Tichys Einblick
Warum nicht Klarheit schaffen?

Die demonstrative Gleichgültigkeit gegenüber Wahlunregelmäßigkeiten ist bemerkenswert

Bei der Präsidentschaftswahl in den USA kam es zu Unregelmäßigkeiten. Dass diese nicht wahlentscheidend sind, ist kein Argument dafür, dass man sie nicht untersuchen sollte. Will Joe Biden Amerika einen, müsste das Ausräumen aller Unklarheiten der erste Schritt sein.

imago Images/ZUMA Press

Die führenden US-Medien haben Joe Biden zum Sieger erklärt. Biden ist immer noch besser als so ziemlich alles, was in der deutschen Politik herumläuft, und im Gegensatz zur deutschen Linken möchte ich den Amerikanern nicht vorschreiben, wen und welche Politik sie zu wählen haben. 

Über die Rechtmäßigkeit der US-Wahl wird jedoch viel diskutiert. Wenn man zur Zeit sagt: Es gibt viele Unregelmäßigkeiten, der Verlauf ist hoch fraglich, eine Überprüfung ist notwendig, wird man schnell zum Verschwörungstheoretiker und Antidemokraten erklärt. Biden liegt schließlich so klar und weit vorne, das könne nicht mehr gedreht werden. 

Ob man es drehen kann oder nicht, das weiß ich nicht. Weder möchte ich das behaupten noch möchte ich etwas gedreht sehen. Aber dass das bloße darauf Hinweisen auf Fragwürdigkeiten bei einer Wahl bereits als Demokratiefeindlichkeit gilt, ist schon ein starkes Stück. Mal abgesehen davon, dass die Demokraten quasi bis drei Tage vor der US-Wahl 2020 noch wegen Trumps angeblichen Russland Collusion die Wahl von 2016 bezweifelten und Hillary auch in mehreren Staaten auf Neuauszählung pochte. Und noch einmal ganz abgesehen davon, dass der linke stehende Spruch bezogen auf Trump „not my President“ war. Aber alle Bürgerlichen müssen Bidens von Medien ausgerufenen Sieg anerkennen, sofort und ohne Einschränkungen. 

Auf einmal Berichte über Senilität etc.
Schon vor dem Sieg beginnt das Sägen der Medien an Bidens Stuhl
Dass es Unregelmäßigkeiten bei dieser Wahl gab, ist keine Theorie, sondern ein Fakt. Beim umstrittenen Universal Mail-In Voting Briefwahlsystem waren Unregelmäßigkeiten vorprogrammiert. Hier werden Wahlunterlagen einfach flächendeckend verschickt; bedenkt man aber, dass das US-Wahlregister häufig sehr ungenau ist, ist davon auszugehen, dass es zu einer nich unbeträchtlichen Anzahl an Fehlern kommen wird. Selbst der ARD-Korrespondent in Washington erhielt Briefwahlunterlagen für drei Personen, u.a. vom Vormieter, die er ohne weitere Kontrolle hätte einschicken können. Ebenso problematisch ist das sogenannte Vote Harvesting, bei dem Privatpersonen Stimmzettel einsammeln und dann beim Wahlbüro abgeben können. Was sie in der Zwischenzeit damit tun, kann niemand überprüfen. Auch wenn man sagt, diese Stimmzettel sind nicht fälschbar, so bestünde die Möglichkeit zumindest mit nicht allzu großem Aufwand die Briefumschläge bspw. mit Wasserdampf zu öffnen und alle Stimmen, die einem nicht gefallen, zu vernichten.

Der große Turnaround in den drei entscheidenden Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania wirft Fragen auf. 14 Prozent hat Biden aufgeholt. Zwar sind keine genauen Daten über Briefwahlergebnisse bekannt. Man konnte jedoch immer wieder die aktuellen Ergebnisse hochrechnen, aus den Differenzen lässt sich relativ genau errechnen, dass Biden bei den Briefwahlen in Pennsylvania Ergebnisse über 65% erreicht haben muss – soweit die Zwischendaten stimmen. Während er bei den per Urnenwahl abgegebenen Stimmen lediglich bei 45% lag. So eine Abweichung von mindestens 20% ist ein Novum und gab es in Deutschland in der Form noch nicht. Daher haben wir uns gefragt: Wenn die Unregelmäßigkeiten, die bei der US-Wahl jetzt offensichtlicherweise aufgetreten sind, andernorts stattgefunden hätten, was wäre passiert? Wahlanfechtungen sind hierzulande üblich. 1991 wurde etwa die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaftswahl wiederholt. Wir haben den renommierten Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau zu Rate gezogen, der gerade selbst eine solche Wahlprüfungsbeschwerde in Hessen führt. 

Es wurden schon Wahlen wegen weniger wiederholt 

Wir stellten ihm die Frage:  In einem solchen Szenario in Deutschland, bei dem Briefwahlergebnisse diametral (im Bereich von mindestens 15 Prozentpunkten) vom restlichen Ergebnis abweichen, was würde passieren? Würde das untersucht werden? Wenn ja, von wem? Welche Wege stehen den möglicherweise dadurch beschädigten Parteien offen?

Seine Antwort: „In dem von Ihnen geschilderten Fall müsste eigentlich der insofern zuständige Landeswahlleiter von Amts wegen tätig werden.“  Außerdem: „auffällige Unregelmäßigkeiten bei einer Bundestagswahl wären ein Fall der Wahlprüfung nach Art. 41 GG. Bei der Wahlprüfung ist es immer so, daß zunächst das Parlament selber entscheidet (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 1 Wahlprüfungsgesetz).“
Der Weg der Wahlprüfung steht aber auch jedem Wahlberechtigten zur Verfügung. 

Solche Beschwerden sind in Deutschland an der Tagesordnung. Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ klagt gegen die vergangene Europawahl, weil 17- und 18jährige nicht wählen durften, Die Partei hat die Bundestagswahl bis zum Verfassungsgericht angefochten, der AfD wurden bei der vergangenen Landtagswahl in Sachsen fast ein Drittel ihrer Sitze aberkannt – wegen eines Formfehlers bei der vorangegangenen Listenwahl. Ebenfalls wegen eines Formfehlers wurde die Landtagswahl 2017 angefochten, weil die FDP zwei Listenplätze vertauscht hat. Mit einer solchen Beschwerde wurde die 5%-Klausel für die EU-Wahl gekippt etc. etc. Dass Wahlen angefochten werden, ist an der Tagesordnung. 

Hybris auf beiden Seiten des Atlantiks
Der Wahlverlierer steht längst fest: US-Demoskopie und deutsche Politik
In Österreich liegt der Fall noch deutlicher: Hier kam es zu Unregelmäßigkeiten in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl 2016 zwischen dem Kandidaten der FPÖ und dem der Grünen. Die FPÖ bezweifelte das Ergebnis und klagte wegen einiger weniger Formfehler im Auszählungsprozess. Rechnerisch war es kaum möglich, dass die betreffenden Stimmen das Wahlergebnis kippen, immerhin lag eine Differenz von 0,7 Prozentpunkten zwischen beiden Kandidaten, mehr also als jetzt etwa in Pennsylvania.

Wenige Wochen später ordnete das Verfassungsgericht die Neuwahl an, der Klage wurde stattgegeben. Wohl gemerkt ging es um nicht wahlentscheidende Formfehler und nicht um Betrug. Natürlich hat die USA eine andere Rechtslage, ich will nur sagen: Es wurden schon Wahlen wegen weniger wiederholt. 

Die Neuwahl gewann der grüne Kandidat van der Bellen erneut, sogar mit deutlicherem Vorsprung. Also hätte man es lassen können?
Nein, im Gegenteil: Das war ein Sieg der Demokratie und ein wichtiges Zeichen, das die Einigung des Landes ermöglichte. Die Demokratie lebt davon, dass die Leute die Wahlen anerkennen. Und in den USA wird es eine sehr große Bevölkerungsmasse geben, die das Ergebnis der Wahl nicht glauben wird. Nicht völlig zu Unrecht, es gibt Unregelmäßigkeiten, die so in diesem Umfang bis dato kaum auftraten.
Gerade wenn Bidens Sieg so klar ist, müsste man auf die Untersuchung pochen. Man hat doch nichts zu verlieren – aber man kann das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zurückgewinnen und einem Präsidenten Biden in der Bevölkerung zu Akzeptanz verhelfen. Wenn seine Agenda tatsächlich ist, Amerika zu einen, so wäre das der erste Schritt.

Joe Biden medial zum president-elect ausgerufen: Was sich ändert und was bleibt
Wir können doch nicht sagen: Gut, zwar hat eine Wahlmaschine, die im ganzen Land im Einsatz ist, 6.000 Stimmen in nur einem County falsch eingetragen, zwar haben wir auf einmal vielerorts eine nie dagewesene Wahlbeteiligung, zwar ist die Differenz zwischen Brief- und Urnenwahl irrwitzig hoch – aber das ist ja alles nicht wahlentscheidend, also Schwamm drüber.

Zumal Deutschland seit Jahren keine Hemmungen hat, das System der US-Wahl in Frage zu stellen. Das Wahlmännersystem sei veraltet. The Winner Takes It All undemokratisch, Trump ist nur Präsident wegen Putin etc. etc. Man traut sich sogar heran, die älteste noch geltende demokratische Verfassung der Welt zu kritisieren, aber das kurzfristig durchgedrückte neue Briefwahlsystem soll ein Heiligtum sein?

Die Aufgabe der Medien besteht nicht darin, Pressesprecher des allgemein Bekannten zu sein, sondern Pionier der Theorie, auf der Suche nach dem Unbekannten. Wir sollten kritisieren, analysieren, hinterfragen und nicht verkünden. Wenn sich das Ergebnis nach intensiver Untersuchung bestätigt, ja dann sollte jeder sagen können: Gratulation, Präsident Biden. Aber auf diese Untersuchung zu beharren, ist das gute Recht eines jeden Demokraten.

Anzeige