Tichys Einblick
Koalitionsoptionen

Laschets Kalkül: Baerbock wird Rot-Rot-Grün nicht wirklich wollen

Armin Laschets Kanzlerkandidatur ist der Versuch des CDU-Parteiapparats, sich in die nächste Regierung zu retten. Er kann davon ausgehen, dass Annalena Baerbock nicht wirklich mit Sozialdemokraten und Linken koalieren wird. Sonst müsste sie eine mehr als radikale Politik verantworten.

Armin Laschet und Annalena Baerbock (Fotomontage)

IMAGO / Sven Simon

Diejenigen, die Armin Laschet abschreiben, unterschätzen ihn, zumindest übersehen sie ein Kalkül, das so nüchtern und rational ist, dass es gut und gern in wesentlichen Zügen der Strategie des Kanzlerkandidaten der Union zugrunde liegen könnte. Laschets Kandidatur ist der Versuch des Parteiapparats, sich in die nächste Regierung zu retten.

Schauen wir uns das näher an: Armin Laschet besitzt nur noch die Option, auf Platz und nicht auf Sieg zu spielen, wenn er Bundeskanzler oder Vizekanzler werden will. Für alles andere, wenn er es je gewollt hätte, ist es inzwischen ohnehin zu spät. Deshalb wird er versuchen, möglichst viele Stimmungen abzubilden und Ecken und Kanten zu vermeiden, er wird sich dem bürgerlichen Publikum als idealer, vor allem bedächtiger und grundsolider Partner der Grünen inszenieren, wozu die „erlaubte“ Kritik gehört – wie in der DDR der erlaubte Witz. Er wird versuchen, im Wahlkampf als Baerbocks wohlmeinender Onkel zu posieren.

Da weder die CDU noch die FDP eine Koalition mit der AfD eingehen, noch eine Minderheitsregierung unter Duldung der AfD wagen werden, bleibt für Laschet die Fortsetzung der Großen Koalition, wenn es dafür noch reichen und die SPD sich aus suizidalen Gründen darauf einlassen würde, oder je nach Wahlergebnis nur eine Grün-schwarze, Schwarz-grüne, Grün-schwarz-gelbe oder eine Schwarz-grün-gelbe Koalition. 

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Schaut man über die Feinheiten hinweg, ergeben sich große Übereinstimmungen bei den möglichen Koalitionären. Annalena Baerbock hat für den Fall ihrer Wahl ein „Klimaschutzsofortprogramm“ versprochen, was eine Mischung aus Bürgerentmündigungsgesetz und, wie Ferdinand Knauß zu recht spottete, „Inflationsbeschleunigungsgesetz“ bzw.  „Umverteilungsbürokratieausbaugesetz“ wäre. Armin Laschet bläst in die gleiche Vuvuzela wie die Grünen, wenn er als Reaktion auf das ideologisch inspirierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz fordert: „Dieses Urteil ist ein klarer Auftrag, dass ambitionierter Klimaschutz überall oben auf der Agenda stehen muss.“

Oben auf der Agenda müsste eigentlich stehen, den Wohlstand und das Wohlergehen des deutschen Volkes zu mehren, nicht zu mindern. Der von Laschet geäußerte Satz hätte auch von Annalena Baerbock stammen können. Wenn Angela Merkel im Gespräch mit Luisa Neubauer sich bemüht, die Jugendsprache zu imitieren, wenn sie bedauert, dass „junge Leute sagen: Mann, mussten wir erst zum Gericht gehen, ehe die uns mal in der Regierung wirklich das geben, was uns zusteht“, wirkt das wie Trickserei. An diesem Merkel-Satz ist alles falsch. Um die Verschärfung des sogenannten Klimaschutzes durchzusetzen, das Land weiter wirtschaftlich zu ruinieren, freut sich Merkel über das Spiel über Bande. Was demokratisch nicht durchsetzbar ist, wird nun unter Berufung eines Urteils des Verfassungsgerichtes, dem inzwischen der Merkel-Getreue Stephan Harbarth vorsteht, in weit schärferer Form und in atemberaubender Geschwindigkeit dekretiert. So ruiniert man übrigens Institutionen. 

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Außer in der gewissenhaften Umsetzung grüner Ziele besitzt die Merkel-CDU keine eigenen Positionen mehr. Sie ist eine Partei ohne Kompass, ein Blatt im Winde, dessen ganzes Trachten darin besteht, im Wind zu bleiben. In diesem Zusammenhang darf man übrigens auf Laschets eigene Verortung hinweisen, als er im Interview mit der FAS am 18. Februar 2018 zu Protokoll gab, dass es nicht Ziel der CDU sein könne, „alles, auch programmatisch, zu sammeln, das rechts von der politischen Linken ist.“ Rechts von der politischen Linken ist allerdings erst einmal die politische Mitte. Also könne es laut Laschet nicht Ziel der CDU sein, „alles, auch programmatisch, zu sammeln“, was Positionen der politischen Mitte entspricht. Wo also steht Armin Laschet?

Annalena Baerbock dürfte gefallen haben, dass der Kanzlerkandidat der CDU im Evangelischen Arbeitskreis gegen die Werteunion geholzt und sich zu der lächerlichen Behauptung verstiegen hat, dass der Evangelische Arbeitskreis „die einzige und eigentliche Werteunion“ sei. Mit dieser Behauptung hätte er in der ansonsten humorlosen heute show auftreten können. Man fühlt sich an die altväterlich Rhetorik der SED-Oberen erinnert, wenn Armin Laschet mit Blick auf die Werteunion, also auf die Konservativen, verkündet: „Deshalb sind mir Leute suspekt, die sich so nennen, sondern mir sind die lieb, die das Ganze jeden Tag leben.“ Nun ist es nicht die Aufgabe eines Politikers, dem Parteivorsitzenden „lieb“ zu sein, außer sie empfinden sich als dessen Pudel.

Konservative sind also für Laschet nur die, die er als Konservative benennt, der es seinerseits für die CDU ablehnt, all die Positionen, „auch programmatisch, zu sammeln“, die rechts von der politischen Linken“ sind. Hören Konservative auf, konservativ zu sein, wenn sie rechts von der politischen Linken sind? Tapfer verkündete Laschet: „Wir haben eine Werteunion, die heißt Evangelischer Arbeitskreis. Eine andere brauchen wir nicht.“ Er sicher nicht, die CDU allerdings schon, wenn sie die Partei der Mitte und nicht länger eine weitere grüne Partei sein will. 

Kompatibel mit den Grünen wäre auch die FDP, nicht nur in Klima- und Europa-Fragen, sondern auch in der identitätspolitischen und familienfeindlichen Transgender-Politik. Das wesentliche Merkmal der Lindner-FDP findet sich in ihrer universellen Anschlussfähigkeit. 

Politik der unsichtbaren Verantwortung

Da die CDU in hohem Maße und die FDP in nicht ganz so hohem Maße Positionen der Grünen vertreten, ergeben sich für die Zeit nach der Bundestagswahl folgende Szenarien:

Nach der Wahl hätte Armin Laschet nicht das geringste Problem mit den Grünen – auch als Juniorpartner wie in Baden-Württemberg – zu koalieren. Damit würde die Union zwar den Weg der Democrazia Cristiana gehen, aber wie es bereits im Faust heißt: Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. Oder wie es im Prediger lautet: Alles hat seine Zeit. Es würden sich aus einer zerfallenden CDU neue politische Gruppen bilden. 

Um die Verantwortung für die weitere Spaltung und den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands nicht allein tragen zu müssen, könnte Armin Laschet allerding daran interessiert sein, die FDP in die Koalition zu holen. Politik ist nicht nur das Streben nach Macht, sondern auch die Unsichtbarmachung von Verantwortlichkeit, indem man Verantwortung so weit verteilt, bis nichts mehr von ihr übrig bleibt.  

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Es lohnt, einen Blick auf die Interessen der Grünen zu werfen, denn welche Koalition im Herbst zustande kommen wird, hängt stärker von den Grünen als von Armin Laschet und der CDU ab. Annalena Baerbock kann an einer grün-rot-dunkelroten Koalition in Wahrheit nicht gelegen sein. Der Grünen Plan von der Abschaffung Deutschlands, so radikal er auch ist, ist einem Teil der Basis noch nicht radikal genug, deshalb möchten über 300 Grüne aus dem Titel „Deutschland. Alles ist drin“ das Wort Deutschland streichen. Den Antrag hat der Mitarbeiter des grünen Europa-Abgeordneten Erik Marquardt, Michael Sebastian Schneiß mit der Begründung: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit. Und nicht Deutschland“ gestellt. Ob ihm stattdessen der etwas esoterische, naturreligiöse Slogan: „Der Mensch. Alles ist drin“ vorschwebt, hat er nicht erläutert, dass aber die Grünen lieber heute als Morgen Deutschland von der Landkarte verschwinden sehen wollen, findet sich bereits in ihrem Wahlprogramm, denn sie streben die „Föderale Europäische Republik“ an, die allerdings mit Föderalität so viel zu tun hat wie die Deutsche Demokratische Republik mit Demokratie. Auf dem Weg dorthin möchten sie, dass „die EU ein Instrument für eine dauerhafte, eigene Fiskalpolitik erhält, dessen Einsatz im Krisenfall nicht durch einzelne Länder blockiert werden kann.“ Die Länder haben also fiskalpolitisch, nach der Pfeife der Brüsseler Administration zu tanzen. Das bedeutet die Entmachtung der nationalen Parlamente und die Einschränkung der Bürgerrechte zugunsten einer demokratisch nicht legitimierten Bürokratie, demokratietheoretisch die Herrschaft einer Oligarchie.
Die Grünen brauchen eine Koalition mit CDU oder FDP als Bremse für ihre eigenen Forderungen 

Die Situation ist simpel: In einer grün-rot-dunkelroten Koalition würden die Grünen gezwungen sein, ihr radikales Wahlprogramm nicht nur umzusetzen, sondern noch durch die Wünsche der Antikapitalisten in der SPD und der Linken zu radikalisieren. Sie könnten sich nicht aus der Verantwortung stehlen, weil sie in dieser Koalition die stärkste Partei abgeben würden. Diese irreale Politik – man denke nur an den Mietendeckel oder an den Verkehrsinfarkt durch den Ausbau von Fahrradwegen, vor allem dort, wo sie niemand braucht – funktioniert zwar durch den Länderfinanzausgleich und den Hauptstadtstatus in Berlin. Doch solche gelebte Wirklichkeitsabstinenz funktioniert eben nicht im Bund. Die führenden Grünen wissen, dass sie in diesem Fall nicht nur fordern dürfen, was bequem und nett ist, sondern auch ihre wohlfeilen Vorstellungen konkret in der Praxis umzusetzen haben.

Es ist für ihr politisches Überleben also grundsätzlich wichtig, dass sie sich – selbstverständlich unter dem Druck der Koalition und auch nur schweren Herzens – von bestimmten Konsequenzen verabschieden, unter dicken Krokodilstränen ihren Wählern und vor allem ihrer Basis erläutern müssen, dass man in einer Koalition niemals die eigenen Wünsche vollständig umzusetzen vermag und man Kompromisse eingehen muss. Das Prinzip der verteilten, verschobenen und weggeschobenen Verantwortung macht das Modell der Koalition so attraktiv. Weil alle irgendwie schuld sind, ist niemand mehr schuld. Den Anhängern der Union wird erklärt, dass man an diesen Punkten leider nachgeben musste, aber schlimmeres verhütet habe, und die Grünen können ihren Fans erklären, dass sie in einigen Punkten der CDU nachzugeben hatten, während die FDP, denen, die von Liberalität träumen, staatstragend erklärt, das sie die Republik oder etwas Ähnliches gerettet habe. 

Man will Radikalität, ohne radikal zu sein

Deshalb kommt eigentlich für Annalena Baerbock nur eine schwarz-grüne, eine schwarz-grün-gelbe oder eine grün-rot-gelbe Koalition in Frage. Schwarz-Grün ist ohnehin des deutschen juste milieus liebste Koalition: Man möchte so gern modern sein, jung (wobei jung mit infantil verwechselt wird), fortschrittlich und menschlich, man möchte so gern das vom Menschen misshandelte Klima retten, aber nicht zu sehr, nicht zu radikal, so dass es gut wäre, wenn die CDU mit an Bord käme, um das „Gute“ auch in erträgliche Bahnen zu lenken. Man will eine Radikalität, ohne radikal zu sein, man will das Gute, aber die Kosten für die Umsetzung des Guten sollen die anderen tragen, oder wie bereits vor fast zweihundert Jahren Adolf Glassbrener dichtete: „Immer langsam voran! Immer langsam voran,/Dass der Michel beim Fortschritt nachkommen kann!”

Allerdings bietet sich aus grüner Sicht noch eine andere, womöglich attraktivere Koalition an: Grün-Rot-Gelb. Die Frage lautet, ob eine ausgelaugte CDU oder eine wiedergängerische SPD kommoder wäre. Um die FDP jedenfalls müssen sich die Grünen keine Sorgen machen. Die Lindner-Partei geht nach der Absage an den Liberalismus in den Tagen von Erfurt, nach der Rückgängigmachung einer demokratischen Wahl auf Weisung einer Kanzlerin, die „Diskussionsorgien“ hasst und die ihr Denken tatsächlich für alternativlos hält, in jede Koalition – natürlich immer aus Verantwortung für Deutschland. 

Beschädigter Kandidat
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Doch wer heute als Wähler zur FDP aufbricht, wird bei den Grünen ankommen. Es stimmt zwar, dass eine starke FDP ein Garant gegen Grün-Rot-Dunkelrot ist, aber womöglich der Weg zu Grün-Rot-Gelb. Damit wäre nichts besser. Für die Grünen brächte diese Koalition den Vorteil, dass sie sich als Kraft der Mitte zwischen einer halbkommunistischen SPD und einer scheinbürgerlichen FDP etablieren könnte. Das Bild stimmt nicht ganz. Die Grünen wären der Planet, um den beide Trabanten kreisten. 
Ohne die Anlehnung an die Grünen müsste die CDU wieder denken lernen

So oder so sind die Grünen im Herbst an Bord der Regierung. Dass die CDU mit der FDP eine Minderheitsregierung bilden und sich von der AfD dulden ließe, ist höchst unwahrscheinlich, denn das setzt voraus, dass die CDU außer der Macht, außer Posten und Pöstchen für den Funktionärsapparat noch Ziele besäße. Ohne die Anlehnung an die Grünen müsste die Partei wieder denken lernen. Letztlich könnte allerdings die Basis der Grünen allen Überlegungen der Parteiführung einen Strich durch die Rechnung machen. Der Zug zur Utopie ist nämlich mächtig, ihre Verführungskraft gewaltig und die Verlockung des Reiches der Träume nur allzu groß. 

Mit oder ohne CDU wird der Herbst die Grünen an die Regierung bringen. Vorsorglich ist die Inflation schon einmal angesprungen. Machen wir uns nichts vor, bis auf weiteres hat Deutschland seine beste Zeit hinter sich. Die Grünen sind ihrem Ziel beträchtlich näher gekommen, das Karin Göring-Eckardt im Herbst 2015 so formulierte: „Wir reden darüber, wie unser Land in zwanzig, in dreißig Jahren aussieht. Es wird jünger werden,…., es wird bunter werden,…, wahrscheinlich wird es auch religiöser werden, na klar“ – damit ist der Islam, nicht das Christentum gemeint, „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf! Diese Veränderung, dieses bessere, dieses neue Land, ja, das wollen wir, dafür kämpfen wir.“

In der letzten Woche und am Wochenende konnte man die drastische Veränderung der Bundesrepublik, konnte man Göring-Eckardts neues, besseres Land schon einmal besichtigen.

Armin Laschet müsste eigentlich ein eiskalter Schauer über den Rücken laufen. Es könnte sein, dass sich sein Kalkül als Pfeifen im Wald erweist.

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