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Schweden nach der Wahl

Sozialdemokraten nehmen ab, Schwedendemokraten legen zu: Nach der Wahl gibt es keine klaren Mehrheiten, eine schwierige Regierungsbildung zeichnet sich ab. Welchen Kurs das Land nimmt, ist noch keineswegs klar.

JONATHAN NACKSTRAND/AFP/Getty Images

Gestern wurde in Schweden ein neuer Reichstag gewählt. Inzwischen sind so gut wie alle Stimmen ausgezählt. Mit dem offiziellen endgültigen Resultat wird nicht vor Freitag gerechnet, aber das Ergebnis steht fest, denn nur in Nachkommastellen könnte sich noch etwas bewegen. Damit ist für vier Jahre wieder zementiert, wer im Parlament vertreten ist und mit welcher Stärke.

Die regierenden Rot-Grünen fuhren Verluste ein. Die Sozialdemokraten blieben stärkste Partei, sanken jedoch auf etwa 28% ab – das ist das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren. Die Grünen verloren ebenfalls und haben es sehr knapp noch über die 4-Prozent-Hürde geschafft; in Deutschland wären sie mit einem solchen Ergebnis nicht erneut ins Parlament eingezogen. Etwas zulegen konnte die Linkspartei. Mit diesem linken Block etwa gleichauf liegt die „Allianz“. Dies sind vier bürgerliche Parteien, deren wichtigste die Moderaten sind, die ebenfalls Verluste hinnehmen mussten und bei etwa 20% auskommen. Stark zulegen konnten dagegen die Schwedendemokraten: von 12,9% auf knapp 18%. Nicht den Sprung ins Parlament schafften beispielsweise die „Alternative für Schweden“ und die „Feministische Initiative“.

Bemerkenswert ist auch, dass es bei dieser Wahl eine Wahlbeobachtung durch die OSZE gab. Bereits das System, dass jeder vor den Augen anderer Anwesender einen Wahlzettel für die Partei seiner Wahl ergreifen muss und sich erst dann mit diesem Zettel in die Kabine zurückzieht, mutet fremdartig an. Zudem äußerte der dänische Wahlbeobachter Michael Aastrup Jensen (von der Partei „Venstre“, liberal) scharfe Kritik an der Wahl. Er verfügt über Erfahrungen mit Wahlbeobachtungen in Russland und Osteuropa. Jensen sagte, er sei „schockiert“ und habe „noch nie eine so undemokratische Wahl gesehen wie die schwedische“. Er wolle die Frage auch demnächst im Europarat ansprechen.

Versuch einer Analyse – ein Blick auf die Hintergründe

Die starken Verluste für linke Parteien entsprechen einem europaweiten Trend wie in Deutschland, wo sich die SPD dauerhaft unterhalb 20% einnistet. Hiervon können jedoch Parteien der bürgerlichen Mitte nicht unbedingt profitieren. Ebenfalls dem europaweiten Trend folgt der Aufstieg einwanderungskritischer Parteien wie hier den Schwedendemokraten, siehe die Wahlergebnisse solcher Parteien in Deutschland, Italien, Norwegen und anderen Ländern.

Dennoch fiel der Anstieg der „Rechtspopulisten“ in Schweden schwächer aus, als viele Beobachter vermutet hatten – auch der exit poll sagte – und als man aufgrund der massiven Herausforderungen hätte erwarten können. In Schweden bestehen umfangreiche Probleme mit Gewalt, was sich z. B. in häufigen Schießereien in den großen Städten (z. B. Malmö), unzähligen Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und anderen Straftaten manifestiert. Auf der Stockholmer Drottninggatan verübte ein Usbeke 2017 einen Lastwagen-Anschlag ähnlich dem in Berlin am Breitscheidplatz. Der Islam lebt sich in Parallelgesellschaften mit seinen eigenen Vorstellungen von Recht und Gesellschaft aus. Noch letzte Woche zeigte das Fernsehen an mehreren Tagen Bilder von Autos, die von Unbekannten an verschiedenen Orten in Brand gesteckt worden waren, dazu einen Ministerpräsidenten Löfven, der sagte, dass er das nicht toleriere, der aber nichts weiter ausrichten konnte.

Von Rom bis Stockholm und Paris bis Warschau
Manche Herrschende arbeiten europaweit hart für ihr Scheitern
Angesichts all dieser Umstände hätte man eine stärkere Tendenz zu „law and order“ vermutet. Denn Regierungschef Löfven hat das Land genauso wenig unter Kontrolle, wie Bundeskanzlerin Merkel noch darüber bestimmt, was in Kandel, Chemnitz oder Köthen geschieht. Der Gemütlichkeit ausstrahlende Mann an der Spitze Schwedens sieht übrigens auch nicht gerade nach Bürokratieabbau aus – ein weiteres Gebiet, auf dem Handlungsbedarf herrscht.

Eine Rolle spielt sicherlich das Mediensystem. Die wichtigsten Fernsehsender sind staatlich. Es gelingt oft, Kritiker in Ecken zu schieben, in denen sie nicht sind. Zudem wird das Internet durchforstet, um unliebsame Meinungen aufzuspüren und zu verbannen. (Siehe dazu meine Übersetzung von Teilen eines Polizeiverhörs, das vor kurzem ein Bürger über sich ergehen lassen musste nur aufgrund von Postings auf Facebook.)

Eine weitere Rolle spielt die Tatsache, dass im Zuge der starken Zuwanderung, einer der stärksten in Europa, vielen Immigranten bereits die schwedische Staatsbürgerschaft zugesprochen wurde. Dadurch dürfen sie wählen und beeinflussen die Geschehnisse. Wie berichtet wird, kamen in gewissen von Einwanderern bewohnten Stadtteilen wie Rinkeby in Stockholm die Sozialdemokraten auf fast 80% der Stimmen.

Gerade in der letzten Legislaturperiode waren Zuwanderung und Einbürgerung erheblich. Da nun wieder für vier Jahre Legislaturperiode ist, könnten sich die Ereignisse so fortsetzen. Zudem kommt die Geburtenrate der Einwanderer als Größe ins Spiel. Was in einer Demokratie mit Wahlrecht und Einbürgerungen geschieht, beeinflußt somit wieder genau diese Demokratie mit Wahlrecht und Einbürgerungen. Es kommt somit zu einer Kettenreaktion, die jedoch kaum jemand überblickt. Hier ist viel Mathematik im Spiel, was aber von Politikern selten gesehen wird – mit Ausnahme vielleicht von Thilo Sarrazin, der Statistiken und Tabellen zu derartigen Themen vorlegt.

Was nun geschieht

Ministerpräsident Stefan Löfven outet sich jetzt nach der Wahl als Am-Sessel-Kleber. Er sagte, er bleibe. Er ließ sich diesbezüglich auch nicht von Rückrittsforderungen aufhalten – die beispielsweise von Hanif Bali von den Moderaten kamen. Zugleich prescht Löfven nach vorne, indem er eine Auflösung des Systems der „Blöcke“ vorschlägt. Rot-Grün will sich also um das bürgerliche Lager erweitern, d. h. de facto das übernehmen, was man in Deutschland eine große Koalition nennen würde.

Es bleibt nichts, wie es ist
Schwedendemokraten und Linkspartei sind die Wahlgewinner
Löfven kleidete dies gewandt in folgende Worte: „Nun kommt es auf uns anständige Parteien an; wir müssen verhandeln, zusammenarbeiten und Schweden auf eine verantwortungsvolle Weise nach vorne bringen.“ („Nu är det upp till oss anständiga partier att förhandla och samarbeta för att ta Sverige framåt på ett ansvarsfullt sätt.“) Interessant hier die Sprechweise: Sein eigenes Lager ist laut seiner Wortwahl „anständig“ – und das beinhaltet anscheinend auch die groß angelegte Überwachung des Internets. Gleichzeitig werden politische Gegner implizit als „unanständig“ eingeordnet. Seine eigene Politik ist „verantwortungsvoll“ – und das beinhaltet anscheinend auch das völlig verantwortungslose Laissez-faire bei Einwanderung und Kriminalität, die Staatsschulden und vieles mehr.

Der Hauptangesprochene beim Auflösen der „Blöcke“ ist logischerweise Ulf Kristersson, der Chef der Moderaten, der größten bügerlichen Partei. Dieser aber ist in der Zwickmühle. Schon vor der Wahl hatte der Kurs der Moderaten ständig geschwankt; sowohl personell als auch inhaltlich wechselte sich Verschiedenes ab. Kristersson ist noch gar nicht lange Parteichef; zuvor hatte dieses Amt Anna Kinberg Batra inne, die aber auch einen klaren Kurs nie richtig finden konnte. Die Moderaten könnten nun auf Löfvens Plan eingehen. Tatsache ist jedoch, dass ein wirklicher Politikwechsel so nicht zu machen ist, sondern nur ein Machterhalt bestimmter Kräfte gesichert würde.

Eine Vorgeschichte
Heute Reichstagswahl in Schweden
Demgegenüber steht die völlig andere Möglichkeit für die Moderaten (und allgemeiner für die „Allianz“, das bürgerliche Lager), sich den Schwedendemokraten zu nähern. So könnte Kristersson selbst den Posten des Ministerpräsidenten erringen. Dies wäre natürlich nur unter lauten Buhrufen aus vielen Medien und von Rot-Grün möglich. Die Frage stellt sich, ob die Bürgerlichen zum Zwecke einer anderen Politik für Schweden dies ertragen wollen. Fakt ist jedoch: Die Probleme werden bei der Lösung vom Typ einer großen Koalition eher weiter verschleppt. Bei der zweiten Option besteht zumindest die Chance, dass die Herausforderungen Schwedens angegangen werden. Gleichzeitig würde herauskommen, wieviel die Schwedendemokraten auf dem Kasten haben: Können sie nur Protest bündeln und Forderungen formulieren, oder können sie sich auch in Regierungsverantwortung bewähren?

Mit der Wahl sind also zunächst einmal alle Klarheiten beseitigt und die politischen Akteure werden Farbe bekennen müssen. Möglich ist auch, dass erst einmal mit einer Anti-Schwedendemokraten-Lösung begonnen wird, dann aber das Rumoren so zunimmt, dass diese die Legislaturperiode nicht heil überlebt. Alle großen Parteien äußerten gestern, sie hätten die Wahl gewonnen. Es bleibt abzuwarten, ob auch das Land und die Bevölkerung etwas gewonnen haben.