Tichys Einblick
ISLAMISTISCHES ATTENTAT DRESDEN

Bundesamt für Verfassungsschutz verschweigt schwulenfeindliches Motiv

Erst die Bundesregierung, dann die Justiz und nun der Verfassungsschutz: Das Schweigen über das homosexuellenfeindliche Motiv des islamistischen Attentäters von Dresden 2020 geht weiter. Im neuem Bundesverfassungsschutzbericht ist es nicht erwähnt – „endredigiert“ wurde der von Seehofers Ministerium.

Die Stelle in Dresden, an welcher Thomas L. mit einem Messer ermordet wurde, November 2021

IMAGO / xcitepress

Deutschlands Politik hat bereits eine Art Tradition eingeführt, wenn es um das Verschweigen des homosexuellenfeindlichen Motivs des islamistischen Anschlags von Dresden 2020 geht. Es ist ein Anschlag, den ganz besonders homosexuelle Bürger niemals vergessen werden. Der Attentäter Abdullah Al. H. H. griff mit einem Küchenmesser gezielt das homosexuelle Paar Thomas L. und Oliver L. an. An diesem Abend war das Paar als Touristen in der Dresdener Altstadt unterwegs. Thomas L. aus Krefeld starb im Krankenhaus, Oliver L. aus Köln überlebte den Angriff schwer verletzt und muss heute ohne seinen Partner weiter leben. Bereits achtzehn Tage nach der grauenvollen Tat wurde öffentlich, dass ein schwulenfeindliches Motiv wahrscheinlich ist. Doch die Bundesregierung und der Bundespräsident beschweigen den islamistischen Anschlag und das Motiv. Dem schloss sich sogar die Justiz an – und nun auch der Bundesverfassungsschutz samt Innenministerium.

Die deutsch-politische Tradition des Verschweigens

HOMOSEXUELLENFEINDLICHER ANSCHLAG DRESDEN
Eine Kanzlerin und ein Bundespräsident des Schweigens und Verschweigens
TE zeigte damals chronologisch das Verschweigen des Motivs seitens der Bundesregierung auf. Die Ermittler prüften Schwulenhass als ein Tatmotiv, doch der Regierungssprecher erwähnte dies nicht einmal. Statt Angela Merkel saß ihr Sprecher Stefan Seibert auf dem Stuhl, um eine „aufrichtige gemeinsame Anteilnahme“ für Freunde und Familie zu verkünden. Aufrichtig war daran nichts, denn die Bundesregierung hat zu dem Motiv der Homofeindlichkeit geschwiegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Frank Walter Steinmeier (SPD) und Innnenmister Horst Seehofer (CSU) tauchten nicht einmal am Tatort auf, um wie andere Politiker einen Kranz niederzulegen und an das verstorbene Opfer des Attentats zu gedenken. Auch auf den offenen Brief des „Christopher Street Day Dresden e.V.“ (CSD) an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung, die Staatsregierung des Freistaates Sachsen und an die Landeshauptstadt Dresden gab es keine Reaktion. In diesem Brief forderte der CSD: „Lassen Sie dieses Hassverbrechen nicht unkommentiert und zeigen Sie mit uns gemeinsam am 01. November 2020 in Dresden Haltung.“ Der CSD lud also Merkel, Steinmeier und die gesamte Bundesregierung ein, dem Opfer des Anschlages gemeinsam zu gedenken und ein Zeichen zusetzen. Der CSD teilte TE mit, dass die Reaktion komplett ausgeblieben ist seitens Merkel, Steinmeier und der Bundesregierung.

Und als der Bundespräsident von der Deutsche Welle interviewt wurde anläßlich des darauffolgenden Anschlages in Nizza, erwähnte er Dresden ohne auf die islamistische Tat an sich einzugehen und ohne das homosexuellenfeindliche Motiv auch nur zu erwähnen. Auch die FDP-Bundestagsfraktion versuchte es mit einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel. „Die Sicherheitsbehörden haben das Attentat lange als „Touristenmord“ verklausuliert und die mutmaßlich homosexuellenfeindliche Motivlage verschwiegen“, schrieben sie und forderten ein gemeinsames Gedenken. Gegenüber TE teilte die FDP-Fraktion im Bundestag mit, dass in ihrer Fraktion keine Antwort auf den Brief der Kanzlerin oder der Bundesregierung einging; auch habe zu der Zeit der Bundespräsident Steinmeier bisher kein einziges Mal das homosexuellenfeindliche Motiv erwähnt. Der Umgang der deutschen Regierung mit dem Attentat war insgesamt eine Show des Verschweigens – auf Kosten des verstorbenen Opfers, des überlebenden Partners, der Familie, der Freunde, der homosexuellen Bürger und Wähler.

Generalbundesanwaltschaft lässt Motiv in Pressemitteilung weg

Das Verschweigen findet bis heute kein Ende. Bereits die Generalbundesanwaltschaft hatte in ihrer Pressemitteilung vom 04. März 2021 das damals noch mutmaßliche Tätermotiv einer Homosexuellenfeindlichkeit nicht benannt, obwohl in diese Richtung explizit ermittelt wurde. „Die beiden Tatopfer hatte er ausgewählt, um sie als Repräsentanten einer vom ihm als „ungläubig“ abgelehnten freiheitlichen und offenen Gesellschaftsordnung mit dem Tode zu bestrafen“, heißt es in dieser. Dass er sie möglicherweise aus Schwulenhass ausgewählt hatte, wird nicht genannt.

Prozessauftakt in Dresden
Land der falschen Töne
Auf eine Anfrage von TE wurde mitgeteilt, dass bei der Pressemitteilung die „Persönlichkeitsrechte der Betroffenen“ und eine „mögliche Gefährdung des Ermittlungsverfahrens“ berücksichtigt werden. Das mögliche Motiv war jedoch durch Medienberichte der Öffentlichkeit längst zugänglich – inwiefern würden diese zwei Punkte also in der Folge verletzt werden können? Die Generalbundesanwaltschaft erklärte, dass die Frage nach der „konkreten Motivlage“ ein zentraler Bestandteil der Ermittlungen sei, deren Ergebnisse in der Anklageschrift niedergelegt worden sind. Der Anklagevorwurf werde dann auch in der Hauptverhandlung verlesen und „auf diesem Wege der Sitzungsöffentlichkeit bekannt gemacht werden.“ Wieso darf der Öffentlichkeit erst durch die Verlesung der Anklageschrift offiziell mitgeteilt werden, dass der Täter aus Hass auf Homosexuelle islamistisch mordete? Wieso nicht schon vorher in einer Pressemitteilung? Schon wenige Tage nach dem Anschlag sagte der Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt in einer Pressekonferenz: „Zur sexuellen Orientierung der Opfer äußern wir uns nicht“. Es sind Vorgänge, die einen mehr als nachdenklich machen.
Bundesverfassungsschutz verschweigt das Motiv in Bericht

In dem neuen Bericht des Bundesverfassungsschutzes für das Jahr 2020 findet der Anschlag von Dresden mehrmals Erwähnung. Allerdings mit skandalöser Umschreibung.
 „Anfang Oktober 2020 kam es in Dresden (Sachsen) zu einem Messerangriff auf zwei Touristen, von denen einer später starb. Der Angreifer konnte zunächst unerkannt flüchten, Ende Oktober wurde ein Tatverdächtiger festgenommen. Ein islamistisches Tatmotiv gilt als wahrscheinlich“, heißt es darin auf Seite 190. Das, was der Verfassungsschutz mit solchen Beschreibungen macht, ist nichts anderes als weiter das Attentat als einen „Touristenmord“ zu verklausulieren. Dabei müsste gerade das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – der deutsche Inlands-Nachrichtendienst – am besten wissen, dass der Anschlag islamistisch-homophob motiviert war. Auch auf Seite 207 des Berichts heißt es, dass ein „Messerangriff auf zwei Touristen aus Nordrhein-Westfalen“ stattfand – dass es sich bei den Opfern um ein homosexuelles Paar handelt, wird verschwiegen. Auch wird wieder nur ein Motiv, das islamistische, benannt – nicht das zweite, die Homosexuellenfeindlichkeit.

Schon im Vorwort auf Seite 4, das von Bundesinnenminister Horst Seehofer verfasst ist, wird Dresden in Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus erwähnt: „Besonders hervorzuheben ist der Messerangriff mit tödlichem Ausgang Anfang Oktober in Dresden.“ Schon im Vorwort wurde das Ziel des Attentäters, homosexuelle Menschen, weggelassen. Die Opfer werden damit automatisch zensiert. Dabei hätte das Attentat für den Verfassungsschutz der Ausgangspunkt gewesen sein müssen, um ein Kapitel über die Homosexuellenfeindlichkeit im Islamismus widmen zu können.

Wieso verschweigt das Innenministerium das Motiv?

Radikalislamistische und homophobe Motive
Messer-Mörder von Dresden zu lebenslanger Haft verurteilt
Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) ist Thomas Haldenwang, es untersteht dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), das vom Bundesminister Horst Seehofer (CSU) geführt wird. Die Bundesverfassungsschutzberichte dienen der Unterrichtung der Öffentlichkeit und Aufklärung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Sie sind ein wichtiger Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Das BfV erstellt eine Erstfassung, die vom BMI und dessen leitendem Minister endredigiert wird. Aufgrund der Brisanz muss die Frage gestellt werden, wieso das Innenministerium das Motiv der Homosexuellenfeindlichkeit komplett ausgespart hat. Innenminister Seehofer hat augenscheinlich bis heute kein einziges Mal das Motiv des Schwulenhasses erwähnt.

TE fragte das BMI an, ob Seehofer dieses Motiv nicht doch irgendwo gegenüber der Öffentlichkeit angesprochen hätte und wieso im Bundesverfassungsschutzbericht dieses Motiv nicht dokumentiert wurde. Eine Stelle, an welcher der deutsche Bundesinnenminister das Motiv der Homosexuellenfeindlichkeit erwähnt haben könnte, wurde nicht genannt – es existiert also offenbar keine. Das BMI teilte mit, dass der Bundesinnenminister „jedwede Straftaten gegen die sexuelle Orientierung auf das Schärfste“ verurteilt. Zudem begründete das BMI das Fehlen des Motivs im Bericht damit, dass beim Redaktionsschluss „das homosexuellenfeindliche Tatmotiv noch nicht gerichtlich festgestellt“ worden war.

Ähnlich begründete das Bundesamt für Verfassungsschutz hingegen das im Bericht fehlende Motiv der Homosexuellenfeindlichkeit: Einerseits hätte das Gerichtsurteil nach dem Redaktionsschluss stattgefunden, so gelte noch die Unschuldsvermutung; andererseits achte man sehr darauf, dass der Bericht neutral wäre, weshalb die sexuelle Orientierung außen vor gelassen worden sei. Eine Sprecherin des BfV ließ am Telefon mitteilen, dass sie glaubt, wenn man die sexuelle Orientierung mit reinnehme, gäbe das noch größeres Aufsehen. Diese Erklärungen sind ungenügend. Denn solange kein Urteil existiert, gilt die Unschuldsvermutung offiziell auch für das islamistische Motiv – das BfV hatte kein Problem dieses zu nennen, im Gegensatz zur Homosexuellenfeindlichkeit.

Innenminister Seehofer folgt Merkels-Politik des Verschweigens

Es ist besonders auffällig, dass Merkels Regierung und die Kanzlerin islamistische Anschläge so klein wie möglich zu halten versuchen. Das Islamismus-Problem wird von ihrem Kabinett nicht klar benannt, welchem Bundesinnenminister Horst Seehofer angehört. Dies erklärt sich vor allem mit ihrer Flüchtlingspolitik: Unschöne Bilder von einer bestimmten Zuwanderergruppe, die zu schweren Gewalt- und Sexualdelikten neigt, will man nicht zeigen. Laut Bild waren nach der Polizei-Statistik im Jahr 2020 38% der 168.237 Tatverdächtigen im Bereich Gewaltkriminalität „Nichtdeutsche“ und 13% Zuwanderer. Man erinnert sich noch gut an den eskalierten Asylstreit zwischen Merkel und Seehofer im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“: Seehofer forderte ab 2015 eine Begrenzung der Zuwanderung und kritisierte Merkel mit scharfen Worten. 2016 sagte Seehofer nach den islamistischen Terroranschlägen in Ansbach und Würzburg: „‚Wir schaffen das’, diesen Satz kann ich mir beim besten Willen nicht zu eigen machen.“ Er forderte eine Obergrenze und drohte gar mit seinem Rücktritt.

Doch ganz plötzlich ruderte Seehofer mit seiner Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik zurück. Offensichtlich hatte Merkel ihren Innenminister auf Linie gebracht – wie genau das passiert ist, ist nicht bekannt. Seitdem ist Seehofer ein anderer Innenminister. Er ist leiser geworden, fügt sich Merkels Migrationspolitik. Kritische Worte gegenüber Merkel sind urplötzlich verstummt – als hätte es sie nie gegeben. Und dies spiegelt sich auch in dem Bundesverfassungsschutzbericht wieder.

Fakt ist, die Konsequenzen der Flüchtlingspolitik will die Merkel-Regierung nicht zur Diskussion kommen lassen, und damit wohl auch nicht in dem Bundesverfassungsschutzbericht. Hinzu kommt, dass der neue BfV-Bericht während des Bundestagswahlkampfes veröffentlicht wurde. Für die Bundesregierung, bestehend aus Union und SPD, wäre dies kein guter Zeitpunkt, die Folgen der eigenen Migrationspolitik schriftlich für die Wähler festzuhalten. Man verweigert die politische Verantwortung, indem über jegliche Konsequenzen und Realitäten geschwiegen wird.

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