Tichys Einblick
Wie es gebraucht wird

Dobrindt: Als Seehofers Tiger gesprungen und als Merkels Bettvorleger gelandet

Die Halbwertszeiten seiner Narrative werden erkennbar kürzer. Seinem Redenschreiber sollte er schon jetzt den Auftrag geben, sich ein drittes Narrativ auszudenken, bei dem die Grünen nicht mehr „Angstpartei“, sondern „bürgerliche Mitte“ sind.

© Axel Schmidt/AFP/Getty Images

Der Chef der Landesgruppe der CSU im Bundestag erfindet ein neues Narrativ, um sich und die Union vor dem weiteren Niedergang zu bewahren. Dessen Halbwertzeit ist aber jetzt schon abgelaufen.

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hat innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten eine bemerkenswerte politische Wende vollzogen, die er mit zwei Beiträgen in der WELT öffentlich dokumentierte. Am 01. Januar 2018 sprach er sich dort für eine „konservative Revolution der Bürger“ gegen die „linke Revolution der Eliten“ aus, die mit der sogenannten 68er-Bewegung eingesetzt und mittlerweile die Meinungsvorherrschaft errungen habe. Fünfzig Jahre nach 1968 sei „es Zeit für eine bürgerlich-konservative Wende in Deutschland“. Sie gründe auf sieben Prinzipien, angefangen mit dem christlichen Glauben, über den Einzelnen und seine Würde, Heimat und Vaterland, Europa und Abendland, Freiheit bis hin zur Sicherheit und zum wirtschaftlichen Wohlstandsaufbruch. Die CSU sei wie keine andere Partei in Deutschland „ihre Stimme in der Politik“.

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Verfasst wurde der Beitrag zu einem Zeitpunkt, an dem die CSU-Führung noch damit rechnete, durch eine rechts-konservative Profilierung ihre absolute Mehrheit in Bayern verteidigen zu können. Seehofer und Dobrindt waren die treibenden Kräfte dieser Strategie, die zwangsläufig zu Konflikten mit der CDU-Führung unter Merkel insbesondere in der Asyl- und Migrationspolitik führen musste. Ihre finale Zuspitzung fanden diese Konflikte im Sommer 2018 im Zusammenhang mit Seehofers Ankündigung, die Grenzen für Asylbewerber aus sicheren Drittstaaten gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes zu schließen, sollten von Merkel keine „wirkungsgleichen Maßnahmen“ auf europäischer Ebene durchgesetzt werden.

Seehofer und wohl auch Dobrindt waren zu diesem Zeitpunkt offenbar bereit, die Große Koalition mit allen CSU-Ministern zu verlassen, sollte die Anwendung von Artikel 16a von der Kanzlerin weiterhin verhindert werden. Dies hätte jedoch nicht nur zu einer Auflösung der Koalition, sondern auch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU geführt. Sie wurden deswegen von Söder, Weber und anderen hochrangigen Parteifunktionären im Regen stehen gelassen, als es darum ging, den noch mit ihrer Zustimmung begonnenen Konflikt mit Merkel zu seinem logischen Ende zu führen. In der strittigen Grenzfrage wurde stattdessen ein Kompromiss geschlossen, bei dem jedermann klar war, dass jeden Monat weiterhin Abertausende von Asylbewerbern aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland einwandern werden.

Seehofers Ankündigung einer „Asylwende“ sowie Dobrindts Ankündigung einer „bürgerlich-konservativen Wende“ wurde so kurz vor der Landtagswahl nicht nur von Merkel, sondern von den eigenen Parteifreunden ein gehöriger Strich durch die Rechnung gemacht. Viele ehemalige CSU-Wähler wussten nicht mehr, wofür ihre Partei steht und wanderten sowohl zu den Freien Wählern, wie auch zu den Grünen und zur AfD ab. Die einen, weil ihnen die CSU in der Asyl- und Migrationsfrage zu restriktiv, die anderen, weil sie ihnen zu liberal und profillos erscheint.

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Verantwortlich gemacht werden für die Wählerverluste nicht nur seitens der SPD, der Grünen, der Linken, der FDP sowie der meisten Medien, sondern auch innerhalb von CDU und CSU vor allem Seehofer und Dobrindt. Sie hätten mit ihrem Konfrontationskurs gegen Merkel die Wähler verschreckt und den anderen Parteien zugetrieben. Gefordert seien deswegen nun Signale einer neuen Geschlossenheit nicht nur zwischen CDU und CSU, sondern auch mit der SPD. Insbesondere der Streit um die Asyl- und Migrationspolitik müsse endlich beendet werden. Er stärke angesichts der anstehenden Europa- und Landtagswahlen nicht nur die AfD, sondern auch die Grünen.

Dobrindt liefert daher am 02. Januar 2019 unter dem Titel „Volksparteien gegen Angstparteien“, wiederum in der WELT, den nächsten Versuch eines Narrativs bürgerlich-konservativer Politik. Von einer „konservativen Revolution“ unter Führung der CSU gegen „die linke Meinungsvorherrschaft“ ist darin keine Rede mehr, dafür vom Ziel des „größtmöglichen gesellschaftlichen Ausgleichs“. Er sei seit jeher „der Markenkern und die DNA der Union“ gewesen. Deutschland benötige eine „Revitalisierung der Volksparteien“, die sich gegen „Angstparteien“ wie die Grünen und die AfD zu richten hätten. Diese suchten „nicht den gesellschaftlichen Ausgleich, sondern ideologische Reinheit“. Ihr politisches Weltbild sei geprägt von Gegensätzen: „Ökologie oder Ökonomie, Multikulti oder Monokulturalismus, Grenzen auf für alle oder alle Grenzen zu“.

Sowohl die AfD wie auch die Grünen versuchten, anstehende politische Entscheidungen „mit Drohkulissen und Ängsten in ihrem Sinne zu beeinflussen, zu verunsichern und zu destabilisieren“. Die Volksparteien durchlebten daher eine Bewährungsprobe, seien aber nach wie vor „das beste Gegenmittel gegen politische Polarisierung“. Für CDU und CSU bedeute dies, „den Alleinvertretungsanspruch für die Mehrheit Mitte-Rechts wieder selbstbewusst zu formulieren und programmatisch einzulösen.“ Eine zu starke Verengung auf die sogenannte Mitte führe allerdings zur Abwanderung von Wählern nach links und rechts. Der Anspruch müsse daher lauten, „allen Bürgern von der Mitte bis zur demokratischen Rechten eine politische Heimat zu bieten.“

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Erinnern wir uns: nach der Bundestagswahl 2017 verhandelten CDU und CSU (unter Mitwirkung von Dobrindt) eine „Jamaika-Koalition“ unter Beteiligung der FDP sowie der „Angstpartei“ Bündnis 90/Die Grünen. Aufgekündigt wurden die Verhandlungen weder von den Grünen noch von einer der beiden Unionsparteien, sondern von der FDP. In mehreren Bundesländern regiert die CDU zusammen mit den Grünen, mal in einer Zweier-, mal in einer Dreier-Koalition, in Baden-Württemberg sogar als Juniorpartner der Grünen. Die neue CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer führte im Saarland als Ministerpräsidentin selbst über mehrere Jahre eine „Jamaika-Koalition“ mit den Grünen und der FDP im Saarland, bevor sie diese nicht aufgrund von Unstimmigkeiten mit den Grünen, sondern mit der FDP 2012 auflöste. Ihre Kanzlerin strebt darüber hinaus schon seit längerem eine Zweier- oder auch Dreier-Koalition mit den Grünen an, gegen die sich auch Kramp-Karrenbauer gewiss nicht stellen würde, sollten die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl dies ermöglichen.

Während zwischen der CDU-Führung und der Führung der Grünen die politischen Fäden immer enger gesponnen werden und der grünschwarze baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann inzwischen sogar mit einem Buch „Für eine neue Idee des Konservativen“ wirbt, will der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe den Wählern weismachen, die Union grenze sich nicht nur kategorisch gegen die AfD, sondern ebenso gegen die Grünen ab. Das genaue Gegenteil findet auf Betreiben der CDU-Führung außerhalb Bayerns aber in den meisten anderen Bundesländern statt. Durch die eigene „Vergrünung“ erweitert die CDU die politischen Schnittmengen mit den Grünen, was insbesondere bei den Themen Umwelt und Energie sowie Asyl und Migration offenkundig ist.

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Die von Dobrindt popagierte Politik des „größtmöglichen gesellschaftlichen Ausgleichs“ wird seitens der CDU in Richtung der Grünen somit schon längst betrieben. Der wiedergewählte hessische Ministerpräsident Bouffier vereinbarte daher mit seinem grünen Koalitionspartner zum Beispiel weiterhin eine möglichst liberale Handhabung des Aufenthaltsrechts für abgelehnte Asylbewerber. Vor dem Hintergrund der zur neuen Handlungsmaxime erhobenen unionsinternen Geschlossenheit wird die CSU diesen von der CDU und den Grünen gemeinsam in Gang gesetzten Trend weder aufhalten können noch wollen. Er mündet für die Union vermehrt in Bündnisse mit einer Partei, die mehr als alle anderen für die von Dobrindt einstmals angegriffene „linke Revolution der Eliten“ steht. Er ist so gesehen vor einem Jahr als Seehofers Tiger gesprungen und inzwischen als Merkels Bettvorleger gelandet. Die Halbwertzeiten seiner Narrative werden erkennbar kürzer. Seinem Redenschreiber sollte er deswegen vielleicht schon jetzt den Auftrag geben, sich ein drittes Narrativ auszudenken, bei dem die Grünen nicht mehr „Angstpartei“, sondern „bürgerliche Mitte“ sind. Ab- und Ausgrenzungen wären dann nur noch gegenüber der AfD (und vielleicht noch der Linken) erforderlich.