Tichys Einblick
Christian Lindner in der Krise

In der FDP meutern die Ersten gegen die Koalition mit SPD und Grünen

Christian Lindner droht in der FDP eine Meuterei. Kritiker planen Anträge, die ein Weiter-so in der rot-grünen Koalition in Frage stellen würden. Es geht vor allem um die Energiepolitik und die mit ihr drohende Deindustrialisierung.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Regierungsbank, 1. Dezember 2022

IMAGO / Political-Moments

Im Mittelpunkt der Kritik steht Christian Lindner. Seine Person ebenso wie seine Politik. Das wichtigste Thema ist die Energiepolitik. Eigentlich planen Meuterer entsprechende Anträge hin zum Dreikönigstreffen in Stuttgart. Doch Lindners Verkehrsminister und ehemaliger Generalsekretär Volker Wissing ist nun vorgeprescht. Wissing hat vor dem Atomausstieg im April gewarnt und sich für eine Laufzeitverlängerung darüber hinaus ausgesprochen. Der saarländische FDP-Chef Oliver Luksic legte auf Twitter nach: „Bezahlbare, sichere und CO2 freie Energie wird es auf absehbare Zeit ohne Kernkraft nicht ausreichend geben.“ Es sei auch unklug, im Winter das E-Auto zu fördern, wenn das mit Kohlestrom betrieben werde.

Die Warnungen aus der Industrie mehren sich. Die hohen Energiepreise machten den Standort Deutschland kaputt. Das Runterfahren der Produktion, um Strom zu sparen, sei eine Katastrophe. So sagte jüngst der Unternehmer Nikolas Stihl, bekannt für seine Kettensägen, Deutschland stehe vor dem „Kipppunkt“ zur Deindustrialisierung. Auch die BASF kündigte an, sich aufgrund der hohen Energiekosten mittelfristig vom Standort Deutschland zurückziehen zu wollen. Bei einer Wirtschaftspartei müssten alle Alarmglocken läuten, doch „Lindner lächelt das weg, als ginge es nur um eine schlechte Kritik in der Lokalzeitung“, sagt ein Parteifunktionär aus dem Südwesten.

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Das Dreikönigstreffen in Stuttgart soll nun der Wendepunkt werden. Die Meuterer planen Leitanträge zur Energiepolitik. Unklar ist die Rolle Wissings dabei. Einige wenige halten ihn für einen Meuterer, mehr Funktionäre glauben indes, er besetze das Thema, um es den Aufständischen zu nehmen. Aber auch in der Gesellschaftspolitik drohen der FDP-Spitze Anträge, die sie zum Konfrontationskurs mit den rot-grünen Koalitionspartnern zwingen würden: Begrenzung der Einwanderung auf echte Fachkräfte und nicht auf „Fachkräfte ohne Ausbildung“, ein klares Nein zur von Faeser angedachten anlasslosen Kontrolle privater Chats und auch eine Stärkung des Beamtenrechts, um diese gegen die Pläne der Innenministerin zu schützen, unliebsame Beamte aus dem öffentlichen Dienst zu werfen.

Im Mittelpunkt der Meuterei steht aber klar die Industriepolitik, hier trifft sich die inhaltliche Kritik mit der persönlichen Kritik an Lindner. Bis April sollen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland laufen. Mit der Verlängerung um dreieinhalb Monate habe er nur einen schwachen Kompromiss mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rausgehandelt. Angesichts der ohnehin dürftigen Bilanz in der Koalition sei das viel zu wenig. Vor allem, falls diesen Winter tatsächlich ein Gasmangel eintritt, ein flächendeckender Stromausfall oder auch nur gezielte kurzfristige Stromausfälle, um den großen „Blackout“ zu vermeiden.

Doch nicht der Kompromiss ist Lindners größtes Problem. Dem FDP-Chef fällt seine Hochzeit im Juli auf die Füße. Die ausgiebige, mehrtägige Feier legte er auf eine Sitzungswoche des Bundestages. Während in Berlin die Energiepolitik des Winters verhandelt wurde, trank und speiste der Admiral der Liberalen auf Sylt. Im Winter meutern nicht nur die Matrosen, sondern auch die Obermaate und die Kapitäne.

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Lindner hat sich für das Finanzministerium entschieden und gegen das Wirtschaftsministerium. Er dachte strategisch. Das Finanzministerium gilt als Querschnittsministerium. Die Etats verschaffen seinem Chef einen Einblick in die Arbeit der anderen Häuser. Lindner sicherte sich mit dem Finanzministerium Macht. Doch er verzichtete auf Gestaltung. Er kann einen vermeintlich ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das wäre aber schon in normalen Zeiten kein Gewinnerthema, zu abstrakt sind die Zahlen, um bei den Wählern damit punkten zu können. Aktuell weiß aber jeder, dass der Haushalt nur ausgeglichen ist, weil Lindner Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe ausgegliedert hat. Damit gilt er öffentlich als Trickser. Ebenso als Schwindler, weil er die Schulden dreist mit dem Begriff „Sondervermögen“ tarnen will.

Die FDP kann in der rot-grünen Koalition nicht gestalten. Sie wird als Anhängsel wahrgenommen. Die Industriepolitik bestimmen die Grünen. Die Sozial- und die Einwanderungspolitik dominiert die SPD. Die FDP führt bestenfalls Abwehrkämpfe. Aber in keinem einzigen Thema setzen die Liberalen Akzente: Das verhinderte Tempolimit auf Autobahn sowie die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke um dreieinhalb Monate gelten dadurch als die größten Erfolge der FDP in der rot-grünen Koalition, deren bürgerlicher Mehrheitsbeschaffer sie ist.

Am deutlichsten wird die Lage an der Sprachregelung: „Ohne uns wäre es viel schlimmer gekommen.“ So versuchten sich die FDP-Funktionäre das Infektionsschutzgesetz schönzureden. Die Partei hatte im Wahlkampf das Ende aller Corona-Maßnahmen versprochen und ihr Justizminister Marco Buschmann ließ sich stattdessen auf eine Verschärfung der Maßnahmen über den Winter ein. Inklusive absurder Regeln wie der Maskenpflicht in Fernzügen, während sie in Flügen aufgehoben wurde.

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„Ohne uns wäre es viel schlimmer gekommen“, trösteten die liberalen Funktionäre ihre Basis. Vielleicht stimmt das sogar. Doch welche Botschaft strahlt das aus? „Wählen Sie uns in die Ampel, ohne uns wäre sie noch viel schlimmer!“ Der liberale Wähler soll demnach mit seinem Kreuz für die FDP die schlimme Politik der Ampel abmildern … Auf die Idee, dass der Wähler sich dann einfach für eine Partei außerhalb der Koalition entscheidet, kommen die Strategen der FDP nicht.

Dinge nicht zu Ende zu denken, ist ohnehin die Spezialität einiger Liberaler wie Justizminister Buschmann: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) setzt durch, dass Beamte anonym denunziert werden können, wenn sie sich despektierlich geäußert haben. Buschmann beschwichtigt: Bei unberechtigten Meldungen könne der Melder bestraft werden. Klappt bei anonymen Anzeigen bestimmt ganz toll. In der Absicht, die Selbstbestimmung von Transsexuellen zu verbessern, will der liberale Justizminister es unter hohe Strafen stellen, Geschlechtsumwandler bei einem Namen zu nennen, den diese nicht mehr wünschen.

Bereits strafbar ist es dank Buschmann, Kriegsverbrechen zu verharmlosen. Allerdings hat der Justizminister nicht definiert, was als Kriegsverbrechen gilt. Wer behauptet, der Einmarsch der Roten Armee in Berlin 1945 sei ein solches, dem sollte man besser nicht widersprechen. Denn dank der FDP steht man damit mit einem Bein im Knast. Buschmann ist seit zwölf Monaten Justizminister. Er hat in der Zeit mehr Rechtsunsicherheit geschaffen, als es seinen Vorgängern über Jahre „gelungen“ ist.

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Buschmann ist auch ein Beispiel für die fehlende Medienstrategie der FDP. Der medienerfahrene Lauterbach hat ihn beim Infektionsschutzgesetz wie einen Chihuahua durch die Manege gezerrt. Der Gesundheitsminister hat die (ihm) wichtigsten Punkte einfach vorher gegenüber geneigten Journalisten gestreut. Damit war die Stoßrichtung der Medien schon vor der gemeinsamen Pressekonferenz gesetzt. Buschmann konnte darin nichts mehr ändern. Sodass seine Parteifreunde ihm mit dem kläglichen „Ohne uns wäre es viel schlimmer gekommen“ beispringen mussten.

Zumal die Medienlandschaft der FDP ohnehin nicht wohlgesonnen ist. ARD, ZDF, Zeit, Spiegel, Süddeutsche oder RND zeigen ihre Sympathien für Grün-Rot unverhohlen. Da kommen die Liberalen als Prügelknabe ganz recht, an dem sie dann exerzieren können, dass sie ja auch zur Kritik an der Regierung in der Lage seien. Einst konservative und wirtschaftsnahe Medien wie die FAZ, der Focus oder die Wirtschaftswoche laufen mittlerweile ebenfalls dem woken Zeitgeist hinterher. Und selbst die Bild taucht seit dem Machtwort von Springer-Chef Mathias Döpfner an Seiten auf, an denen sie der Leser früher nicht vermutet hätte. Der FDP gehen da die Partner aus. Zumal sie sich selbst nach „Rechts“ abgrenzt und die gleiche Unterwürfigkeit gegenüber dem woken Zeitgeist zeigt wie FAZ, Focus oder Wirtschaftswoche.

Angesichts des verheerenden Auftritts der FDP in den ersten zwölf Monaten blicken die Liberalen mit Furcht nach Berlin, Bremen und Hessen. Das Dreikönigstreffen darf nicht nur Kosmetik bedeuten, warnen die Meuterer. Es müsse eine liberale Politik erkennbar werden. Auch liberales Selbstvertrauen. Die Ampel dürfe nicht weiter als rot-grünes Projekt mit bürgerlichem Mehrheitsbeschaffer gelten.

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