Tichys Einblick
Olaf Scholz in Rom

Deutschland am Katzentisch

Besonders viel wurde über den Besuch des Bundeskanzlers in Rom nicht berichtet. Und mehr, als dass Deutschland schließlich am Katzentisch der italienisch-französischen Tafel Platz nimmt, ist auch nicht zu berichten. 

Bundeskanzler Olaf Scholz und der italienische Premierminister Mario Draghi am 20. Dezember 2021 in Rom

IMAGO / Xinhua
Während der französische Präsident Emmanuel Macron alte Freundschaften nicht nur auffrischt, sondern ihnen eine neue Dynamik verleiht wie in Rom und neue Allianzen schmiedet wie in Budapest, begibt sich die deutsche Außenpolitik ins Abseits in Ost- und Mitteleuropa und zeigt sich anstellig in Südeuropa. Überdies amüsiert sie mit ihrem so verzweifelt ernsthaften Klimastechschritt, von dessen exakter Befolgung das Wohl und Wehe der Welt abhängt, unsere Partner in Europa aufs Köstlichste. Das Windkraftrad als neue Pickelhaube. Zu meinen, der Energiehunger einer Industrienation, die endlich auch in der Digitalisierung im 21. Jahrhundert anzukommen wünscht, durch Sonne, Wind, Wasser und Massen von Biomassen stillen zu können, ist aber auch gar zu putzig.

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Italien und Deutschland wollen immerhin einen gemeinsamen Aktionsplan erarbeiten. Allerdings hatten Franzosen und Italiener zuvor, am 26. November, den „Quirinals-Vertrag“ abgeschlossen. Im Vertrag wurde eine enge Abstimmung zwischen Frankreich und Italien festgelegt, die fundiert wird durch Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschef und der Schlüsselministerien, die jedes Jahr einmal stattfinden sollen. Einmal im Quartal wird zudem ein Minister an der Kabinettssitzung der anderen Regierung teilnehmen. Der Titel Quirinals-Vertrag erinnert an den Sitz der italienischen Regierung im Quirinalspalast und spielt dadurch wohl nicht zufällig auf den Elysée-Vertrag und den folgenden Aachener Vertrag an, der das Tandem Paris–Bonn, später Paris–Berlin begründete. Dieses Tandem dürfte an Bedeutung verlieren. In Paris und in Rom glaubt man offensichtlich, dass man auf Deutschland, das voll auf mit seiner Transformationsleidenschaft beschäftigt ist, keine Rücksicht mehr nehmen müsse. Das Tandem Rom–Paris besitzt jedenfalls jede Menge Charme.

Sicher, auch mit Deutschland ist etwas geplant, eine Art „Aktionsplan“. Laut FAZ soll die „deutsch-italienische Initiative … nach bisherigem Stand indes nicht die gleiche Qualität wie der Quirinals-Vertrag haben … Der Wunsch nach einem großen Freundschaftsvertrag sei von den Italienern auch nicht an die Bundesregierung herangetragen worden, ist zu hören.“ Wozu auch? Die Italiener haben erreicht, was sie wollten. Zwar hat Scholz den Wunsch der Franzosen und Italiener zur Aufhebung der Drei-Prozent-Grenze für die Neuverschuldung eine Absage erteilt, doch schon jetzt hält man sich in Europa nicht an diese Grenze, ohne dass dies Sanktionen nach sich zöge. Insofern bat Scholz mit seiner Bemerkung, dass man in dieser Frage „genügend Flexibilität“ walten ließe, nur darum, den Schein zu wahren. Der Bundeskanzler betonte: „Mit dem europäischen Wiederaufbaufonds haben wir gezeigt, was wir in Europa können.“ Nämlich unter der Hand die No-bail-out-Klausel in eine Bail-out-Klausel zu verwandeln. Die Regel, dass kein Staat für die Schulden des anderen aufkommen muss, wurde de facto durch den teils durch Schulden finanzierten „europäischen Wiederaufbaufonds“ dahingehend ergänzt, dass kein Staat für die Schulden des anderen aufkommen muss, sofern es sich dabei nicht um die Bundesrepublik Deutschland handelt. Scholz hat recht, wenn er sagt, dass sie – auch er – gezeigt haben, „was wir in Europa können“, nämlich Schulden machen und Geld drucken.

Italienisch-französischer Freundschaftspakt
Frankreich und Italien machen Deutschland dienstbar
Übrigens hat das Italienische Institut für Studien der internationalen Politik (Ispi) ermittelt, dass inzwischen nur noch 35 Prozent der Italiener Deutschland für Italiens wichtigsten europäischen Partner halten, während das noch vor einem Jahr 50 Prozent dachten. Für Frankreich zeigt sich im gleichen Zeitraum ein umgekehrtes Bild. Vor einem Jahr hielten nur 18 Prozent der Italiener Frankreich für den wichtigsten Partner Italiens in Europa, heute glauben das schon 48 Prozent, Tendenz steigend.

Das wäre allerdings nicht wirklich problematisch, wenn Deutschland nicht seine Verbündeten verprellen würde. Denn Deutschlands wichtigste Partner und Verbündete in Europa sind nun einmal die Visegrád-Staaten, aber auch die baltischen Staaten, die Nordländer (Schweden, Norwegen, Finnland und die Niederlande) und schließlich Österreich.

Deutschland hat einen Sonderweg beschritten. Die deutsche Außenpolitik, die so gern „Weltinnenpolitik“ oder gar „Weltinnenklimapolitik“ sein möchte und deren Ziel in der Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa besteht, versagt vollständig und wird Deutschland in die Isolation führen. Sie versagt in der Frage des Umgangs mit China und Russland, sie trumpft vollkommen unangemessen moralisierend in Ost- und Mitteleuropa auf und nimmt bereitwillig in Südwesteuropa am Katzentisch Platz. Sie versagt, weil sie das verachtet, was die Basis ihrer Politik sein müsste: die Nation.

Und sie scheint das nicht einmal zu bemerken – so sehr ist sie von sich und von ihren hehren Zielen beeindruckt.