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Relotius lebt

Die drei bizarrsten Falschmeldungen des letzten Jahres

Nicht traurig, sondern komisch war, dass das Satiremagazin Postillion den SPIEGEL korrigierte. Aber irgendwie auch ein Höhepunkt.

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Reichstags-Sturm – Am 29. August besetzten einige Dutzend der Demonstranten, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen waren, „kurzzeitig die Treppe vor dem Reichstag“, wie es später in einer offiziellen Antwort des Berliner Senats auf eine Abgeordnetenanfrage hieß.

Selbst, wenn sie es geschafft hätten, durch die Türen einzudringen, wären sie in der Sicherheitsschleuse aus Panzerglas gefangen gewesen. Allerdings gab es noch nicht einmal Anzeichen dafür, dass die Demonstranten das ernsthaft versucht hätten. Stattdessen schossen die meisten auf der Treppe Selfies mit dem Reichstag als Hintergrund. Es dürfte also der erste Sturm auf ein offizielles Gebäude gewesen sein, bei der die Stürmenden ihrem Objekt nach einigen Minuten den Rücken zukehrten. Trotzdem schrieben zahlreiche Medien die Geschichte vom „Reichstagssturm“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beglaubigte sie nachträglich, als er die drei Polizisten, die in den ersten Sekunden allein vor den heil gebliebenen Türen standen, subito mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete. Hier passt der Begriff „Legitimation durch Verfahren“ von Niklas Luhmann perfekt.

Wie das passende Framing zur Legitimation einer Falschmeldung auch im Nachhinein funktioniert, führte ein Korrespondent der Deutschen Welle vor. Er schrieb: „Zwar ging keine Scheibe zu Bruch, keine Tür wurde aufgebrochen und wichtiger noch: Niemand wurde verletzt…Ob die Demonstranten überhaupt in den Sitz des Bundestages eindringen wollten, ist keineswegs sicher.“ Aber: hochgerannt sei die Gruppe nun mal. Deshalb: „Wer den Sturm leugnet, ignoriert die Fakten.“

Und Radio Jerewan der Deutsche Welle kommt das Verdienst zu, den ‚Sturmleugner‘ erfunden zu haben.

Lauterbachs Hotels – Im Corona-Jahr wurde der SPD-Politiker Karl Lauterbach zum Talkshowkönig bei ARD und ZDF. Überhaupt teilte sich das Jahr in lauterbachfreie Tage beziehungsweise Stunden und den großen Rest. Zu seinen Glanzstücken gehörte es, eine relativ banale chinesische Untersuchung über die Ausscheidung von Virenresten von Erkrankten in einem zu Quarantänezwecken umgenutzten Hotel zu einem Beweis für die Virenfalle Hotel umzudeuten.

Nach dem Radio-Jerewan-Muster verhielt sich in Wirklichkeit alles anders: Nicht nur handelte es sich um keinen Hotelbetrieb, sondern, siehe oben, eine Quarantäneunterkunft. Um die Untersuchung durchführen zu können, wurden die Zimmer nicht gereinigt. Nachgewiesen wurden auch keine vermehrungsfähigen Viren, sondern Viren-DNA.

Die Falschbehauptung im Wissenschaftsjargon schadete dem SPD-Politiker nicht. Das Jahr 2020 beschloss er mit der Forderung in einem Beitrag für die WELT: „Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.“

Da baut schon jemand vor. Irgendwann endet die beste Pandemie – und dann brauchen Maischberger und Lanz wieder jemand, der das Klima erklärt. Vielleicht bildet er dann mit Luisa Neubauer oder Annalena Baerbock eine Talkdoppelspitze.

Rekord-Tote – „In Deutschland sind binnen 24 Stunden 1.129 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben“, behauptete der SPIEGEL nach den Weihnachtsfeiertagen. Das sei ein „trauriger Höchststand“. Dabei handelte es sich um keinen Höchststand, sondern groben Unfug: da über die Feiertage Gesundheitsämter und andere Behörden kaum besetzt waren, gab es den so genannten Meldestau, der sich dann erwartungsgemäß in einer nachträglichen Welle von Todesmeldungen auflöste. Wie übrigens schon zu Ostern. Es starben also nicht an einem Tag 1.129 Menschen, sondern 1.129 wurden an einem Tag gemeldet, viele davon nachträglich.

Nicht traurig, sondern komisch war, dass das Satiremagazin Postillion den SPIEGEL korrigierte. Aber irgendwie auch ein Höhepunkt.

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