geht es um die politische Bewertung und Einordnung von Ereignissen, die durch ein Tötungsdelikt in Chemnitz ausgelöst worden sind, das mutmaßlich ein oder mehrere von ihr ins Land gelassene Asylbewerber begangen haben. Wer, wie etwa der Historiker Jörg Baberowski oder der Migrationsforscher Ruud Koopmanns, schon 2015 vor den Auswirkungen einer unkontrollierten Massenzuwanderung etwa auf die Sicherheitslage im Land, die Lage an den Arbeits- und Wohnungsmärkten oder die Stabilität der Sozialversicherungssysteme warnte, wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Verein mit den meisten Zeitungen moralisch desavouiert und öffentlich als inhuman, ausländerfeindlich oder gar nazistisch gebrandmarkt.

Weiter in die Sackgasse
Maaßen entlassen statt Fehler korrigieren?
Dies hat das öffentliche Meinungsklima in Deutschland weit mehr vergiftet als all die Verschwörungstheorien und Untergangsszenarien auf Seiten der „Neuen Rechten“, für die Merkels Migrationspolitik mehr als nur ein leicht gefundenes Fressen ist. Toben sich deren Wortführer und Anhänger bislang nämlich fast ausschließlich in der Holzklasse des medialen Betriebs, den sozialen Medien aus, beherrschen die Anhänger von Merkels Migrationspolitik vorwiegend die öffentlich-rechtlichen Medien sowie die Printmedien und fliegen damit First Class im Luftkampf um die politische Deutungshoheit. Von dort versuchen sie, Merkels Kritikern mit Hilfe der „Nazi-Keule“ Angst zu machen und die Kanzlerin so vor Kritik zu schützen. Wer will in Deutschland schon in den öffentlichen Verdacht geraten, ein „Rechtspopulist“ oder gar ein „Nazi“ zu sein ? Da muss man schon über die stoische Ruhe, vielleicht auch die materielle Unabhängigkeit etwa eines Thilo Sarrazin verfügen, der derlei Anwürfe seit Jahren an sich abtropfen lässt.

Die „Nazi-Keule“ kann spätestens seit 2015 jeden treffen, der auch nur ansatzweise Kritik an der regierungsamtlichen Darstellung oder Interpretation von Sachverhalten äußert, die im Zusammenhang mit der „Mutter aller politischen Probleme“, dem Migrationsthema stehen. Manchmal verschwindet sie für kurze Zeit im medialen Waffenschrank, um aber schnell wieder hervorgeholt zu werden, wenn der Kanzlerin Ungemach droht. Es wird auch nicht bei jedem „Nazi“ mit gleicher Wucht zugeschlagen, sondern wohl dosiert nach dem Grad an (vermeintlicher) Gefährlichkeit. Das kann so weit gehen, dass die „Nazi-Keule“ als solche gar nicht sichtbar wird, obwohl sie zum Einsatz kommt. Sie wird dann gleichsam in Watte gepackt, um das Opfer zwar als „Rechtspopulist“ zu ächten, nicht jedoch gleich politisch und gesellschaftlich totzuschlagen.

"Hetzjagd", dringend gesucht und gewollt
Die Wahrheit über Chemnitz ist nicht aufzuhalten
Seit den Ereignissen von Chemnitz werden von Merkels Anhängern in Regierung und Opposition auf diese Weise neuerdings Innenminister Seehofer und Verfassungsschutzchef Maaßen traktiert. Auslöser dieser Ereignisse ist zum einen die 2015 getroffene Entscheidung des Kanzleramts, Asylbewerber auch ohne Identitätsnachweis ins Land einreisen zu lassen, wohl wissend, dass damit auch Kriminellen und Terroristen Tür und Tor geöffnet werden. Daniel Hillig aus Chemnitz ist das (vorerst) letzte Opfer dieser Entscheidung, die Verfassungsschutzchef Maaßen, davon kann man inzwischen wohl ausgehen, als erfahrener Geheimdienstler im Jahr 2015 offenbar nicht mitgetragen hat. Das Klima zwischen ihm und der Kanzlerin gilt deswegen, wie unter anderem die WELT berichtet, als nachhaltig gestört. Es ist anzunehmen, dass sich Maaßen angesichts der inzwischen von Asylbewerbern begangenen Terroranschläge, Vergewaltigungen und Tötungsdelikte darin bestätigt sieht, von der vollzogenen Grenzöffnung abgeraten zu haben, wovon die Kanzlerin aber bis heute nichts wissen will.

Zum anderen ließ Merkel kurz nach den ersten Protestaktionen und Ausschreitungen in Chemnitz über ihren Pressesprecher Seibert öffentlich verlautbaren, dort hätten ausländerfeindliche „Hetzjagden“ stattgefunden, die nicht zu Deutschland gehörten und die sie deswegen nachdrücklich verurteile. Nun steht inzwischen außer Frage, dass in Chemnitz nicht nur friedliche Bürger ihre Trauer und Wut über die Tötung von Daniel Hillig öffentlich zum Ausdruck brachten, sondern Rechtsradikale und Hooligans das Tötungsdelikt zum Anlass nahmen, gegen Migranten und Ausländer Stimmung zu machen sowie mit rechtsradikalen Slogans und Zeichen durch die Straßen zu ziehen. Darüber hinaus kam es nach allem, was man derzeit weiß, auch zu einem Übergriff auf ein jüdisches Restaurant sowie zu einzelnen Übergriffen auf Migranten und Journalisten.

Zur Wahrheit bitte
Nein, Frau Merkel, es ist nicht alles gesagt
Dagegen darf auch eine Kanzlerin Stellung beziehen, insbesondere wenn die migrationskritischen Organisatoren des friedlichen Bürgerprotests, allen voran die AfD, offenbar nicht dazu in der Lage waren, die rechtsradikalen Schreihälse und Randalierer daran zu hindern, ihre Ausländerfeindlichkeit auf die Straße zu tragen. Sie haben der Kanzlerin damit eine Steilvorlage geliefert, um sich mit Hilfe ihres Regierungssprechers Seibert öffentlich mit einer Erklärung in Szene setzen zu können, die von ihrer politischen (Mit-)Verantwortung für den Tod von Daniel Hillig (und früheren Opfern migrantischer Delikte) wegführt. Auf Basis eines einzelnen Videos, das das Wegjagen eines jungen Mannes durch einen anderen Mann dokumentiert, wurde von Seibert aus dem fernen Afrika weltweit das Bild einer von „Hetzjagden“ auf Migranten geprägten deutschen Stadt verbreitet. Damit sahen viele Chemnitzer Bürger ihren Heimatort und sich selbst an den öffentlichen Nazi-Pranger gestellt.

Erneut dürfte Maaßen, wie auch sein Chef Seehofer, deshalb darüber entsetzt gewesen sein, wie leichtfertig und schnell die Kanzlerin folgenschwere Entscheidungen trifft, wenn es darum geht, sich selbst in das rechte humanitäre Licht zu setzen, im Sommer 2015 als „Mutter Theresa der Flüchtlinge“, im Sommer 2018 als „Kämpferin gegen den nationalsozialistischen Mob“. Öffentlich schweigen wollte Maaßen dazu dieses Mal offenbar nicht und verbreitete daher über die Bild-Zeitung seine Zweifel an der Darstellung und Bewertung der Chemnitzer Ereignisse seitens des Kanzleramtes. Darüber hinaus äußerte er den Verdacht, mit der öffentlichen Skandalisierung von „Hetzjagden“ in vielen Medien solle öffentlich von der mutmaßlichen Tötung von Daniel Hillig durch drei Asylbewerber abgelenkt werden.

Gute Laune gefragt
Chemnitz - oder wer rastet wirklich aus?
Das hat nun verständlicherweise erneut die politischen und medialen Verteidiger von Merkels Migrationspolitik mit auf den Plan gerufen, die sich durch diesen Verdacht direkt angesprochen fühlen. Seit Chemnitz hoffen sie darauf, durch die Beschwörung der Gefahr einer erneuten nationalsozialistischen Machtübernahme, insbesondere in den neuen Bundesländern, wieder die volle öffentliche Deutungshoheit über Merkels Migrationspolitik zurückgewinnen zu können. Diese ist ihnen seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht und den seitdem von Göring-Eckardts „Geschenken“ begangenen Delikten in den sozialen Medien weitgehend und in den öffentlich-rechtlichen Medien teilweise abhanden gekommen. Statt der Gefahren einer ungebremsten (muslimischen) Massenzuwanderung sollen (wieder) die Gefahren des Rechtspopulismus und des Nationalsozialismus in den Focus der öffentlichen Debatte rücken. Da scheut man sich auch nicht, zur politischen Jagd auf Seehofer und Maaßen zu blasen, die die Gefahrenlage in Deutschland offenkundig anders bewerten als die Kanzlerin und ihre Claqueure.

Ex-Innenminister Gerhart Baum von der FDP sagt in diesem Zusammenhang der Stuttgarter Zeitung vom 12. September: „Seehofer hält die Flüchtlingsfrage für die Mutter aller Probleme. Falsch ! Die Mutter aller Probleme ist, dass eine nennenswerte Minderheit der Deutschen sich von der Demokratie langsam entfernt und offen mit Naziparolen operiert. Wenn rund 25 Prozent der Ostdeutschen bei den kommenden Landtagswahlen AfD wählen wollen, ist das eine Gefahr für die Demokratie. Im Westen gewinnt die AfD auch an Boden. Kritik muss möglich sein. Rechtsextremen Hass, genährt durch Nazi-Ideologie, dürfen die Deutschen nie wieder zulassen.“

Sollten Seehofer und/oder Maaßen stürzen, kann Merkel auf eine noch längere Blutspur ihrer Gegner blicken, die sie mittlerweile zur Strecke gebracht hat. Von daher ist nicht zu erwarten, dass sie der einsetzenden politischen „Hetzjagd“ gegen ihren Innenminister und Verfassungsschutzchef Einhalt gebietet. Die Treiber von SPD, Grünen und LINKEN sind mit ihren Hunden im medialen Unterholz schon lautstark unterwegs. Es könnte aber sein, dass das gehetzte Wild dieses Mal nicht zur Strecke gebracht wird, da das Gewehr der Jägerin inzwischen Ladehemmung hat. Der Baden-Württembergische Innenminister, Thomas Strobl, hat jedenfalls erklärt, Verfassungsschutzchef Maaßen habe sich ihm gegenüber stets als „sehr korrekter und kenntnisreicher Berater“ erwiesen.