Tichys Einblick
Seehofer dementiert, Merkels Sprecher nebelt

Merkel als Verpackungskünstlerin ihrer Gespräche mit Lukaschenko

Nicht Merkel dementiert die Meldungen über einen Flüchtlingsdeal mit Lukaschenko, sondern Innenminister Seehofer. Was Merkel mit dem Potentaten ausgemacht hat, soll offenbar verschleiert bleiben. Klarheit wird die Aufnahme von Migranten in Deutschland bringen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bundesinnenminister Horst Seehofer

IMAGO / Jens Schicke

Die Pandemie erschlägt in Deutschland jedes andere Thema. Dass das gut für die Regierung ist, um Politik derweil auf anderen Feldern weitgehend an der Öffentlichkeit vorbei zu betreiben und so alternativlos Fakten zu schaffen, beispielsweise bei der Auflösung deutscher Souveränität zugunsten der Damen und Herren in Brüssel, hat der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Protokoll gegeben, als er sagte: „Die Coronakrise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen.“

So dürfte man im Bundeskanzleramt darauf gesetzt haben, dass die telefonischen Tête-à-têtes Merkels mit dem weißrussischen Diktator vor der großen Diskussion über das drohende „schlimme Weihnachten“ und die Strafmöglichkeiten für die Impfunwilligen einfach untergingen. Das glückte auch dank TE nicht. 

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Dass Merkel mit ihren Diktatorentelefonaten den Polen in den Rücken fiel, scherte die Kanzlerin nicht. Die Bundesregierung hielt es auch nicht für nötig, über dieses Telefonat konkret zu informieren. In dieser Hinsicht zeigte sich Lukaschenko „transparenter“, denn er informierte nicht nur darüber, dass das Telefonat stattgefunden hatte, sondern ließ seine Version der Ergebnisse durch seine Pressesprecherin bekannt geben: „Die Europäische Union schafft einen humanitären Korridor für die 2000 Flüchtlinge, die sich im Lager befinden.“ Unter Europäische Union ist in diesem Fall wohl allein Deutschland zu verstehen. Dafür bietet Lukaschenko an: „Wir verpflichten uns, den verbleibenden 5000 – soweit möglich und gewünscht – die Rückkehr zu erleichtern in ihr Heimatland.“ Ein Politikum stellt diese Einigung, wenn sie denn stattgefunden hat, schon deshalb dar, weil die polnische Reaktion zeigt, dass mit Polen nicht gesprochen worden war. Auf alle Fälle wurde Horst Seehofer, der Mann, der sich inzwischen darum reißt, für Merkel die unangenehmen Aufgaben zu erledigen, nach Warschau geschickt, obwohl das grundsätzlich in die Zuständigkeit des Außenministeriums fällt. 

Offensichtlich hat Merkels Sprecher Seibert erst nach der Verlautbarung in Minsk das zweite Telefonat überhaupt bestätigt. Seine erstaunlich dürre Mitteilung lautet: „In einem zweiten Telefonat mit Alexander Lukaschenko unterstrich die Bundeskanzlerin die Notwendigkeit, mit Unterstützung von UNHCR und IOM und in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission für die humanitäre Versorgung und Rückkehrmöglichkeiten der betroffenen Menschen zu sorgen.“ Ein Dementi der Minsker Angaben kann man darin allerdings nicht erkennen. 

Anstelle von Seibert dementierte dann unter anderem das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) für die Bundeskanzlerin die Darstellung der weißrussischen Regierungssprecherin: „Aus Berliner Regierungskreisen hieß es am Donnerstag: ‚Deutschland hat dem nicht zugestimmt. Es handelt sich um ein europäisches Problem, bei dem Deutschland nicht alleine vorgeht.‘“ Also geht Deutschland doch – nur offiziell nicht voran? Man kennt diese Arbeitsteilung: Wenn Regierungen eine Maßnahme unangenehm ist, wird sie auf die EU geschoben. 

Doch wer sind die Regierungskreise? Wenn die Bundeskanzlerin oder „Deutschland“ dem nicht zugestimmt hat, weshalb dementiert dann der Sprecher der Bundesregierung nicht? Heißt das, wenn die EU Lukaschenkos Vorschlag zustimmt und den Korridor einrichtet, den Merkel nicht ausgehandelt haben soll, dann wird Deutschland die Tür für den „humanitären Korridor“ öffnen? 

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Da selbst „Regierungskreisen“ das Dementi, das eigentlich schon das Dementi des Dementis in sich trug, als zu wolkig erscheinen mochte, musste nun ein Regierungsmitglied sagen, was Steffen Seibert als Merkels Sprecher nicht über die Lippen ging: „Diese Meldung ist falsch.“ Es wundert nicht, dass es Seehofer in Warschau war, der dies zu Protokoll gab. Der Innenminister sagte weiter: „Und eine dieser falschen Informationen war am heutigen Tage, dass die deutsche Bundesregierung bereit wäre, eine bestimmte Zahl dieser Flüchtlinge nach Deutschland zu übernehmen. Es war die Rede von 2000.“

Bezeichnend ist, wie Horst Seehofer an diese Information gekommen ist. Nicht etwa, weil er als zuständiger Innenminister bei Merkels Gesprächen mit Lukaschenko eingebunden war, sondern er habe – man darf annehmen, als er von den Polen oder aus der deutschen Presse von dieser „Falschmeldung“ Kenntnis erhielt – „sofort Kontakt mit der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgenommen und die Auskunft erhalten, dass dies nicht stimme“, wie das RND schreibt. Aber, wenn das so klar und eindeutig ist, wieso dementiert Horst Seehofer in Warschau und nicht der Regierungssprecher in Berlin?

Etwas anderes sticht in den mageren Statements von Seibert und von „Regierungskreisen“ ins Auge, die Betonung, dass UNHCR, IOM und Europäische Kommission verantwortlich wären, mit denen man zusammenarbeiten wollen. Heißt das im Klartext, dass Merkels Zusammenarbeit mit UNHCR, IOM und Europäischer Kommission so aussieht, dass Deutschland die 2000 Migranten übernimmt, wenn – und sie werden es nicht tun – nicht andere europäische Länder auch Migranten übernehmen. Vielleicht wird sogar zur Gesichtswahrung ein kleiner Teil in der Tat weitergeleitet. Dass die Weitergeleiteten dann schlussendlich im Rahmen der Sekundärmigration doch in Deutschland landen, darf man annehmen. Schließlich wollen die demnächst mitregierenden Grünen den Satz an finanzieller Unterstützung für Migranten auf deutsches Hartz-IV-Niveau heben und Berlin eigens für Migranten als „Stadt der Zuflucht“ Appartements bauen oder organisieren. 

Die Antwort auf die Frage, ob es einen Deal zwischen Merkel und Lukaschenko gegeben hat, ist sehr einfach, sie misst sich daran, ob Migranten von der Grenze zwischen Polen und Weißrussland legal nach Deutschland kommen oder gebracht werden oder eben nicht. Wer verhandelt und wie das ganze dann heißt, ist vollkommen gleichgültig, das sind eher Verpackungskünste. Die Frage wird mit der Aufnahme von Migranten in Deutschland eindeutig beantwortet werden.

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