Tichys Einblick
Der Untergang einer Volkspartei

Armin Laschet und die Abwicklung der CDU

Wie sich jetzt offenbart, wird Armin Laschet Geschichte schreiben. Denn so einzigartig schnell hätte man den vollständigen Niedergang der CDU nicht erwartet. Diese Leistung, mit der sein Name immer verbunden bleiben wird, hat er aber nicht alleine vollbracht.

Armin Laschet im Bundestag, 7. September 2021

IMAGO / Political-Moments

Meinungsumfragen sind keine Wahlresultate, aber wenn sie alle in eine Richtung weisen, geben sie eben doch einen Hinweis auf einen wahrscheinlichen Wahlausgang, namentlich dann, wenn die Wahlen in knapp drei Wochen stattfinden und viele Wähler mutmaßlich schon vorher über Briefwahl ihre Stimme abgeben werden, wenn sie es nicht schon getan haben. Von daher zeichnet sich schon jetzt ein dramatischer Verlust an Stimmen für die CDU ab. Selbst wenn es ihr gelingt, in letzter Minute noch zur SPD, jener lange für halb tot gehaltenen Partei von Rentnern und Pädagogen, aufzuschließen und vielleicht sogar am Ende ein oder zwei Prozent mehr an Stimmen zu gewinnen, der Niedergang bliebe auch dann dramatisch.

Das zeigt, dass wir alle Armin Laschet völlig unterschätzt haben. Wir wussten, dass er durch bloßes Abwarten und Taktieren ganz ohne eigene inhaltliche Ziele ins Kanzleramt kommen wollte, und uns war klar, dass dies im Vergleich zur letzten Wahl zu gewissen Stimmenverlusten führen würde, aber wir haben dabei seine Talente doch nur unzureichend gewürdigt. Wie sich jetzt offenbart, gehört er wirklich zu jenen Persönlichkeiten, die Geschichte schreiben, wenn auch nur als große Ruinierer und Zerstörer, aber auch das ist eine Leistung, die man nicht leichtfertig ignorieren sollte. Gleichgültig, ob die CDU nun am Ende nur 20 Prozent der Stimmen erhält oder doch noch 24 oder 25 Prozent, ihr Anspruch darauf, Volkspartei zu sein, den sie als einzige der Parteien der alten Bundesrepublik bisher noch aufrecht erhalten konnte, wird damit vollständig unglaubwürdig und das wohl auf Dauer. 

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Wie ist es einem so durchschnittlichen Politiker gelungen, einen solchen „Erfolg“ zu erringen? Laschet ging es offenbar von Anfang an darum, dem Wähler zu suggerieren, dass man ihn nicht ernst nehmen könne und er selbst auch anders als der dröge Beamtenpolitiker Scholz nichts wirklich ernst nehme, gleichgültig, ob es sich nun um eine Flutkatastrophe handelt, um Corona oder um europapolitische Herausforderungen. Als politischer Spaßmacher ist er ja in der Tat unübertroffen. Zum anderen verkörpert Laschet mit seiner unbegrenzten Anpassungsfähigkeit und seiner sehr rheinischen Fähigkeit mit allen und jedem zusammenzuarbeiten, links wie rechts, bis hin zu anti-westlich eingestellten Vertretern des konservativen Islam, die völlige Beliebigkeit der Politik Angela Merkels mit einer glänzenden Virtuosität, die selbst die der Kanzlerin, der er einmal nachfolgen wollte, noch übertrifft. Von daher hat er sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern mehr als verdient, denn gar so schnell hätte man den vollständigen Niedergang der CDU dann doch nicht erwartet. Es ist schon eine Leistung, dafür gesorgt zu haben, dass wir statt ein Schrecken ohne Ende nun doch ein Ende mit Schrecken erleben. 

Man muss zugeben, dass Laschet diese große Leistung, mit der sein Name immer verbunden bleiben wird, nicht isoliert vollbracht hat. Große Verdienste kommen dem Erzzyniker Wolfgang Schäuble zu, der Söder als Kanzlerkandidaten verhinderte, um sicherzustellen, dass die alten Netzwerke und Machtstrukturen der CDU nicht unterminiert würden. Seine Überzeugung war offenbar, dass eine politisch einflusslos gewordene Rest-Partei unter Führung der alterprobten Funktionärselite, einer von München aus geführten Union mit Sitz im Kanzleramt bei weitem vorzuziehen sei. Und diese Linie hat er dann auch mit dem ihm eigenen eisernen Willen durchgesetzt. 

Sicher gibt es bei alle dem auch strukturelle Faktoren. Es ließe sich argumentieren, dass die Zeit der Volksparteien ohnehin vorbei sei, denn die sozialen und kulturellen Milieus, die sie trugen, hätten sich aufgelöst. Die Mehrheit der Wähler sind jetzt Wechselwähler, die nach momentanen Stimmungslagen entscheiden und keine echte Bindung mehr an eine Partei besitzen. Dieses Argument besitzt eine gewisse Plausibilität. Allerdings sind im Ausland bürgerliche Parteien mit einem leidlich konservativen Profil dennoch durchaus erfolgreich, man denke an die ÖVP in Österreich oder die Tories in Großbritannien, die beide freilich einen schmerzlichen Erneuerungsprozess vollzogen haben und denen es dabei auch gelang, Konkurrenten von rechts außen an den Rand zu drängen, nicht zuletzt, indem sie den Wählern dieser Parteien ein überzeugendes Angebot machten. In Frankreich ist das „rechte“ Lager, das sich auch offen so nennt, zwar durch die Spaltung zwischen Republikanern und den Anhängern Marine Le Pens ebenso geschwächt wie durch den charismatischen Cäsarismus Macrons, der durchaus auch Wähler der rechten Mitte anzieht, kann aber trotzdem immer noch einen großen Teil der Wählerschaft mobilisieren, und besitzt zumindest auf der regionalen und lokalen Ebene weiterhin großen Einfluss. 

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Die politische Hegemonie der linken Parteien, die sich als mögliches Ergebnis der diesjährigen Bundestagswahl in Deutschland jetzt abzeichnet, ist von daher im europäischen Vergleich durchaus eine Ausnahme. Sicherlich, Laschets Talent als Konkursverwalter seiner Partei spielt da eine nicht geringe Rolle, aber eigentlich zeichnete sich ein solches Szenario schon seit längerer Zeit ab, man ist jetzt nur überrascht, wie schnell es zur Wirklichkeit wurde. Merkel, darauf wurde schon oft genug hingewiesen, hat der CDU alles genommen, was es ihr gestatten würde, sich glaubwürdig von ihren politischen Konkurrenten abzusetzen. Das gilt für die Energiepolitik ebenso wie für den Umgang mit eigentlich nicht legaler Immigration, das Eintreten für Frauen- und Minderheitsquoten, die Familienpolitik oder die Artikulation deutscher Interessen in Europa, die freilich auch Kohl in seiner Nibelungentreue gegenüber Frankreich schon permanent vernachlässigt hat.

Sicher war eine gewisse Modernisierung der Politik der CDU unvermeidlich, ein Zurück zur überwiegend katholischen Konfessionspartei, die gegen den Sozialismus und für die traditionelle Familie kämpfte, konnte es nicht geben, aber warum sollten die Wähler eine Partei unterstützen, die eigentlich gar keine eigenen Ziele mehr hat? 

Dazu kam die durchgehende De-Politisierung der entscheidenden Zukunftsdebatten durch Merkel. Alles wahrhaft Wichtige war alternativlos, also kein Gegenstand des Streites zwischen Links und Rechts, und wer das bezweifelte, der war bestenfalls ein Störenfried, schlimmstenfalls ein Rechtsradikaler, vorzugsweise aus „Dunkeldeutschland“. Dort wo es keinen Streit gibt, braucht man aber auch keine Politiker, sondern nur Technokraten und Beamte. Diesen Typus verkörpert Scholz ganz gut. Obwohl es auch in seiner politischen Biographie dunkle Kapitel gibt, wirkt er auf beruhigende Weise leidlich ernsthaft und angenehm langweilig. Im Karnevalskostüm kann man sich ihn eben nicht vorstellen, es sei denn, die Furcht einflößende Lady Bitch Ray würde ihm befehlen, ein solches anzulegen, um gegen White Supremacy und das Patriarchat zu protestieren. Einer solchen Anweisung der bedeutenden Links-Intellektuellen würde er wohl loyal folgen, aber so weit sind wir ja noch nicht.

Von daher scheint die Mehrheit der Wähler sich Scholz als männliche oder quasi männliche Merkel zu wünschen, den unpolitischen Verwalter des Weiter-So, koste es was es wolle, der sie nicht mit Hinweisen auf echte Probleme z. B. wirtschaftlicher oder fiskalischer Natur beunruhigt. Für den immer wahrscheinlicher werdenden Sieg von Olaf Scholz hat somit auch Merkel mit ihrer alle offenen Konflikte mit den konkurrierenden Parteien vermeidenden Politik die Voraussetzungen geschaffen. 

Für die CDU stellt sich freilich die Frage, ob sie aus dieser Abwärtsspirale jemals wieder herausfinden kann. Die SPD wurde in einer Situation des scheinbar endlosen Niedergangs gerettet durch die Inkompetenz und den offensichtlichen Todeswunsch der Führungsmannschaft des politischen Hauptkonkurrenten. Die Selbstüberschätzung der Grünen, die sich weigerten, Habeck an erster Stelle ins Rennen zu schicken, und statt dessen auf Quote setzten, kam hinzu. So viel Glück wird die CDU so bald nicht haben, auch die SPD musste darauf ja 16 Jahre lang warten. Außerdem, die SPD hat sich über die Jahre bei allen Schwächen immer einen gewissen programmatischen Kern bewahrt, den gibt es bei der CDU schlechterdings nicht mehr.

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Die Partei wird eigentlich nur noch durch den Besitz der Macht zusammengehalten, ist dieser verloren, gibt es nur noch wenig Gemeinsamkeiten zwischen denen, die die CDU als postnationale Mitte-Links-Partei, die vor allem unermüdlich gegen „Rechts“ kämpft, sehen, und jenen, die angesichts der auch Deutschland zunehmend erreichenden Offensive einer kulturellen Linken, für die alles Böse aus Europa und aus dem Westen kommt, auf aktive Gegenwehr setzen. Was die CDU nach dem nur allzu wahrscheinlichen Fall und Ende von Armin Laschet bräuchte, wäre ein deutscher Sebastian Kurz. Der aber ist nirgendwo sichtbar, Norbert Röttgen und Friedrich Merz sind jedenfalls aus unterschiedlichen Gründen für diese Rolle ebenso ungeeignet wir Jens Spahn.

Da bleibt dann, wenn kein Wunder geschieht – und eine schwache Kanzlerschaft Laschet mit hauchdünner Mehrheit in einer Jamaika-Koalition wäre ein Wunder, für das man einen sehr hohen Preis zahlen würde – nur die Opposition und für die nächsten Jahre die schöne Aufgabe, das Projekt 15 Prozent zu verfolgen und auf bessere Zeiten in der übernächsten Legislaturperiode oder noch später zu hoffen. Falls dann nach 8 Jahren einer linken Regierung noch viel vom Land zu retten ist, was man durchaus bezweifeln könnte, wenn man sich die Pläne der möglichen linken Regierungsparteien ansieht.

Scholz wird nicht zuletzt alles tun, um den anderen Eurostaaten einen möglichst großen Teil ihrer gigantischen Schulden abzunehmen. Überdies wird eine Rot-Grüne Regierung mit oder ohne FDP die falsch angelegte Energiewende noch energischer betreiben als bisher und damit das Land energiepolitisch in eine Sackgasse führen. Mit diesen Entscheidungen wird eine Regierung Scholz Deutschland den Weg in die Zukunft endgültig verbauen, aber es ist genau diese Politik, der die CDU den Weg bereitet hat, so dass ein Widerstand von ihrer Seite ohnehin kaum glaubwürdig wäre. Beschweren kann sie sich über diesen Ausgang also eigentlich nicht, ebenso wenig wie über die Neigung der Wähler eine Partei abzustrafen, die die letzten Jahre nur noch die Programme ihres Koalitionspartners zur Grundlage ihrer eigenen Politik gemacht hat. 

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